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08. Dezember 2012


Boxer – Exporte durchboxen?

von Otfried Nassauer


Ende November wurde dem SPIEGEL eine brisante Information zugespielt: Der Bundessicherheitsrat, ein geheim tagender Kabinettsausschuss, hatte sich mit einer heiklen Rüstungsexportanfrage aus der Industrie befasst. Diese wollte wissen, ob der modernste Radpanzer der Bundeswehr, der GTK-Boxer, auch in das autokratisch regierte Saudi-Arabien geliefert werden könne. Die Königliche Garde habe Interesse an diesem Fahrzeug gezeigt. Diese Elitetruppe hat die Größe eines Regiments und besteht aus drei leichten Infanterie-Batallionen. Dafür werden wohl etwas mehr als 200 Boxer benötigt.

„Schon wieder Saudi-Arabien“, mag so sich manches beteiligte Kabinettsmitglied gesagt haben. War es doch noch gar nicht so lange her, dass der Bundessicherheitsrat für einen Export Hunderter Kampfpanzer vom Typ Leopard-2 in die arabische Autokratie grünes Licht gegeben und damit einen Sturm der Entrüstung geerntet hatte. Doch die Boxer-Anfrage kann kaum verwundern. Der Boxer ist ein Radpanzer mit Bewaffnung, kein Kampfpanzer. Und wer grünes Licht für Leopard-Exporte gibt, muss damit rechnen, das er auch Anfragen für den Boxer oder den Schützenpanzer Puma erhält.

Die heftige Debatte über den Leopard im Hinterkopf vertagte der Bundessicherheitsrat die Entscheidung vorerst. Das tut den Saudis nicht weh, weil es keine Ablehnung darstellt und in den deutschen Streit über die Rüstungsexportpolitik wurde damit weniger neues Öl gegossen. Doch das Geschäft mit den Saudis hätte auch seinen Reiz. Einen großen sogar für die Industrie und möglicherweise auch einen für die Bundeswehr.

Deutschland und die Niederlande haben 2006 zusammen 472 Boxer bestellt, 200 für die Königlich Niederländische Armee und 272 für die Bundeswehr. Diese Fahrzeuge laufen derzeit zu. Bleibt alles im Plan, so sind Ende dieses Jahres 175 der 272 Boxer-Fahrzeuge an die Bundeswehr ausgeliefert. Die Produktion bei KMW wird 2014/15, die bei Rheinmetall etwa ein Jahr später enden. Und was kommt danach?

Geplant war ursprünglich, dass sich an die Erstbeschaffung des Boxers der Kauf eines zweiten Loses anschließen sollte. Doch das wird sich deutlich verzögern, wenn es überhaupt noch kommt. Erst im nächsten Jahrzehnt soll das Gros der Fuchs-Panzer bei der Bundeswehr ausgemustert werden. Nicht alle geschützten Funktionsfahrzeuge werden einen Nachfolger bekommen. Die Bundeswehrreform reduziert den Bedarf und die knappen finanziellen Ressourcen stellen das 2. Los des Boxers terminlich oder sogar ganz infrage.

Auf die deutschen Hersteller und ihre Zulieferer kommt also in wenigen Jahren eine Auslastungslücke zu. Soll der Boxer weiter produziert werden, so müssen 2013 bis 2015 erste Exportverträge abgeschlossen werden. Sonst spült der Boxer kein Geld mehr in die Kassen der Konzerne und die Produktionslinie kommt zum Stillstand. Das träfe KMW und Rheinmetall hart. Denn auch ihr zweiter Goldesel, der Schützenpanzer Puma, wird nach der Reform der Bundeswehr nur noch in geringerer Stückzahl bestellt: Statt 405 Exemplare dürfen sie nur noch 350 bauen. Dem haben die Hersteller zugestimmt. Sie haben aber auch eine Zusage bekommen: „Klar ist, wenn weniger bestellt wird, hat das auch Konsequenzen für die Unternehmen, für den Zulieferer-Bereich und wir werden dann mit dem Verteidigungsministerium auch über die Frage von Export nachdenken, wo wir sicherlich Unterstützung brauchen, aber auch zugesagt bekommen haben,“ berichtete der Hauptgeschäftsführer des Bundesverbandes der deutschen Sicherheits- und Verteidigungsindustrie, Georg Wilhelm Adamowitsch, im Herbst 2011 über ein Spitzgespräch der Industrie mit Verteidigungsminister de Maiziere.

