BITS Research Report 08.1
ISBN 978-3-933111-13-5
Januar 2008
Studie in Kooperation mit der Heinrich Böll Stiftung


20 Jahre nach dem INF-Vertrag

Rüstungskontrolle ohne Zukunft?

von Otfried Nassauer

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Inhaltsverzeichnis:

1. Aus dem Geschichtsbuch in die Krise
2. Die Krise der Rüstungskontrolle und ihre Ursachen
3. Mögliche Wege aus der Krise
3.1. Konventionelle Rüstungskontrolle in Europa
3.2. Nukleare Rüstungskontrolle und Nichtverbreitung
3.3. Rüstungskontrolle und Nichtstaatliche Akteure
4. Optionen für die Bundesrepublik Deutschland
5. Die Zeit konstruktiv nutzen

 


1. Aus dem Geschichtsbuch in die Krise

Der 8. Dezember 1987 war ein Tag für die Geschichtsbücher. Michail Gorbatschow, der Generalsekretär der sowjetischen KPdSU und Ronald Reagan, der Präsident der USA, unterzeichneten den INF-Vertrag (Intermediate Range Nuclear Forces). Nur sechs Monate später, am 1. Juni 1988, trat er in Kraft. Es war der erste Vertrag, der die Supermächte des Kalten Krieges, die USA und die UdSSR, zu einem echten Abrüstungsschritt verpflichtete. Beide verzichteten auf alle landgestützten Mittelstreckenraketen und Marschflugkörper mit Reichweiten von 500 bis 5.500 Kilometern. Die Bundesrepublik Deutschland leistete einen eigenen Beitrag, indem auch sie auf ihre Pershing-Ia-Raketen und deren geplante Modernisierung verzichtete. Fast zehn Jahre erbitterter politischer Streit über die Aufstellung modernster sowjetischer SS-20- sowie amerikanischer Pershing-II-Raketen und landgestützter Marschflugkörper in Europa endeten mit einem überprüfbaren Abrüstungsabkommen – ein Novum. Bis zum 1.Juni 1991 wurden insgesamt 2.694 sowjetische und amerikanische nukleare Trägersysteme zerstört - von der je anderen Seite überwacht.

Der INF-Vertrag und seine rasche, verlässliche Umsetzung durch Washington und Moskau trugen wesentlich zur gegenseitigen Vertrauensbildung während der Endphase des Kalten Krieges bei. Dies schuf - zusammen mit der zuende gehenden Blockkonfrontation - ein konstruktives politisches Umfeld, in dem bald weitere bi- und multilaterale Rüstungskontroll- und Abrüstungsverträge zustande kamen: 1990 wurde der Vertrag über Konventionelle Streitkräfte in Europa (KSE) fertiggestellt, in dessen Folge NATO- und Warschauer-Pakt-Staaten mehr als 60.000 konventionelle Großwaffensysteme abrüsteten. Der START-1-Vertrag zwischen Moskau und Washington begrenzte 1991 die nuklearen Langstreckenwaffen mit mehr als 5.500 Kilometer Reichweite. Noch im gleichen Jahr wurden durch das KSE-1a Abkommen auch die nationalen Mannschaftsstärken der Streitkräfte all der Staaten begrenzt, die der NATO und dem Warschauer Pakt angehörten. 1993 folgten die weltweite Konvention über ein Verbot und die Zerstörung chemischer Waffen (CWC) sowie mit dem START-2 ein weiterer Vertrag, der eine Reduzierung der strategischen Atomwaffen in Russland und den Vereinigten Staaten zum Ziel hatte.

Vertrauensbildende Maßnahmen und Verifikationsvereinbarungen kamen hinzu: Der Vertrag über den Offenen Himmel ergänzte 1992 die Verifikations- und Informationspflichten des KSE-Regimes und ermöglichte den Mitgliedern Aufklärungsflüge über dem Territorium ihrer früheren Kontrahenten. Später verpflichtete das Wiener Dokument, ein Übereinkommen über Vertrauens- und Sicherheitsbildende Maßnahmen (VSBM), die Mitglieder der OSZE 1999 zum gegenseitigen Informationsaustausch über ihre Streitkräfte, Militärhaushalte und Zukunftsplanungen.

Mit dem INF-Abkommen begann eine Phase, in der Rüstungskontrolle und Abrüstung zu einem wesentlichen Mittel der bi- und multilateralen Ausgestaltung internationaler Beziehungen wurden. Als Instrumente eines effizienten Multilateralismus trugen sie dazu bei, die Unwägbarkeiten der politischen und wirtschaftlichen Transformationsprozesse in Mittel- und Osteuropa kalkulierbarer zu machen und sicherheitspolitische Stabilität zu garantieren. Bis zum Ende der neunziger Jahre wirkten sie nach. Bestehende Abkommen wie das KSE-Regime wurden weiterentwickelt, so zum Beispiel 1999 in Form des Angepassten KSE-Vertrages (AKSE). Ergänzende Abkommen, wie das Wiener Dokument, wurden neu ausgehandelt. Insbesondere Europa, das rund ein halbes Jahrhundert von der Blockkonfrontation geprägt gewesen war, profitierte von den neuen Regelungen. Nach Jahrzehnten gegenseitigen Misstrauens garantierten diese eine bis dahin nicht gekannte Transparenz, Stabilität und Vorhersehbarkeit. Sicherheit in Europa – so zeigte sich – konnte auch miteinander und nicht nur voreinander gestaltet werden.

