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April 2014


Generationswechsel mit Ansage – Die Zukunft nuklearer Waffen

von Otfried Nassauer


Die Hoffnung, das Ende des Kalten Krieges werde auch das Ende der Atomwaffenpotentiale auf dem Globus einläuten, kann vorläufig begraben werden. Die großen Nuklearmächte basteln bereits an der nächsten Generation ihrer nuklearen Waffen. Die Kleineren wollen ebenfalls nicht verzichten. Die Modernisierungsstrategien sind unterschiedlich, das Ziel aber ist gleich: Bis in die zweite Hälfte dieses Jahrhunderts – so der Trend – spielen Nuklearwaffen eine wichtige Rolle. Allenfalls gilt die Maxime „Weniger kann auch mal mehr sein!“ Ihrer völkerrechtlichen Verpflichtung zu Abrüstung und Abschaffung ihrer atomaren Waffen aus wollen diese Staaten nicht nachkommen. Jedenfalls solange nicht, wie die jeweils anderen Nuklearwaffenstaaten nicht vorangehen. Dabei riskieren die Nuklearwaffenstaaten bewusst, dass noch weitere Länder sich Atomwaffen aneignen. 


Runderneuerung statt Vision Null – Die USA

Mit seiner Prager Rede belebte US-Präsident Barack Obama im April 2009 die Utopie einer atomwaffenfreien Welt neu. Eine solche Welt sei machbar, betonte er, sagte aber zugleich: „Solange wie diese Waffen existieren, werden die Vereinigten Staaten ein sicheres, gut gesichertes und effektives nukleares Arsenal aufrechterhalten, um jeden Gegner abzuschrecken und unseren Alliierten diese Verteidigung zu garantieren.“ Für die praktische Politik seiner Regierung erwies sich die zweite Aussage als handlungsleitend, nicht die ferne Vision. Bereits mit dem Nuclear Posture Review 2010 legte Obama einen Kurs fest, der so ausgerichtet war, dass er jeglicher Kritik der oppositionellen Republikaner den Wind aus den Segeln nehmen sollte. Washington werde an einer umfassenden Modernisierung seiner nuklearen Trägersysteme, seiner Sprengköpfe und Bomben und seiner industriellen Infrastruktur für den Bau solcher Waffen arbeiten und dafür deutlich mehr Geld ausgeben als in der Vergangenheit. An dieser Linie, hält Obama bis heute fest, auch wenn im Detail erste Änderungen, erhebliche Verzögerungen und zum Teil exorbitante Kostensteigerungen eingetreten sind. Nuklearwaffen spielen in seiner Politik bis weit in die zweite Hälfte dieses Jahrhunderts eine zentrale Rolle.

Die Reduzierung des Gesamtumfangs der Nuklearstreitkräfte der USA hat sich in den letzten Jahren deutlich verlangsamt. Von 2009 bis 2013 sind nur noch 309 Sprengköpfe aus dem militärisch verwendbaren Bestand herausgenommen worden, sodass derzeit noch 4.804 Waffen militärisch genutzt werden können. Zum Vergleich: In den Jahren 2005-2009 wurden noch mehr als 3.000 Waffen abgebaut. Die Bedeutung geplanter Modernisierungen nimmt dagegen zu.

In den USA wollen sowohl neue Trägersysteme bauen als auch die alten modernisieren. Die Triade aus see-, land- und luftgestützten Systemen wird weiterhin erhalten bleiben. Selbst 50 Raketensilos, die als Folge des New START-Vertrages jetzt geräumt werden müssen, werden nicht abgerissen, sondern erhalten, um sie notfalls künftig noch einmal nutzen zu können. Die Konzeption eines neuen atomgetriebenen U-Boots für Langstreckenraketen und der dafür geplanten Technologie wurde bereits eingeleitet, obwohl die heutigen Boote der Ohio-Klasse erst ab 2029 außer Dienst gestellt werden müssen. In Angriff genommen wurde auch die Entwicklung eines neuen strategischen Bombers bzw. einer Familie von Bombern. Der Long Range Strike Bomber, LRS-B, soll einmal die B-52- und B-1-Bomber ablösen. Für die strategischen Bomber der USA wird ein neuer Langstrecken-Marschflugkörper entwickelt. Die landgestützten Interkontinentalraketen der USA werden zunächst noch einmal modernisiert und sollen später durch ein Nachfolgemodell abgelöst werden. Ähnliches gilt für die ballistischen seegestützten Raketen vom Typ Trident, die die US-Marine heute nutzt. Zudem soll von dem neuen Jagdbomber der USA, dem sogenannten Joint Strike Fighter oder F-35, in den nächsten Jahren eine nuklearfähige Version entwickelt werden, die auch den NATO-Verbündeten verkauft werden soll, die im Rahmen der nuklearen Teilhabe Trägersysteme für atomare Bomben der USA unterhalten. Geplant war, dass dieses Flugzeug noch vor Ende dieses Jahrzehnts eingeführt wird. Technische Probleme haben aber den Einstieg in die Entwicklung um etliche Jahre verzögert. Derzeit wird mit einer Einführung Mitte des nächsten Jahrzehnts kalkuliert. Die Modernisierungsplanung der US-Trägersysteme in der Übersicht:

Bisheriges Trägersystem Vorhaben Status
  • Landgestützte Minuteman-3- Rakete
Modernisierung und Lebensdauerverlängerung wird derzeit durchgeführt
  • Minuteman-3- Rakete
GBSD als Nachfolger geplant
  • Raketentragende Atom-U-Boote der Ohio-Klasse
Lebensdauerverlängerung / Modernisierung wird derzeit durchgeführt
  • SSBN der Ohio-Klasse
SSBN-X als Nachfolger Konzeption
  • Seegestützte Raketen Trident II
Lebensdauerverlängerung / Modernisierung geplant
  • B-52-Bomber
Modernisierung geplant
  • B-2 Bomber
Modernisierung geplant
  • Bomber
LRS-B als Nachfolger Konzeption und Entwicklung
  • Luftgestützter Marschflugkörper ALCM
LRSO als Nachfolger geplant
  • F15E / F16 Kampfflugzeuge
F-35 / Joint Strike Fighter als Nachfolger In Erprobung, nuklearfähige Variante soll entwickelt werden

Schritt für Schritt sollen auch die atomaren Sprengköpfe modernisiert werden. In den USA wird dies als Verlängerung der Lebensdauer bezeichnet, weil Präsident Obama angeordnet hat, weder neue Nuklearsprengköpfe noch Sprengköpfe mit neuen militärischen Fähigkeiten zu entwickeln. Die zuständige National Nuclear Security Agency (NNSA) interpretiert diese politische Vorgabe jedoch höchst freizügig und sieht sie auch dann als erfüllt an, wenn für neue Sprengköpfe die nuklearen Komponenten alter Sprengköpfe abgeändert und wieder genutzt oder nachgebaut werden. Was darüber hinaus noch an Modernisierung politisch akzeptabel wäre, wird mit immer neuen trickreichen Verbesserungsvorschlägen ausgetestet. Das Ergebnis wird wohl der Entwicklung neuer Atomwaffen oder von Nuklearwaffen, die neue militärische Fähigkeiten haben, sehr nahe kommen. Begründet wird dieses Vorgehen unter anderem damit, dass eine neue Generation von Wissenschaftlern und Ingenieuren ausgebildet werden müsse, die den Bau von Atomwaffen vollständig beherrscht.

Die NNSA hat einen langfristigen Modernisierungsplan für alle Atomsprengsätze der USA ausgearbeitet, das sogenannte 3+2 Programm. Drei Sprengkopftypen für ballistische Raketen und zwei für luftgestützte Atomwaffen sollen langfristig alle bisherigen Kernwaffentypen ersetzen. Die NNSA verspricht, die Gesamtzahl der Waffen zu verringern, die Menge des verbauten waffenfähigen Nuklearmaterials abzusenken und auch die Gesamtsprengkraft der atomaren Waffen der USA deutlich zu reduzieren, weil nach der Modernisierung die Waffen mit der größten Sprengkraft außer Dienst gestellt werden können.

Weniger soll also mehr werden. Künftig sollen auch nicht mehr ganze Raketensprengköpfe oder Bomben als Reserve für den Fall eingelagert werden, dass technische oder Sicherheitsprobleme einen bestimmten Sprengkopftyp außer Gefecht setzen, sondern nur noch einzelne Komponenten, die im Austausch für die fehlerhaften Teile eingebaut werden können. Bauteile, die in mehrere Waffentypen passen, müssen aber oft erst entwickelt werden. Auch ganze Sprengköpfe sollen künftig so konzipiert werden, dass sie untereinander austauschbar sind. So soll möglichst bald ein Atomsprengkopf (IW-1) entstehen, der sowohl mit landgestützten als auch mit seegestützten Langstreckenraketen verschossen werden kann. 

Das derzeit wichtigste und zugleich das Einstiegsprojekt in diese Zukunftsplanung ist die Modernisierung des atomaren Bombenarsenals der USA. Es betrifft auch Europa, weil derzeit noch etwa 180 US-Bomben vom Typ B61 in Europa gelagert werden, die ebenfalls modernisiert werden sollen. Auf dieses Vorhaben soll etwas ausführlicher eingegangen werden. 


Die B61-12 – Eine All-in-One-Bombe 

Die USA haben die Entwicklung einer Atombombe mit der Bezeichnung B61-12 begonnen. Sie soll alle bislang vorhandenen strategischen und taktischen Atombomben der USA schrittweise ablösen. Die Gesamtzahl der Bomben, ihre Sprengkraft, die Menge des verwendeten atomaren Waffenmaterials sollen dabei reduziert werden, werben die Befürworter. Die Modernisierung mache also weitere Abrüstungsschritte möglich. Zugleich könne die neue Waffen alle künftig noch relevanten militärischen Funktionen übernehmen, die auch die heute vorhandenen Atombomben erfüllen sollen.