Das Potential, Exporte zu generieren, hat der Boxer gewiss. Ohne Zweifel handelt es sich um einen der modernsten und leistungsfähigsten Radpanzer der Welt. Er wurde entwickelt, um selbst mit dem Leopard 2 im Gelände mitzuhalten, kann eine ganze Infanteriegruppe samt mehreren Ausstattungsvarianten transportieren, verfügt über einen exzellenten Schutz gegen improvisierte Sprengsätze, Minen und Geschosse sowie über eine modulare Bauweise, die ihn ungeheuer flexibel macht: Das Fahrgestell, der Antrieb und das Führerhaus bilden eine Komponente des Fahrzeugs. Dahinter – quasi auf der Ladefläche - können ganz unterschiedliche Missionsmodule montiert werden. Vom Truppentransporter über eine mobile taktische Kommandozentrale bis zum geschützten Sanitäts- oder Munitionsnachschubmodul. Selbst ein Gefechtsturm mit 30mm-Maschinenkanone kann integriert werden. Der Austausch dieser Module, für die immer das gleiche Fahrgestell benötigt wird, ist in weniger als einer Stunde möglich.

Der Boxer ist deshalb ein sehr vielseitiges Fahrzeug für Aufgaben aller Art: Er kann im Krieg klassische Gefechtsaufgaben wahrnehmen, bei Stabilisierungsmissionen und Interventionen zum Einsatz kommen und er eignet sich hervorragend für den Einsatz im „urbanen Gelände“. So bezeichnet Bundeswehr-TV in verharmlosender Sprache den Einsatz in dicht besiedelten Gebieten, also Städten, um wenige Sequenzen später darauf hinzuweisen, dass die Waffenstation mit ihrem Granatwerfer oder ihrem schweren Maschinengewehr nicht nur um 360 Grad gedreht in alle Himmelsrichtungen feuern und aus dem geschützten Innenraum fernbedient werden kann, sondern auch einen großen Höhenrichtwinkel zulässt und somit hervorragend geeignet ist, um Ziele in höhergelegenen Stockwerken oder auf Dächern zu beschießen. Diese „optimierten“ Möglichkeiten, den Boxer in „städtisch geprägter Umgebung“ einzusetzen, machen ihn nicht zuletzt für Regime attraktiv, die ihre Streitkräfte auch für Aufgaben im Inneren vorhalten und bereit sind, mit ihrer Armee gegen die eigene zivile Bevölkerung vorzugehen. Regime, wie Saudi-Arabien zum Beispiel, das während des arabischen Frühlings sogar Truppen zum Schutz des Herrscherhauses im benachbarten Bahrain einsetzte.

Bisher hat neben Deutschland und den Niederlanden noch kein Land den Boxer fest geordert. Etliche Länder haben aber bereits Interesse an dem modernen Radpanzer bekundet. Spanien und Kanada zeigten sich interessiert, in Großbritannien wurde der Boxer mit „exzellenten“ Ergebnissen getestet, wie Rheinmetall nicht ohne Eigenlob berichtet. In allen drei Ländern kam es jedoch bislang nicht zu einem Geschäftsabschluss. Die Wirtschafts-, Finanz- und Eurokrise setzen den Verteidigungshaushalt nicht nur in Deutschland unter Druck. Und wichtige Vorteile des hochwertigen Radpanzers sind zugleich auch seine Nachteile. Der Boxer ist schwerer, viel teuerer und bei weitem nicht so einfach zu verlegen wie die meisten seiner Konkurrenten. Bis zu 33 Tonnen bringt das Schwergewicht auf die Waage. Das ist für weit verbreitete Transportflugzeuge wie die C-130 Hercules eindeutig zu viel. Über 4 Millionen Euro – ohne Entwicklungskostenanteil – zahlt die Bundeswehr durchschnittlich für einen Boxer. Ihre 272 Fahrzeuge kosten etwas mehr als 1,2 Milliarden Euro. Nicht jeder Verteidigungshaushalt erlaubt es, ohne weiteres solche Preise zu zahlen.

Erfolgversprechender könnten da schon Exporte in Staaten außerhalb der EU sein, die über das notwendige Kleingeld verfügen. Also in Staaten z.B., die von hohen Öl- und Gaspreisen profitieren. Auch dort gibt es Interessenten für den Boxer, doch diese Kunden wären deutlich problematischer: Rheinmetall berichtet, der Boxer sei bereits in den Vereinigten Arabische Emiraten erprobt worden und solle dort auch bei heißen sommerlichen Temperaturen getestet werden. Das Interesse Saudi Arabiens ist mittlerweile aktenkundig und auch die Russische Föderation soll 2012 vorsichtig vorgefühlt haben, ob der Export oder Lizenzbau von Boxern in Russland genehmigungsfähig sei.

Noch schreckt die Bundesregierung angesichts der öffentlichen Diskussion und der anstehenden Bundestagswahl bei solchen Anfragen zurück. Sie vertagt die Entscheidungen oder signalisiert, eine offizielle Anfrage sei derzeit inopportun. Grundsätzlich abgeneigt scheint sie jedoch nicht zu sein. Die Genehmigung zur Erprobung des Boxers in den Emiraten muss sie bereits erteilt und damit auch einen Präzedenzfall geschaffen haben, der ein Präjudiz für Exporte auf die arabische Halbinsel werden kann.


ist freier Journalist und leitet das Berliner Informationszentrum für Transatlantische Sicherheit - BITS