Zwanzig Jahre nach dem INF-Vertrag bietet sich ein fast entgegengesetztes Bild. Die Fachleute sind sich weitgehend einig, dass die Rüstungskontrolle in einer Krise steckt, zumindest aber eine solche droht. Geltende Verträge werden infrage gestellt, neue nicht mehr ausgehandelt oder ratifiziert. Das rüstungskontrollpolitische Acquis erodiert. Antworten auf drängende Weltordnungsfragen werden kaum noch mittels Rüstungskontrolle und Abrüstung gesucht. Erfolgversprechende neue Initiativen für vertraglich vereinbarte Abrüstung und Nichtverbreitung sind zur Mangelware geworden.

Verhandlungen über Verifikationsmechanismen für das B-Waffen-Verbot sind gescheitert. Gespräche über ein vertragliches Verbot der Produktion von spaltbaren Materialen für Kernwaffen (FMCT) oder der Aufrüstung im Weltall kommen nicht in gang. Seit Jahren fertig ausgehandelte und bereits unterzeichnete Verträge, wie der AKSE-Vertrag, der START-2-Vertrag oder der atomare Teststopp-Vertrag (CTBT) treten nicht in Kraft, weil sie von wichtigen Vertragsparteien nicht ratifiziert werden. Die USA haben den ABM-Vertrag gekündigt, da er die Aufstellung von Raketenabwehrsystemen begrenzte. Ende 2009 endet die Gültigkeitsdauer des START-1-Vertrages. Ob es einen Nachfolgevertrag für diese Vereinbarung und den 2012 endenden Moskauer SORT-Vertrag geben wird, ist ungewiss. Russland droht damit, das bestehende KSE-Regime infrage zu stellen, wenn der AKSE-Vertrag von den NATO-Staaten nicht bald ratifiziert wird. In Moskau und Washington wurden Stimmen laut, die den INF-Vertrag kündigen wollen. Selbst der nukleare Nichtverbreitungsvertrag (NVV), in Deutschland besser als Atomwaffensperrvertrag bekannt, bleibt von dieser Krise nicht verschont, obwohl er als das wichtigste Instrument zur Verhinderung der weiteren Verbreitung nuklearer Waffen betrachtet wird. Die bislang letzte Überprüfungskonferenz scheiterte 2005 und blieb ohne jedes Ergebnis. Für die nächste Überprüfungskonferenz, 2010, kann ein erneutes Scheitern nicht ausgeschlossen werden.

Hat die Rüstungskontrolle als Instrument der internationalen Politik, als Mittel der Ausgestaltung von Weltordnung ausgedient? Waren die Blütejahre der Rüstungskontrolle lediglich ein Intermezzo in der internationalen Politik, das half, den Niedergang der Sowjetunion und des Warschauer Paktes zu managen? Mangelt es der Staatenwelt an einem genuinen Interesse an Rüstungskontrolle, Abrüstung und effizientem Multilateralismus? Können andere Instrumente an die Stelle der Rüstungskontrolle treten und ähnliche ordnungspolitische Funktionen übernehmen? Wer nur die ersten Jahre des 21. Jahrhunderts betrachtet, könnte meinen, dass dem so sei.

Und doch wäre es wohl ein großer Fehler, die vertraglich vereinbarte Rüstungskontrolle und Abrüstung als Steuerungsinstrument der internationalen Beziehungen vorschnell abzuschreiben. Der Verlust an Steuerungsmöglichkeiten wäre enorm, würden das rüstungskontrollpolitische Acquis aufgegeben und das rüstungskontrollpolitische Instrumentarium nicht länger genutzt. Vertragliche Rüstungskontrolle als Form der Verrechtlichung der internationalen Beziehungen ist und bleibt ein wichtiges Instrument, wenn Multilateralismus effizient zur Gestaltung von Weltordnung eingesetzt werden soll. Rüstungskontrolle stärkt die Rolle des Rechts in den internationalen Beziehungen. Bilaterale Rüstungskontrollvereinbarungen zwischen Starken können multilaterale Vereinbarungen unter Einbeziehung von Schwächeren erleichtern. Multilaterale Rüstungskontrolle bindet auch die Starken. Die naturrechtliche Vorstellung vom Recht des Stärkeren wird eingehegt und damit ein Beitrag zur Zivilisierung zwischenstaatlicher Beziehungen geleistet.

Gerade Europa hat auch künftig ein signifikantes Interesse an der vertraglich vereinbarten Rüstungskontrolle. Die ausgeklügelten Regelungswerke der konventionellen und nuklearen Rüstungskontrolle in Europa garantieren zusammen mit den geltenden Vereinbarungen über Verifikation, Information und den Transparenzverpflichtungen, dass das militärische Planen und Handeln der europäischen Staaten auf Gegenseitigkeit kalkulierbar und vorhersehbar bleibt. Es gibt damit weniger Anlass zu Misstrauen.