Die B61-12 soll ein Produkt des digitalen Zeitalters werden: eine All-in-one-Bombe, mit der all jene Ziele abgedeckt werden, für die bislang viele unterschiedliche Waffen mit oft höherer Sprengkraft benötigt wurden. Möglich wird das, weil die bisherigen frei fallenden Eisenbomben durch Gleit- und Lenkwaffen abgelöst werden sollen, die erheblich zielgenauer sind und deshalb keine so große Sprengkraft mehr brauchen. Das Zeitalter der atomaren Megatonnen-Waffen geht zu ende. 50 Kilotonnen, die maximale Sprengkraft der kleinsten, älteren Version der B61 sollen künftig reichen. Das ist noch immer das Vierfache der Hiroshima-Bombe. Vielleicht wird die maximale Sprengkraft bei einigen B61-12 auch etwas höher liegen. Wird der Experten-Vorschlag aufgegriffen, auch auf eine bestimmte Nuklearkomponente der bisherigen B61-10 (ehemals der Sprengkopf der Pershing-II-Rakete) zurückzugreifen, dann kann sie auch 80 Kilotonnen betragen.

Zu einer präzisen Lenkwaffe wird die B61-12, weil sie ein neues Heckleitwerk bekommt, mit dem sie auch nach dem Abwurf elektronische Steuerbefehle in Flugbewegungen umsetzen kann, die die Bombe dann viel genauer ins Ziel lenken, als dies mit einer frei fallenden Bombe an einem Fallschirm möglich wäre. Voraussetzung dafür, dass diese Fähigkeit umfassend genutzt werden kann, ist allerdings, dass auch das Trägerflugzeug digitalisiert ist. Dies ist bei älteren Flugzeugen wie der F-16 oder dem Tornado nicht der Fall. Damit auch sie die neue Bombe nutzen können, wird man die B61-12 auch als analoge Gleitbombe nutzen können, die nicht ganz so präzise trifft.

Die Sprengkraft der Waffe kann wahrscheinlich je nach Ziel flexibel auf 0,3,  1,5, 10 oder 50 Kilotonnen eingestellt werden. Das erlaubt den Befürwortern ein zynisches Argument: Die neuen Bomben verursachen deutlich geringere Kollateralschäden und seien deshalb ein Beleg dafür, dass die Vorgaben des humanitären Völkerrechts auch bei der Konstruktion von atomaren Waffen berücksichtigt werden. Damit soll internationalen Forderungen begegnet werden, Nuklearwaffen ganz zu ächten, weil sie ähnlich anderer besonders inhumaner Waffen unterschiedslos gegen Soldaten und Zivilisten wirken und unnötiges Leiden verursachen.

Kritiker betonen dagegen: Die Kombination aus niedriger Sprengkraft, hoher Zielgenauigkeit und vergleichsweise geringem Kollateralschaden werde dazu führen, dass die Hemmschwelle sinken wird, solche Waffen tatsächlich einzusetzen. Das seit Nagasaki existierende Tabu, Nuklearwaffen zu Kriegszwecken einzusetzen, gerate nach 70 Jahren in Gefahr, gebrochen zu werden. Dadurch werde die Rolle nuklearer Waffen, anders als US-Präsident Obama vorgibt, eher wieder größer. Bereits in den 1990er Jahren hatte der US-Kongress Wünsche des Militärs, besonders kleine Atomwaffen mit möglichst geringem Kollateralschaden zu entwickeln, wiederholt gestoppt. 

Schon die Tatsache, dass die neue Bombe viele unterschiedliche Waffen ersetzen soll,  deutet auf einen Verstoß gegen die politischen Vorgaben Obamas hin, keine neuen Waffen und keine Waffen mit neuen militärischen Fähigkeiten zu entwickeln. Eine solche Waffe sei „vom Einsatz her betrachtet“ vorteilhaft, bestätigt der ehemalige Chef der US-Luftwaffe, Norman Schwartz. „Eine höhere Zielgenauigkeit und eine niedrigere Sprengkraft – das sind wünschenswerte Fähigkeiten. Ohne Frage“, so der General. Gefragt, ob die Modernisierung die bestehende Waffe nur besser mache oder auch zu einer veränderten Zielplanung führen werde, antwortete Schwartz: „Es würde beide Effekte haben.“ Mit anderen Worten: Sie führt zu neuen militärischen Fähigkeiten.

Die neue Waffe kann aufgrund von Verzögerungen frühestens 2020/21 eingeführt werden. Nicht ausgeschlossen ist, dass sie sich weiter verspätet. Bei ersten Tests mit einem Modell im Windkanal traten von den Entwicklern „nicht erwartete Effekte“ auf.

Die B61-12 wird auch erheblich teurer als gedacht. Wurde zunächst mit Kosten von 3-4 Milliarden Dollar gerechnet, so räumt das zuständige Energieministerium inzwischen Kosten von 8 Milliarden Dollar ein. Das Verteidigungsministerium schätzt, dass es mindestens 10 Milliarden werden. Zuzüglich jener 1,8 Milliarden Dollar, die für das neue Heckleitwerk anfallen, und der erheblichen Kosten für die Integration der neuen Bomben in diverse Jagdbomber (F-16, F-15E, JSF, Tornado) und Bomber (B-2, LRSB). Mit der Integration in die in Europa stationierten älteren Jagdbomber soll bereits im Haushaltsjahr 2015 begonnen werden. Ebenso wie mit einer Verbesserung der Sicherheit der Atomwaffenlager in Europa. Erste Gelder dafür hat die Obama-Administration bereits beantragt.

Auf dieses Einstiegsprojekt sollen weitere folgen. Langfristig sollen drei sogenannte „interoperable“ Sprengköpfe für ballistische Raketen entwickelt werden. Sie sollen jeweils auf zwei Raketentypen verwendet werden und somit fünf bisherige Sprengkopftypen ablösen. Zwei Sprengköpfe, die B61-12 und ein neuer Sprengsatz für Marschflugkörper, sollen insgesamt sieben derzeit verwendet luftgestützte Nuklearwaffen ersetzen. Die Sprengkopfplanung der USA in der Übersicht:

Sprengkopftyp

Vorhaben

Status

Bomben der Typen B61-3, B61-4, B61-7, B-61-10, B61-11 und B83

B61-12 als Nachfolger

In Entwicklung

W78 Raketensprengkopf

Lebensdauerverlängerung / Modernisierung

geplant

W76-1 Raketensprengkopf

Lebensdauerverlängerung / Modernisierung

wird derzeit stationiert

W88-1 Raketensprengkopf

Lebensdauerverlängerung / Modernisierung

geplant

W80 für Marschflugkörper

Ersatz durch modernisierten / lebensdauer-verlängerten Sprengkopf W80-1 oder W84

geplant

W78 und W88-1 Raketensprengköpfe

Ersatz durch IW-1

geplant

W87 und W88-1

Raketensprengköpfe

Ersatz durch IW-2

geplant

W76-1 Raketensprengkopf

Ersatz durch IW-3

geplant



In und für Washington ist also klar: In den nächsten Jahrzehnten soll das gesamte Atomwaffenpotential der USA einmal runderneuert werden, damit es für die dann folgenden Jahrzehnte garantiert, dass die USA die führende Atommacht bleiben. 


Russlands Kampf um seine Zweitschlagfähigkeit

Auch Moskau plant langfristig mit seinen Atomwaffen. Sie garantieren, dass Washington Moskaus Interessen zumindest teilweise beachten muss und Russland weiterhin als Großmacht wahrgenommen wird. In vielen anderen Punkten unterscheidet sich die russische  Planung aber von der Washingtons. Das hat historische, technische und auch militärisch-strategische Gründe.
 
Ein rascher Blick zurück: Schon das atomare Potential der UdSSR war deutlich anders zusammengesetzt als jenes der USA. Zwar besaßen beide Supermächte Tausende strategischer Atomwaffen an Land, auf See und in der Luft. Doch der größte Teil der sowjetischen Waffen bestand immer aus landgestützten Interkontinentalraketen, während die USA als Seemacht die meisten ihrer atomaren Sprengköpfe auf U-Booten stationiert hatte. Der Zerfall der UdSSR führte dazu, dass Moskau die Kontrolle über große Teile des sowjetischen Territoriums und damit auch über Teile der Infrastruktur für Entwicklung, Bau und Betrieb atomarer Waffen verlor. Ein sehr sichtbares Zeichen dafür war der „Verlust“ des riesigen Atomtestgeländes in Semipalatinsk an Kasachstan, ein weniger sichtbares bestand darin, dass Moskau die technische Fähigkeit verlor, schwere landgestützte Interkontinentalraketen mit Mehrfachsprengköpfen im eigenen Land zu produzieren. Wichtige Fabriken lagen nun im Ausland, zum Beispiel in der Ukraine.

Daraus resultierte für Russland ein schwerwiegendes Problem. Wer schwere Interkontinentalraketen mit Mehrfachsprengköpfen nur durch leichte mit Einfachsprengkopf ersetzen kann, der muss viel mehr Geld aufwenden, um eine bestimmte Zahl von atomaren Waffen nutzen zu können als  derjenige, der Raketen mit Mehrfachsprengköpfen durch ebensolche ersetzen kann. Der Bau der Trägersysteme kostet erheblich mehr als jener der Sprengköpfe. Russland fehlte in den 1990er Jahren und bis heute schon das Geld um veraltende Trägersysteme eins zu eins zu ersetzen. Es hatte zunächst nur die Möglichkeit, die Abrüstungsabsprachen nach Ende des Kalten Krieges mit einer Lebensdauerverlängerung alter schwerer Interkontinentalraketen und einem begrenzten Neubau leichter Langstreckenraketen möglichst effektiv zu kombinieren, um die politisch bedeutsamer gewordene Rolle als große Nuklearmacht aufrecht zu erhalten. An die Möglichkeit neue, schwerere Raketen mit Mehrfachsprengköpfen aufzustellen, war nur längerfristig zu denken.

In den 1990er Jahren produzierte Russland also nur leichte Interkontinentalraketen wie die SS-25 oder später die SS-27 neu. Dies geschah in eher eng begrenzten Stückzahlen. Zudem versuchte man, schwere Raketen wie die SS-18 oder SS-19 länger in Dienst zu halten als ursprünglich geplant. Etliche Jahre später gelang es auch, die SS-27 so zu modifizieren, dass sie auch bis zu vier atomare Sprengsätze tragen konnte. Trotzdem konnten mit den begrenzten technischen und finanziellen Ressourcen nicht genug neue Träger gebaut werden, um die veraltenden Interkontinentalraketen oder gar deren Sprengköpfe eins zu eins zu ersetzen. Russland Nuklearmacht schrumpfte kontinuierlich. Im Kern ist das bis heute so.