Trotz der oft beschworenen Krise der Rüstungskontrolle ist es richtig zu fragen, wie Abrüstung und Rüstungskontrolle neu belebt werden können. Vertraglich vereinbarte Rüstungskontrolle und Abrüstung können auch künftig wichtige Instrumente der Ausgestaltung von Weltordnung sein. Für eine Weltordnung, die durch effizienten Multilateralismus und eine Stärkung der Verrechtlichung der internationalen Beziehungen geprägt sein soll, sind sie sogar unersetzlich. Nur wer glaubt, Weltordnung könne künftig unilateral auf Basis des Rechts des Stärkeren gestaltet werden, kann behaupten, ohne die Steuerungsmöglichkeiten und das Instrument der Rüstungskontrolle auskommen zu können. Letztlich kann nur der Stärkste behaupten, dass dies eine Alternative sei. Noch ist deswegen keineswegs entschieden, ob die Jahre der schnellen rüstungskontrollpolitischen Fortschritte 1987-1993 oder die Jahre der Krise der Rüstungskontrolle seit 2001 - historisch betrachtet - als Intermezzo zu werten sind.

Entschieden wird dies wohl erst nach den Präsidentschaftswahlen in Russland und den USA. Wesentliche Weichen im Blick auf die Zukunft der Rüstungskontrolle müssen von den künftigen Administrationen in Washington und Moskau gestellt werden. Dabei drängt die Zeit. Im Frühjahr 2009 werden auf einer Vorbereitungskonferenz letzte Pflöcke für die Überprüfungskonferenz des NVV im Jahr 2010 eingeschlagen. Das Verhältnis von Nichtverbreitung und Abrüstung muss dann neu und tragfähig justiert werden, soll der NVV nicht ausgehöhlt und substantiell geschwächt werden. Bis Ende 2009 muss über die Zukunft des START-1- Vertrages entschieden sein. Damit verbunden wird wohl die Entscheidung über die Zukunft des Moskauer SORT-Vertrages. Beides zusammen stellt die Weichen für die Zukunft im strategisch-nuklearen Bereich. Über Wohl und Wehe der konventionellen Rüstungskontrolle in Europa, das KSE-Regime, wird voraussichtlich ebenfalls in den Jahren 2008 und 2009 entschieden.

Also bleibt nur wenig Zeit. Die wahlkämpfenden Hauptakteure in Washington und Moskau haben innenpolitische Prioritäten. Sie werden – von Ausnahmen zur Schadensbegrenzung und vielleicht einem Versprechen weiterer Reduzierungen der strategischen Nuklearwaffen abgesehen - kaum substantielle neue Initiativen lancieren und sich aus wahltaktischen Gründen keine Blöße geben wollen.

Bis Mitte 2009 stellen sich den Befürwortern von Rüstungskontrolle und Abrüstung damit gleich mehrere Aufgaben: Erstens gilt es zu verhindern, dass sich die Rahmenbedingungen für Rüstungskontrolle und Abrüstung weiter verschlechtern. Zweitens kann die Zeit genutzt werden, um neue rüstungskontrollpolitische Initiativen zu sondieren und vorzubereiten. Und schließlich gilt es, konstruktiv Vorsorge dafür tragen, dass die neuen Administrationen in Moskau und Washington rüstungskontrollpolitischen Themen rasch wieder größere Beachtung schenken können.

Dieses Diskussionspapier untersucht deshalb in einem ersten Schritt Charakter und Ursachen der Krise der Rüstungskontrolle. In einem zweiten Schritt geht es darum, mögliche Wege aus der Krise zu identifizieren. Schließlich soll gefragt werden, welche spezifischen Beiträge in Deutschland zur Überwindung der Krise der Rüstungskontrolle geleistet werden können. Die möglichen Initiativen, die dabei diskutiert werden, haben Beispielcharakter, schließen andere Optionen nicht aus und orientieren sich vorrangig an Fragen, die für die europäische Sicherheit von Belang sind. Der Fokus liegt auf den Möglichkeiten, die klassischen Themen der Rüstungskontrolle und Abrüstung wieder zu beleben. Optionen, die Nichtverbreitungsregime zu stärken, denen auch in den vergangenen Jahren deutlich größere Aufmerksamkeit gewidmet wurde, finden nur insoweit Erwähnung wie sie zum Verständnis der Gesamtzusammenhänge erforderlich sind.


2. Die Krise der Rüstungskontrolle und ihre Ursachen

Der Auftritt des russischen Präsidenten hatte es in sich. Vladimir Putin nutzte die Münchener Sicherheitskonferenz im Februar 2007 zu deutlichen Worten. Er verkündete "ein Moratorium der russischen Umsetzung des KSE-Vertrages bis alle NATO-Staaten ihn ratifizieren und beginnen, sich strikt daran zu halten – so wie es Russland bereits heute tut." Binnen eines Jahres müsse im NATO-Russland-Rat eine Lösung gefunden werden. Sollten Verhandlungen keinen Erfolg bringen, werde Moskau die "Möglichkeit prüfen, seine Verpflichtungen aus dem KSE-Vertrag zu beenden." Die NATO reagierte prompt und forderte Moskau zur umfassenden Einhaltung seiner vertraglichen Verpflichtungen auf. Doch schnell wurde klar: Das KSE-Regime, das seit 1991 die Mannschaftsstärken und die wichtigsten Großwaffensysteme aller Streitkräfte in Europa beschränkt, war nicht länger eine Selbstverständlichkeit. Mehr noch, es war ernsthaft in Gefahr.