Russland verfolgt heute vor allem das Ziel, auch für den Fall eines überraschenden US-amerikanischen Erstangriffs auf die russischen Nuklearstreitkräfte nach diesem Schlag noch genug „überlebende“ Atomwaffen zu besitzen, um den USA inakzeptabel großen Schaden zufügen zu können – eine gesicherte Zweitschlagfähigkeit. Wer sie besitzt, muss sich nicht in jeder potentiell nuklearen Krise fragen, ob es als erster losschlagen müsste. Auch deshalb reagiert Russland so allergisch auf die Kündigung des ABM-Vertrages durch die USA und die Stationierung amerikanischer Raketenabwehrsysteme. Wenn durch Raketenabwehrsysteme jener Teil der Zweitschlagskapazität abgefangen werden könnte, der einen Erstschlag des Gegeners überlebt, dann muss das eigene Zweitschlagspotential schnell größer sein als man es sich leisten kann.

Russland strebt eine umfassende Modernisierung sowohl seiner verbliebenen atomaren Trägersysteme als auch seiner atomaren Sprengköpfe zu tragbaren Kosten an. In den nächsten zehn Jahren muss es alle verbliebenen landgestützten Langstreckenraketen aus Zeiten des Kalten Krieges ersetzen. Ähnliches gilt für die seegestützten Nuklearwaffen. Möglichst viele der künftigen Trägersysteme, sollen mehrere Sprengköpfe tragen, um Kosten zu sparen. Diese Sprengköpfe sollen gegen eine Raketenabwehr bestmöglich geschützt, manövrierbar und möglichst leicht und zielgenau sein. Auch leichtere Interkontinentalraketen sollen mehrere Sprengköpfe tragen.

Russland ist bei seiner nuklearen Modernisierung in den letzten 20 Jahren auf erhebliche technische, finanzielle und zeitliche Probleme  gestoßen, obwohl es der Erneuerung seiner Nuklearstreitkräfte nach dem Kalten Krieg lange Priorität vor einer Verbesserung der konventionellen Kräfte eingeräumt hat. Jahrelang verlief die Einführung neuer leichter Interkontinentalraketen eher schleppend denn wie geplant. Es gab Jahre, in denen weniger als zehn Langstreckenraketen neu aufgestellt werden konnten. Der rapide numerische Niedergang des russischen Potentials an Langstreckenraketen konnte nur zum Teil kompensiert werden, als es gelang, mit Hilfe ausländischer Betriebe vorhandene schwere Atomraketen länger in Dienst zu halten als ursprünglich für möglich gehalten. Trotzdem sank die Zahl der landgestützten russischen Interkontinentalraketen von etwa 1.300 im Jahr 1990 auf nur noch 313 Ende des Jahres 2013. Sie wird vorhersehbar noch weiter zurückgehen. Neue Systeme wie die SS-27 Mod 2 laufen langsamer zu als alte (SS-19, SS-18 und SS-25) außer Dienst gestellt werden müssen. Man will zwar in den kommenden 10-15 Jahren auch wieder eine schwerere Interkontinentalrakete mit Flüssigtreibstoffantrieb (Sarmat) bauen, aber es ist keineswegs sicher, ob das auch gelingt.

Auch die Einführung neuer atomarer Raketen-U-Boote und neuer Raketen zur Bewaffnung solcher Boote stieß auf Probleme. Russland verfügt derzeit nur noch über sieben ältere Boote der Klassen Delta III und IV, die Langstreckenraketen tragen können. Die ersten zwei von acht geplanten neuen Booten der Borei-Klasse haben sich Jahr um Jahr verzögert und sind bis heute nicht voll einsetzbar. Die neue seegestützte Langstreckenrakete Bulava konnte bislang nicht wirklich eingeführt werden, weil Testschüsse ein ums andere Mal fehlschlugen und zunächst Zwischenlösungen auf Basis vorhandener Raketen des Typs SS-N-23 entwickelt werden mussten. Trotzdem wird an den Plänen festgehalten, die neuen Systeme letztlich einzuführen. Russland kann schon seit Jahren nicht mehr kontinuierlich Raketen-U-Boote auf Patrouille schicken. Auch ein neuer strategischer Bomber und ein neuer nuklear bestückter Langstrecken-Marschflugkörper sind in Entwicklung. Die Situation bei den Trägersystemen im Überblick:

Strategisches Trägersystem

Vorhaben

Status

SS-27 Mod 1 mobil und Silo

Stationierung

abgeschlossen

SS-27 Mod 2 mobil

Stationierung

wird umgesetzt (1 Standort, vorgesehen: drei weitere)

SS-27 Mod. 2 Silo

Stationierung

geplant für 2 Standorte

Sarmat/RS-26 –schwerere ICBM

Einführung

geplant

Neue Raketen-U-Boote der Borei-Klasse

Einführung

in Bau / Stationierung

SS-N-23 / Sineva /Liner SLBM

Lebensdauerverlängerung/

Modernisierung

in Umsetzung / Stationierung

SS-N-32 SLBM Bulava

Einführung

Erprobung / Stationierung?