Acht Monate später folgte der nächste Streich. Vladimir Putin stellte die Zukunft des INF-Vertrages in Frage: "Im Gegensatz zu uns sind andere Länder berechtigt, solche Waffensysteme zu entwickeln – und sie tun das erfolgreich", erläuterte er der amerikanischen Außenministerin, Condoleezza Rice, und US-Verteidigungsminister Robert Gates. Für Moskau und Washington gelte es, darauf hinzuwirken, "dass die russisch-amerikanische Vereinbarung globale Gültigkeit erhält". Gelinge das nicht, so werde "es Russland schwer fallen, an diesem Vertrag festzuhalten", ließ er seine Gäste wissen. Putin verzichtete zwar auf ähnlich plumpe Drohungen, wie russische Generale sie im Kontext des Streites um die Pläne Washingtons, Teile des geplanten US-Raketenabwehrsystems in Polen und Tschechien aufzustellen, ausgestoßen hatten. Sie hatten damit gedroht, Russland werde Mittelstreckenraketen auf die neuen Standorte ausrichten. Im Kern aber laufen Putins Äußerungen auf dasselbe hinaus: Auch der INF-Vertrag und damit das wichtigste nukleare Rüstungskontrollabkommen für Europa könnte von Russland zur Disposition gestellt werden.

Äußerungen anderer Politiker aus Russland lassen weitere Verträge gefährdet erscheinen. So signalisierte Sergei Iwanow, stellvertretender Ministerpräsident Russlands, im Sommer 2007, dass Russland auch den START-1-Vertrag für verzichtbar halten könnte. Iwanows argumentative Grundlinie ähnelte der zu anderen Verträgen: Im Prinzip wäre es Russland lieber, wenn die Regime fortbestünden. Ohne sie könne Moskau aber auch leben.

Die Entwicklungen der letzten Monate könnten den Eindruck erwecken, als habe Moskau das Interesse an der Rüstungskontrolle verloren und als sei der Kern der Krise der Rüstungskontrolle im Kreml zu suchen. Doch das wäre voreilig. Die russischen Argumentationslinien sind in weiten Teilen bis in die Wortwahl eine Spiegelung amerikanischer Argumente aus den ersten Jahren der Regierung George W. Bushs, die der Rüstungskontrolle während ihrer ganzen Amtszeit mit großer Skepsis oder gar deutlicher Ablehnung begegnete.

Schon bald nachdem George W. Bush 2001 die Macht im Weißen Haus übernommen hatte, bekamen Politiker zentralen Einfluss auf die amerikanische Rüstungskontrollpolitik, die grundsätzliche Zweifel am Sinn der Rüstungskontrolle hegten. Ein gutes Beispiel ist John Bolton, der im US-Außenministerium zunächst etliche Jahre für Nichtverbreitung und Rüstungskontrolle zuständig war und später UN-Botschafter der Vereinigten Staaten wurde. Deren äußerst kritisches Verhältnis zur Rüstungskontrolle fußt auf einer traditionellen, in der republikanischen Politiktradition Washingtons tief verankerten Abneigung, künftige Handlungsmöglichkeiten der USA durch internationale Verträge einschränken zu lassen. Präventive Rüstungskontrollvereinbarungen über die Nutzung von Zukunftstechnologien werden z.B. abgelehnt, weil man davon ausgeht, dass die USA zukunftsträchtige Technologien früher und effektiver militärisch nutzen können als andere und auf diese Weise ihre globale Vormachtstellung besser aufrecht erhalten können. Verhandlungen über ein Verbot der Stationierung von Waffen im Weltraum werden deshalb abgelehnt.

Ergänzt wurde diese traditionelle Skepsis gegen die Rüstungskontrolle in der Regierung Bush durch grundsätzlichere Gegenargumente, die Colin S. Gray, ein Vordenker republikanischer Politik bereits unter Ronald Reagan, in seinem Buch "House of Cards – Why Arms Control Must Fail" 1992 zusammengetragen hatte. Gray hält Rüstungskontrolle für einen "nichttödliches Virus, der unausrottbar die Politik befallen" hat. Rüstungskontrolle müsse versagen, weil nicht Waffen, sondern die Politik über Krieg und Frieden entscheiden. Rüstungskontrolle schaffe keine Stabilität. Ihre positiven Wirkungen würden wie theologische Dogmen von der politischen Klasse lediglich geglaubt. Rüstungskontrolle führe meist dann zu wirksamen Rüstungsbeschränkungen, wenn die beteiligten Staaten bereits hinreichendes Vertrauen zueinander hätten, also Rüstungsbeschränkungen gar nicht zwingend erforderlich seien. Zwischen verfeindeten Staaten aber sei effektive Rüstungskontrolle dagegen so gut wie unmöglich. Rüstungskontrolle schade bestenfalls nicht, aber wirklich nützlich sei sie erst recht nicht.