Bomber Tu 160

Modernisierung

geplant

Bomber Tu 95

Modernisierung

geplant

Neuer Bomber (PAK PA)

Einführung

geplant

Luftgestützter Marschflugkörper Kh-102

Einführung

in Erprobung/ Stationierung?




Taktische Trägersysteme



Tu-22 Jagdbomber

Lebensdauerverlängerung / Modernisierung

unklar

Su-34 Jagdbomber

Einführung

Stationierung

Kurzstreckenraketen SS-26 Iskander

Einführung

Stationierung, nukleare Version?

Luftabwehrrakete S-400 / SA-21

Einführung

Stationierung, nukleare Variante?

Raketenabwehrsystem A-135

Einführung

geplant

Seegestützter Marschflugkörper SS-N-30

Einführung

geplant, nukleare Version?

Nuklear angetriebenes Angriffs-U-Boot der Swerodwinsk-Klasse

Einführung

geplant, nukleare Bewaffnung?

Besonderen Wert legt Russland auf die Entwicklung und Einführung von leichten Sprengköpfen für Langstreckenwaffen, die eine künftige US-Raketenabwehr durchdringen können. Vermehrte Tests solcher Waffen in Kapustin Yar, einer Testeinrichtung auch für Luftverteidigungssysteme, deuten darauf hin. Derzeit wird an geeigneten Sprengköpfen für die SS-27 und für eine modifizierte SS-N-23 U-Boot-Rakete gearbeitet, die den Namen Liner tragen soll.

Unklar ist trotzdem, ob Russland eine uneingeschränkte atomare Zweitschlagfähigkeit auf Dauer aufrecht erhalten kann. Auch wer über wenige Interkontinentalraketen mit relativ vielen Sprengköpfen verfügt, ist gegenüber demjenigen im Nachteil, der über relativ viele Raketen mit nur einem Sprengkopf verfügt, wenn letzterer zuerst angreift. Wenige Ziele mit vielen Raketen anzugreifen ist einfacher als umgekehrt. Zum Vergleich: Die USA werden 400 Minuteman-3-Raketen mit je einem Sprengkopf weiter betreiben.

Zudem deuten sich in Russland neue wirtschaftliche Schwierigkeiten an. Die Krise in der Ukraine kann zudem zu einem längerfristigen Ausfall relevanter Lieferungen und damit zu Problemen bei der geplanten Indiensthaltung vorhandener älterer Raketen führen. Ob es Moskau gelingt, neue schwerere Interkontinentalraketen mit Flüssigtreibstoff auf Basis allein der heimischen Industrie zu bauen, bleibt abzuwarten. Wahrscheinlicher ist, dass die geplante schwerere Waffe wieder auf Basis der SS-27 entstehen muss.

Russland verfügt wie die USA über nicht-strategische Nuklearwaffen. Dazu gehören Sprengköpfe für die Luft- und Raketenabwehr, für den Seekrieg, atomare Bomben für die Luftwaffe und möglicherweise auch noch Waffen für Kurzstreckenraketen der Landstreitkräfte, obwohl Moskau sich bereits 1991 zu deren Denuklearisierung verpflichtet hat. Die Trägersysteme wurden und werden teilweise modernisiert (Su-34- Jagdbomber, Iskander-M-Kurzstreckenraketensystem, bodengestützte Marschflugkörper vom Typ R-500), ob dafür aber auch neue Nuklearsprengköpfe entwickelt oder produziert wurden, ist unbekannt. 


Natürlich spielen wir weiter mit - Die kleineren Atommächte

Auch die kleineren Atommächte lassen nicht erkennen, dass sie ihre Nuklearpotentiale in dem kommenden Jahrzehnten stark reduzieren oder gar aufgeben wollen. Sie haben sie seit Ende des Kalten Krieges reduziert, aber ganz aufgeben wollen sie diese nicht.

China besaß immer nur ein vergleichsweise kleines Nuklearpotential. Heute ist es mit 200-250 Sprengköpfen und Trägersystemen, an deren Modernisierung langsam, aber beharrlich und kontinuierlich gearbeitet wird, Ausdruck der chinesischen Strategie einer Minimalabschreckung. Derzeit ersetzt China schrittweise alte Mittel- und Langstreckenraketen mit Flüssigtreibstoffantrieb durch neue mit Feststoffantrieb. Künftig soll es vor allem mobile landgestützte Lang- und Mittelstreckenraketen geben, die derzeit stationiert werden. Außerdem baut Peking erstmals ein größeres seegestütztes und damit gut geschütztes Nuklearwaffenpotential an Bord von U-Booten auf. Über den Sprengkopfbau Chinas ist nur wenig bekannt. Gerüchte und Vorhersagen, dass China wie andere Nuklearmächte künftig auf Raketen mit einzeln lenkbaren Mehrfachsprengköpfen setzen werde, gibt es schon lange, aber bislang sind solche Waffen in China nicht eingeführt worden.  Möglicherweise steht dies mit der nächsten Generation chinesischer Interkontinentalraketen an. Chinas Modernisierungsvorhaben im Überblick:

Trägersystem

Vorhaben

Status

Mobile Interkontinentalrakete DF-31

Stationierung

in Umsetzung

Mobile Interkontinentalrakete DF-31A

Stationierung

in Umsetzung

Mobile Mittelstreckenrakete DF-21

Stationierung

in Umsetzung

Mobile Interkontinentalrakete DF-41

Neueinführung

geplant

Seegestützte Langstreckenrakete JL-2

Stationierung

in Umsetzung

Raketen-U-Boote der Jin Klasse (094)

Stationierung

im Bau / Umsetzung

Raketen-U-Boote des Typs 096

Neueinführung

geplant

Landgestützte Marschflugkörper (DH-10 / CJ-10)

Stationierung

in Umsetzung, möglw. Nuklearversion

Luftgestützter Marschflugkörper CJ-20

Stationierung

geplant, möglw. Nuklearversion

Frankreich hat seine Nuklearwaffenzahl nach dem Ende des Kalten Krieges ebenfalls mehrfach reduziert und heute noch über knapp 300 atomare Sprengköpfe, mit denen zum einen Langstreckenraketen auf vier U-Booten und zum anderen Marschflugkörper an Bord von Flugzeugen der Typen Rafale F3 und Mirage 2000N bestückt sind. Das französische Nuklearpotential läuft derzeit auf das Ende eines Modernisierungszyklus zu, der bereits in den 1990er Jahren begann. Bis 2018 sollen alle vier U-Boote der Triomphant-Klasse mit neuen Raketen ausgestattet werden. Zwei Boote wurden bereits auf neue Raketen des Typs M51.1. mit Atomsprengköpfen vom Typ TN 75 umgerüstet, die anderen beiden sollen ab 2015 eine verbesserte Version, die M51.2 erhalten, die auch neue Atomsprengköpfe vom Typ TNO trägt. Längerfristig ist eine weitere Version der Rakete, die M51.3, geplant. Hinzu kommen die in den letzten Jahren eingeführten, modernen luftgestützten Marschflugkörper ASMP-A mit ebenfalls modernen Sprengköpfen vom TNA.

Großbritannien verfügt schon länger über das wohl kleinste Atomwaffenpotential im Kreis der traditionellen Atommächte. Es besitzt etwa 225 Sprengköpfe, von denen rund 160 auf vier U-Booten mit Trident-D5-Langstreckenraketen stationiert sind.  Die Raketen hat man von den USA geleast. Teils sind sie mit einem, teils mit mehreren Sprengköpfen ausgestattet, die Großbritannien ebenfalls aus einem US-Sprengkopf, dem W-76, abgeleitet hat. Die U-Boote und auch die Sprengköpfe der Atomwaffen sollen in den nächsten Jahrzehnten ersetzt werden. Etliche Jahren wurde darüber heftig gestritten, ob drei oder vier neue U-Boote gebaut werden sollen. Die endgültige Entscheidung soll 2016 fallen, aber wenig deutet darauf hin, dass auf das Projekt noch verzichtet werden könnte. Mittlerweile haben Konzeption und Entwicklung begonnen. Die neuen Boote sollen erneut Trident-II-Raketen tragen. Geplant ist, deren modernisierte Version aus den USA erneut zu leasen. Derzeit werden in Großbritannien modernisierte Sprengköpfe vom Typ W76-1 und neue Wiedereintrittsflugkörper eingeführt, denen längerfristig eine  Entscheidung über den Bau neuer Sprengköpfe folgen könnte, wenn auch die USA einen Nachfolger entwickeln. Großbritannien will  auf seinen Status als Nuklearmacht nicht verzichten. Allerdings hat dieser einen Preis: Ohne die weitere massive technische Unterstützung der USA ist das kaum möglich. Zudem steht das Königreich derzeit vor einer weiteren Weichenstellung: Sollte Schottland sich bei dem geplanten Referendum für die Unabhängigkeit entscheiden, so muss London sich möglicherweise einen neuen Stützpunkt für seine U-Boote suchen. Der bisherige liegt in Schottland.

Auch die rivalisierenden Nachbarn Indien und Pakistan wollen auf ihre Atomwaffen nicht verzichten. Beide entwickeln ihre Trägersysteme und ihr atomares Arsenal kontinuierlich weiter und verfügen heute über je rund 90-120 atomare Sprengköpfe. Beide Staaten verfügen über landgestützte Mittelstreckenraketen und nuklearfähige Jagdbomber.

Indien baut sein Nuklearpotential, dass sowohl Pakistan als auch China abschrecken soll, in einer Weise aus, die deutlich stärker an Peking als an Pakistan orientiert ist. Neben reichweitengesteigerten weiter verbesserten Mittel- und Langstreckenraketen, die noch in Planung oder Entwicklung sind (Agni V und VI) will Indien einen Teil seiner Atomwaffen künftig unverwundbar auf U-Booten stationieren. Erste nuklear angetriebene U-Boote sind im Bau und eine seegestützte ballistische Mittelstreckenrakete wird ebenfalls entwickelt bzw. getestet. Es gibt Vermutungen, dass Indien atomare Mehrfachsprengköpfe entwickelt.