Schließlich wurde die äußerst skeptische Haltung zur Rüstungskontrolle unter George W. Bush – vor allem im strategisch-nuklearen Bereich - eng mit dem Ziel verknüpft, die globale Vormachtstellung der USA durch eine umfassende, technologische und strukturelle Modernisierung der US-Streitkräfte mittel- und langfristig abzusichern. Eine Runderneuerung des strategisch-nuklearen Potentials der USA – Strategie, Sprengköpfe, Trägersysteme und industrielle Infrastruktur - wurde mit dem Nuclear Posture Review (NPR) bereits 2001 eingeleitet. Das Dokument erhebt den Anspruch, Abschreckung für ein "zweites nukleares Zeitalter" vorzudenken, welches von einer wachsenden Zahl nuklear bewaffneter Staaten geprägt sein werde. Es fußt auf Gedanken, die Colin S. Gray und sein konzeptioneller Denkpartner, Keith B. Payne, in den neunziger Jahren entwickelten und 2001 in einer größeren Studie des National Institute for Public Policy vorstellten. Payne wurde von George W.Bushs erstem Verteidigungsminister, Donald Rumsfeld , mit der Ausarbeitung des NPR betraut und legte ihm ein Konzept vor, mit dem das strategische Potential der USA auf mehreren Ebenen integriert werden sollte. Die konventionellen und nuklearen Potentiale der USA, Ziele überall auf der Erde anzugreifen, werden nunmehr als eine Einheit betrachtet. Zusammen mit den aufwachsenden Fähigkeiten zur Raketenabwehr bilden sie ein einheitliches Abschreckungspotential. Alle militärischen Abschreckungsoptionen, ob defensiv oder offensiv, konventionell oder nuklear, wurden unter einem Kommando, dem Strategic Command (STRATCOM) zusammengefasst. Der Zweck der Abschreckung selbst wurde signifikant erweitert: Andere Staaten und nicht-staatliche Akteure sollen nicht nur davor abgeschreckt werden, Massenvernichtungswaffen einzusetzen. Sie sollen auch davon abgehalten werden, solche Waffen zu entwickeln, zu bauen oder zu beschaffen. Sie sollen gehindert werden, zentrale Technologien wie die Urananreicherung zu beherrschen, die für die Entwicklung von Massenvernichtungswaffen hilfreich sein könnten. Ganz in dieser Logik entschied George W. Bush im Kontext der Nationalen Sicherheitsstrategie und der Nationalen Strategie zur Bekämpfung von Massenvernichtungswaffen im Herbst 2002, auch präemptive und präventive militärische Schläge gegen Einrichtungen, die der Herstellung, Lagerung oder dem Einsatz von Massenvernichtungswaffen dienen könnten, zum offiziellen Bestandteil der strategischen militärischen Handlungsmöglichkeiten der USA zu machen.

Optionen der Rüstungskontrolle und Abrüstung wurden dieser Zielsetzung unter- und zugeordnet, Möglichkeiten zur Stärkung der Nichtverbreitung eingebunden und als vorrangig betont. Richard Haass, damals Politischer Direktor im amerikanischen Außenministerium, beschrieb die Rüstungskontrollpolitik der neuen Regierung als "Multilateralismus a la carte". Jeder einzelne Rüstungskontrollvertrag solle noch einmal neu bewertet werden. Das Ergebnis dieser Bewertung werde den künftigen Umgang Washingtons mit den einzelnen Verträgen bestimmen.

Die Auswirkungen dieses Neuansatzes wurden in schneller Folge sichtbar: Die Regierung Bush beschloss, den bereits unterzeichneten globalen nuklearen Teststopp-Vertrag (CTBT) nicht zu ratifizieren, um sich nicht der Möglichkeit zu berauben, neu entwickelte Nuklearwaffen zu testen. Die Verhandlungen über ein Abkommen, mit dem das B-Waffen-Verbot nach 30 Jahren endlich verifizierbar gemacht werden sollte, scheiterten. Washington befürchtete, die Verifikationsbesuche könnten zu Spionagezwecken und zum Bau von B-Waffen durch andere genutzt werden. Die USA zogen sich trotz heftiger russischer Proteste im Juni 2002 aus dem ABM-Vertrag zurück, gegen den die Aufstellung des geplanten Raketenabwehrsystems der USA verstoßen hätte. Verteidigungsminister Rumsfeld charakterisierte den Vertrag als "Relikt des Kalten Krieges". Die US-Regierung signalisierte, dass sie den START-2 Vertrag nicht mehr ratifizieren werde, und den START-1-Vertrag 2009 wohl auslaufen lassen werde. Um Russland dies schmackhafter zu machen, stimmte Washington zu, ursprünglich als gegenseitige, einseitige politisch bindende Verpflichtungen angedachte weitere nuklearstrategische Abrüstungsschritte bis 2012 doch noch in die Form eines kurzen, detailarmen Vertrages, des Moskauer SORT-Vertrages, zu gießen. Dieser hält fest, dass beide Nationen am Tag des Auslaufens der SORT-Vereinbarung ihre strategischen Nuklearpotentiale, soweit reduziert haben sollen, dass diese nicht mehr als 1.700-2.200 Atomsprengköpfe tragen können. Mancher in Washington forderte darüber hinaus die Aufkündigung des INF-Vertrages, da dieser nur den USA und Russland den Besitz landgestützter ballistischer Raketen mit 500 bis 5.500 Kilometern Reichweite verbiete und somit diskriminierend sein.

Zwei rüstungskontrollpolitische Regime blieben jedoch weitgehend von dieser radikalen Kritik verschont und fanden teilweise sogar explizit die Unterstützung der neuen Regierung: der Atomwaffensperrvertrag und das Regime zur Kontrolle von Raketentechnologie, MTCR mit dem Haager Code of Conduct. Beiden ist gemeinsam, dass sie die Proliferation verhindern sollen. Und beide Vereinbarungen unterscheiden auch zwischen jenen Staaten, die die jeweiligen Waffen bzw. Technologien legitimerweise besitzen dürfen, und jenen, die keinen Zugang zu ihnen haben sollen.