Pakistan plant die Weiterentwicklung mehrerer nuklearfähiger Kurzstreckenraketen sowie die Einführung einer Mittelstreckenrakete (Shaheen II), die Nuklearwaffen tragen könnte. Außerdem entwickelt es land-, see- und luftgestützte Marschflugkörper, die mit atomaren Sprengköpfen bestückt werden könnten. 

Beide Staaten bauen ihre militärisch nutzbare nuklearindustrielle Infrastruktur weiter aus. Über die technische Entwicklung ihrer Sprengköpfe ist wenig öffentlich bekannt.

Den Entwicklungsweg zu U-Boot-gestützten Nuklearwaffen geht scheinbar auch Israel, das seit etlichen Jahrzehnten über luft- und landgestützte Trägersysteme für Atomwaffen verfügt. Israel beschafft seit den 1990er Jahren mit deutscher Hilfe sechs Dolphin-U-Boote, die so ausgestattet werden können, dass aus ihren Torpedorohren auch nuklear bestückte Marschflugkörper verschossen werden können. Israel plant zudem die Einführung von leistungsfähigen Flugkörpern, mit denen von See Ziele an Land beschossen werden können. Darüber ist der Kauf moderner Jagdbomber des Typs F-35 in den USA vorgesehen. Von diesem Flugzeug soll es künftig eine nuklearfähige Version geben. Zudem ist es möglich, dass Israel eine neue Generation seiner landgestützten Mittelstreckenraketen vom Typ Jericho beschafft, die von ihrer Reichweite her als strategische Waffe eingestuft werden muss.

Bei Nordkorea ist weiterhin nicht ganz klar, ob das Land bereits über funktionsfähige Atomwaffen verfügt. Zwar wurden erste Testexplosionen durchgeführt, von denen einige  möglicherweise erfolgreich waren. Allerdings ist es von einem funktionsfähigen Sprengsatz bis hin zu einer funktionsfähigen Atomwaffe noch ein ganzes Stück des Weges. Neben Plutonium will Nordkorea offenbar auch Uran als Basis für seine Waffen nutzen. Das Land treibt die Entwicklung von Kurz-, Mittel- und Langstreckenraketen voran, die als Nuklearwaffenträger genutzt werden könnten. 


Nukes forever?

In allen acht Staaten, die über Nuklearwaffen verfügen, wird darauf hingearbeitet, dass sie  auch in 20 oder 40 Jahren noch über solche Waffen verfügen. Nordkorea will scheinbar zum neunten Mitglied des nuklearen Klubs werden. 

Natürlich wollen die einzelnen Länder jeweils die ihnen verfügbare modernste Technologie nutzen. Das russische Beispiel zeigt aber auch , dass auch abschreckungspolitische Zielsetzungen technologische Anforderungen vorantreiben können: Die Fähigkeit strategischer Nuklearwaffen, Raketenabwehrsystemen auszuweichen, steht dafür ebenso als Beispiel wie die Notwendigkeit, kleinere Atomsprengköpfe auf leichten Interkontinentalraketen einzusetzen, wenn diese Mehrfachsprengköpfe tragen sollen. Ein weiteres Beispiel zeigt sin angesichts der Absicht mehrerer Staaten, ihre Atomwaffen künftig möglichst unverwundbar auf U-Booten zu stationieren. Seegestützte Marschflugkörper großer Reichweite mit Nuklearsprengköpfen könnten hier als Trägersystem der kleineren Nationen, für die ballistische Raketen zu teuer oder technisch zu aufwändig sind, eine Alternative darstellen. Die neuen Nuklearmächte versuchen sich an der Miniaturisierung und Flexibilisierung ihrer Nuklearwaffen und wollen deren Trägersysteme diversifizieren. Und natürlich muss man – gerade in einem so von Geheimhaltung geprägten Bereich wie der Nuklearwaffenforschung – damit rechnen, dass auch Forschung betrieben wird, die überraschend zu technischen Neuerungen oder veränderte militärischen Fähigkeiten in dem einen oder anderen Staat führen kann.

Diese Trends lassen schwere Zeiten für die nukleare Abrüstung und für die weltweiten Bemühungen um nukleare Nichtverbreitung erwarten. Größere Fortschritte bei der Abrüstung über den New START-Vertrag hinaus sind in den nächsten Jahren kaum wahrscheinlich.  Trotzdem mag es aus Kostengründen weitere Reduzierungen geben, weil qualitative Verbesserungen diese ermöglichen oder wirtschaftliche Zwänge sie erfordern. Geringe Fortschritte im Bereich nuklearer Abrüstung implizieren jedoch zumeist aber auch geringere Optionen, sich international auf verbesserte Nichtverbreitungsregelungen zu einigen. Im Gegenteil: Die Gefahr, dass weitere Staaten sich auf den Weg zu einem eigenen Nuklearpotential begeben, wächst, je weiter die Vision einer Welt ohne Atomwaffen aus dem Blick gerät.



ist freier Journalist und leitet das Berliner Informationszentrum für Transatlantische Sicherheit - BITS