Im Blick auf den Atomwaffensperrvertrag zeigte sich diese Akzentsetzung während der Überprüfungskonferenz 2005 besonders deutlich: Vehement drängte Washington auf verbesserte Nichtverbreitungsregeln. Zugleich blockierte die US-Delegation aber jede Formulierung und Verpflichtung zu nuklearer Abrüstung. Man fühle sich an die "Principles and Objectives", die während der Überprüfungs- und Verlängerungskonferenz 1995 verabschiedet wurden, und vor allem an die "13 Schritte" zu deren Implementierung, die während der NVV-Überprüfungskonferenz 2000 vereinbart wurden, nicht länger gebunden. Beide Dokumente betonen die Absicht der Vertragsstaaten, sowohl die nukleare Abrüstung als auch die nukleare Nichtverbreitung zu stärken und machen dafür konkrete Vorschläge, verbunden mit Zeithorizonten. Ihre Verabschiedung war aus Sicht der meisten Vertragsteilnehmer die Voraussetzung dafür, dass 1995 dem Wunsch der USA und anderer entsprochen wurde, den Atomwaffensperrvertrag unbegrenzt und ohne weitere Bedingungen zu verlängern.

Erschwert wurde die Diskussion über die Zukunft der nuklearen Rüstungskontrolle und Abrüstung zudem durch die Modernisierungsplanungen, die die Regierung Bush für das amerikanische Nuklearpotential entwarf. Eine umfassende Modernisierung der nuklearindustriellen Infrastruktur (Complex 2030), der nuklearen Trägersysteme und der nuklearen Sprengköpfe (Reliable Replacement Warhead, zuvor die Debatten über mögliche Mini-Nukes und Bunker-Buster) sei eine wesentliche Voraussetzung für weitere substantielle Reduzierungen des strategischen Nuklearpotentials der USA, argumentierte die Regierung Bush. Da Washington schon derzeit über das stärkste und technologisch fortschrittlichste Nuklearpotential der Erde gebietet, hatte diese Argumentationslinie zwei Folgen: Viele nicht-nukleare Staaten deuteten die Pläne der USA als zeitlich unbegrenztes Festhalten an Nuklearwaffen und ein Vertagen der Abrüstungsverpflichtung aus dem Atomwaffensperrvertrag auf den Sankt-Nimmerleinstag. Zugleich veranlasste diese Haltung die anderen etablierten Nuklearmächte, ebenfalls langfristig auf den Besitz substantieller Nuklearpotentiale zu setzen und nukleare Modernisierungsvorhaben voranzutreiben: Russland wird seine veraltenden strategischen Nuklearwaffen modernisieren und kündigte deren Rundumerneuerung an. Großbritannien plant neue atomar bewaffnete Raketen-U-Boote, mit denen es seine Nuklearabschreckung bis weit in die zweite Jahrthunderthälfte aufrecht erhalten könnte. Frankreich sieht ähnlich wie China keinen Grund, die eigenen technologisch nachholenden nuklearen Modernisierungsprogramme zu überdenken. Nuklearen Nachrückern wie Pakistan und Indien bietet diese Entwicklung die Option, den Aufbau breit ausgefächerter, eigener nationaler Nuklearpotentiale zu rechtfertigen.

Die die Rüstungskontrolle kritisch oder ablehnend betrachtende und sie den eigenen militärischen Modernisierungsplänen unterordnende Politik der Regierung Bush darf als die eigentliche Ursache der aktuellen Geringschätzung von Rüstungskontrolle und Abrüstung gelten. Diese hat die Deregulierung der internationalen Beziehungen gefördert, trägt zur Schwächung der Rolle des internationalen Rechts bei und verhindert die Entwicklung eines effizienten Multilateralismus, der auf einer zunehmenden Verrechtlichung der internationalen Beziehungen fußt. Etliche andere Nuklearmächte haben sich entschlossen, der Modernisierung und Transformation ihrer eigenen Streitkräfte ebenfalls Vorrang vor der rüstungskontrollpolitischen Einhegung weiterer Modernisierungsrunden zu geben und damit die von Washington induzierten Tendenzen verstärkt. Russland allerdings ist noch einen Schritt weitergegangen. Es hat signalisiert, dass es mit einer solchen Deregulierung notfalls leben könne und sie zum eigenen Vorteil und zur Wiedergewinnung eigener militärischer Handlungsmöglichkeiten zu nutzen gedenke, wenn kein Umdenken stattfindet.

Auffällig ist zudem, wie schnell der anfänglich laute Widerspruch gegen diese Entwicklung, den einige westliche Bündnispartner Washingtons zunächst formulierten, leiser wurde und sich dann zunehmend in Resignation verwandelte. Staaten, die sich wie die Bundesrepublik Deutschland als Aktivposten für Rüstungskontrolle und Abrüstung sehen und verstehen, ergriffen immer seltener die Initiative und reagierten zunehmend defensiv, wenn eigene Interessen durch die Infragestellung bestehender rüstungskontrollpolitischer Vereinbarungen negativ berührt wurden. Das "rüstungskontrollpolitische Acquis", das es unbedingt zu erhalten gelte, wurde zum Symbolbegriff für diese Haltung. Vorschläge für eine andere Agenda, eine Politik des Ausbaus der Rüstungskontrolle unterblieben oft ganz, da man sie entweder für aussichtslos hielt oder - angesichts anderer Kontroversen mit den USA – das Entstehen weiterer Konfliktfelder vermeiden wollte. Mangelnde Einigkeit unter Washingtons europäischen Bündnispartnern tat ein übriges. Die Aktivitäten zur Entwicklung rüstungskontrollpolitisch wirksamer Schritte beschränkten sich deshalb je länger desto deutlicher auf die Stärkung der Nichtverbreitung und damit auf das Bemühen, mit den USA in Bereichen zu kooperieren, an denen auch die Regierung Bush Interesse zeigte. Als Beispiel für eine solche Politik kann die "Europäische Strategie gegen die Verbreitung von Massenvernichtungswaffen" dienen.

In der Konsequenz trug dieses defensive Vorgehen jedoch indirekt dazu bei, dass sich die rüstungskontrollkritische Tagesordnung der USA immer weiter durchsetzen sowie mittel- und längerfristige Wirkungen erzielen konnte. Zu diesen gehört es, dass mittlerweile auch andere Staaten ihren nationalen Modernisierungsplänen wieder Vorrang vor der Weiterentwicklung der Rüstungskontrolle oder gar Abrüstung einräumen. Auch die weitgehende Konzentration rüstungskontrollpolitischer Debatten auf Bemühungen, Proliferation selektiv zu verhindern, indem zwischen legitimen und illegitimen Nutzern relevanter Technologien unterschieden wird, gehört zu diesen Wirkungen. Die Resultierende im politischen Kräfteparallelogramm oder besser Kräftepolygon hat sich deshalb auch zu Ungunsten von Rüstungskontrolle, Abrüstung und rechtsbasiertem, effizienten Multilateralismus verschoben, weil es einen Mangel an Akteuren und Kräften gab, die rüstungskontrollpolitische Initiativen stärken und zur Ausgestaltung von Weltordnung einsetzen wollten bzw. dies auf die politische Tagesordnung gesetzt hätten.


3. Mögliche Wege aus der Krise

Versuche, die Rüstungskontrolle kurzfristig und effektiv wiederzubeleben, dürften derzeit zum Scheitern verurteilt sein. Sowohl in Russland als auch in den USA – wichtigen Akteuren, ohne die es nicht geht – stehen bis Ende 2008 Parlaments- und Präsidentschaftswahlen an. In beiden Ländern können die Präsidenten nicht wiedergewählt werden. Die Rüstungskontrollthematik ist für den Wahlausgang ohne große Bedeutung. Substantieller Fortschritt dürfte also erst wieder möglich werden, wenn die neuen Administrationen 2008 bzw. 2009 ihre Arbeit aufgenommen haben und ihre strategischen Ziele festlegen. Dann aber drängt auch bereits die Zeit. Im Frühjahr 2009 werden auf einer letzten Vorbereitungskonferenz die Weichen für die Überprüfungskonferenz des NVV im Jahr 2010 gestellt. Bis Ende 2009 muss über die Zukunft des START-1 Vertrages entschieden sein, der viele wichtige technische Regelungen und Definitionen enthält. Damit verbunden wird wohl auch eine Entscheidung über die Zukunft des Moskauer SORT-Vertrages bzw. einen Nachfolgevertrag zu fällen sein. Unklar ist, ob sich die Zukunft des KSE-Regimes schon 2008 oder erst 2009 entscheidet.

Bis dahin verdienen vor allem zwei Aufgaben besondere Aufmerksamkeit. Die erste besteht darin, eine weitere Verschlechterung des politisch-klimatischen Umfelds für künftige Versuche der Wiederbelebung von Rüstungskontrolle und Abrüstung zu vermeiden. Das ist durchaus möglich.

In Russland wird der neue Präsident früher gewählt als in Washington. Er wird entscheiden müssen, ob den rüstungskontrollpolitischen Drohgebärden der scheidenden Präsidentschaft Putin praktische Konsequenzen und Taten folgen werden. Manches deutet darauf hin, dass Russland durchaus bereit sein könnte, Rüstungskontrolle und Abrüstung künftig wieder stärker zu gewichten. Alle russischen Drohungen, bestehende Rüstungskontrollverträge auszusetzen oder aufzugeben, folgten bisher derselben Logik: Russland sei im Prinzip bereit, die bestehenden Verträge weiter zu beachten, könne aber auch ohne sie leben. Verbunden wurde dies jeweils mit politischen Forderungen, die zu erfüllen wären, damit Russland aus den jeweiligen Regimen nicht ausschert. Die Forderungen ihrerseits signalisierten die russische Bereitschaft zu Verhandlungen über erweiterte und verbesserte Regelungen in den einzelnen Regimen. Russland hat im Blick auf das KSE-Regime deutlich gemacht, dass ihm über die Ratifzierung des AKSE-Vertrages durch den Westen hinaus an einem dritten KSE-Vertrag gelegen wäre, wenn dieser die Änderungen der politischen Geopgraphie Europas widerspiegelt, die sich durch die zweite Erweiterung der NATO ergeben haben. Im Blick auf den INF-Vertrag strebt Russland eine Multilateralisierung an. Die Bundesrepublik hat signalisiert, dass sie einem solchen Bemühen nicht im Wege stehen werde. Auch an einer Nachfolgeregelung für die START-1 und SORT-Verträge dürfte Moskau interessiert sein. Sie könnte den russischen Finanzbedarf für Modernisierungen im nuklearstrategischen Bereich begrenzen. Hinzu kommt, dass Wladimir Putin mit Dmitri Medwedew auf einen Nachfolger im Präsidentenamt setzt, der zum einen ein klares Interesse an strategischer Kooperation mit Europa signalisiert und zum anderen deutlich gemacht hat, dass auch er bei den staatlichen Investitionen beabsichtigt, wirtschaftlich relevante Infrastrukturinvestitionen höher zu gewichten als den Ausbau der russischen Militärmacht.

Wenn entsprechende Signale Moskaus nicht nur Rhetorik sind, könnten europäische Bekundungen eines starken Interesses an einer Wiederbelebung von Rüstungskontrolle und Abrüstung dazu beitragen, Moskaus neue Führung zu überzeugen, vorläufig keine negative Entscheidung über die Zukunft dieser Verträge zu treffen, bis auch in Washington eine neue Regierung im Amt ist und signalisieren kann, wie sie die Zukunft von Rüstungskontrolle und Abrüstung sieht.

Das könnte auch deshalb sinnvoll sein, weil etliche der zur Disposition gestellten Rüstungskontrollverträge nicht nur für sich alleine stehen. Ihre Aufkündigung dürfte Auswirkungen über die eigentlichen Verträge hinaus haben. So enthält das KSE-Regime eine Vielzahl von mühsam erarbeiteten Definitionen und Regelungen, die ihrerseits wiederum die Basis für andere vertragliche Vereinbarungen – zum Beispiel auf dem Balkan oder in Sachen Transparenz - sind. Das deutsche Verteidigungsministerium befürchtet beispielsweise, dass ein Wegfall des KSE-Regimes auch den Vertrag über den Offenen Himmel oder das Wiener Dokument über Vertrauens- und Sicherheitsbildende Maßnahmen in Mitleidenschaft ziehen würde. Auch mit dem 2009 auslaufenden START-1-Vertrag ist eine Vielzahl technischer Definitionen, Durchführungsvereinbarungen und Gesprächsforen zwischen Russland und den USA verkoppelt. Würde kein Nachfolgevertrag erarbeitet, so stünden sie nicht länger für das Feld der strategisch nuklearen Rüstungskontrolle zur Verfügung und würden jede künftig Verhandlung über dieses Thema deutlich erschweren, weil erneut bei Adam und Eva begonnen werden müsste. Zudem besteht in beiden Fällen die Gefahr, dass Definitionen, Regeln, Pflichten und Foren entfallen, die zu Transparenzzwecken und für den vertrauensbildenden Dialog im Streitfall geschaffen wurden und sich immer wieder als nützlich erwiesen haben.

Auch mit Blick auf die USA empfiehlt sich ein möglichst frühzeitiges Handeln. Bis zu den Wahlen können an Rüstungskontrolle und Abrüstung interessierte Europäer in Washington bei Think Tanks und Abgeordneten der demokratisch dominierten Häuser des Kongresses dafür werben, zumindest die Rahmenbedingungen für Rüstungskontrolle und Abrüstung nicht weiter zu verschlechtern. Werden der gegenwärtigen Administration zum Beispiel keine Gelder mehr bewilligt, die Schritte finanzieren sollen, die das Umfeld für Rüstungskontrolle und Abrüstung verschlechtern würden, so wäre bereits einiges gewonnen. So könnten die Demokraten mit Fug und Recht argumentieren, dass weitreichende, den nächsten Präsidenten festlegende Entscheidungen, die das Verhältnis zu Europa und Russland beeinflussen könnten, erst von einer künftigen Administration getroffen werden sollten. Dieses Argument kann sowohl mit Blick auf die Finanzierung der Entwicklung neuer Atomsprengköpfe als auch auf die Stationierung von Raketenabwehrsystemen in Europa geltend gemacht werden. Bei den Haushaltsverhandlungen für 2008 hat sich bereits gezeigt, dass dazu eine gewisse Bereitschaft bestehen könnte. Darüber hinaus könnte es sinnvoll sein, amerikanische Präsidentschaftsbewerber dafür zu sensibilisieren, dass bereits kurz nach ihrem Amtsantritt weitreichende rüstungskontrollpolitische Weichenstellungen bevorstehen. Nichtstun wäre im Blick auf die Zukunft des Atomwaffensperrvertrages, aber auch im Blick auf die KSE- und START-Verträge für die Zukunft der Rüstungskontrolle schädlich. Mithin muss, wer am Instrument der Rüstungskontrolle interessiert ist, frühzeitig an eine geeignete Personalauswahl denken.

Die zweite Aufgabe, der sich Befürworter einer künftigen Wiederbelebung von Rüstungskontrolle und Abrüstung stellen sollten, besteht in der Entwicklung und Vorbereitung neuer Initiativen in diesem Bereich. Solche Initiativen können an die neuen Administrationen in Russland und den USA herangetragen werden, sobald diese im Amt sind. Sie könnten einen Beitrag dazu leisten, die Tagesordnung der neuen Administrationen positiv zu beeinflussen. Zwei aus der aktuellen Situation abgeleitete und eine neuartige Initiative sollen zu diesem Zweck hier beispielhaft angedacht werden.



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