"Aktuelle Probleme der internationalen Beziehungen"
Institut für Internationale Beziehungen der Taras-Schewtschenko-Nationaluniversität Kiew
Vortrag Mai 2004, erschienen in Heft 47 / Teil II, Kiew 2004


EU und NATO: Unterschiedliche Ziele, Geschwindigkeiten und Räume der Integration

von Christopher Steinmetz

1. Einleitung:

Nach den jüngsten Erweiterungsrunden der NATO und der Europäischen Union ist die Aufnahme weiterer osteuropäischer Staaten für die nächste Dekade unwahrscheinlich geworden. Alleine Bulgarien, Kroatien und Rumänien können sich berechtigte Hoffnungen auf einen EU-Beitritt machen. Damit wurden auch den offiziell mehrfach geäußerten Erwartungen und Wünschen der ukrainischen Regierung auf eine mittelfristige Einladung zum Beitritt eine Absage erteilt.

Die Art und Weise der Osterweiterung der NATO und EU verschärft den Druck auf die ukrainische Politik, die Ziele und Instrumente ihrer Außen- und Sicherheitspolitik zu überdenken und gegebenenfalls den neuen Verhältnissen anzupassen. Dies setzt voraus, dass tatsächlich eine realistische Einschätzung der eigenen Kapazitäten, des eigenen Handlungsspielraums (auch nach Innen) vorgenommen wird. Ist die Ukraine wirklich bereit, die von der NATO und EU geforderten Reformen des politischen Systems, der Judikative und der Ökonomie umzusetzen? Wieviel Zeit wird die Umsetzung der Reformen brauchen? Wird man am Ende wirklich der NATO und/oder EU beitreten dürfen?

Die letzte Frage verweist auf eine wesentliche Problemstellung für die Formulierung und Umsetzung einer tragfähigen ukrainischen Außen- und Sicherheitspolitik. Die Ukraine muß zu einer realistischen Einschätzung der Interessen und Möglichkeiten der NATO und der EU kommen.

Die Interessen der NATO und der EU an einer Osterweiterung bzw. an der Aufnahme neuer Mitgliedsstaaten divergieren in vielen Aspekten und sind zum Teil gegenläufig. Für die NATO, als primär militärisches Bündnis, ist der Integrationsraum eine Konsequenz der Sicherheitsvorsorge und – begrenzt - der Verbesserung der militärischen Interventionsfähigkeit. Für die EU ist der Integrationsraum abhängig von den ökonomischen und gesellschaftlichen Integrationskapazitäten im Inneren. Potentielle Beitrittskandidaten laufen Gefahr, durch eine passive Politik zwischen NATO und EU "aufgerieben" zu werden. Dies gilt auch für die Ukraine. Verhält sie sich weiter passiv, könnte ihr bald jede wirkliche Gestaltungsmöglichkeit fehlen.

Im folgenden werden die unterschiedlichen strategischen Interessen der NATO und der EU bezüglich der zukünftigen Rolle der Ukraine kurz durch eine Skizzierung der Entwicklung des jeweiligen Beziehungsgeflechts dargestellt. Aufgrund der Fokussierung auf die sicherheitspolitischen Aspekte des Westen wird auf den Faktor Rußland, auf die Komplexitäten der ukrainischen Innenpolitik und auf die ökonomische Dimension nur am Rande eingegangen. Im Anschluss wird auf dieser Grundlage eine kurze Einschätzung der ukrainischen Handlungsoptionen für die Zukunft gegeben.


2. Entwicklung der Beziehungen zur NATO

2.1. Kurzer Rückblick

Inzwischen blicken NATO und Ukraine auf eine zehnjährige gemeinsame Vergangenheit zurück. Auftakt der Beziehungen war die Unterzeichnung des Partnership for Peace (PfP) Abkommens 1994. Für die Ukraine war es in erster Linie eine wichtige symbolische Sicherheitsgarantie. Die NATO erklärte sich bereit, die Souveränität und territoriale Integrität der Partnerstaaten zu unterstützen. In diesem Sinne erfüllte PfP die Funktion einer vertrauensbildenden Maßnahme und war ein erstes Forum zur Diskussion von sicherheitspolitischen Fragen. Es unterstützte den Ablösungsprozess von Rußland.

Allerdings hatte das PfP-Programm auch eine handfeste militärische Komponente. Es sollte die Ukraine bei der notwendigen Streitkräftereform unterstützen. Neben dem Umbau der Kommando- und Befehlsstrukturen ging es vor allem um die militärische Ausbildung und Herstellung der Interoperabilität. In den Augen der NATO sollte damit die spätere Integration in das Bündnis erleichtert werden. Ein weiteres erklärtes Ziel der NATO war die "Demokratisierung der Streitkräfte". Mit dieser sollten die Führungskader auch die westlichen politischen Werte und Ziele übernehmen. Während aber im Bereich der militärischen Ausbildung und Strukturreform einige Fortschritte erzielt wurden, stagnierte die gesellschaftliche Dimension der Streitkräftereform.

Die in Madrid 1997 vereinbarte Charta über eine besondere Partnerschaft zwischen der NATO und Ukraine war in gewisser Weise die logische Konsequenz des ungelösten Spagats zwischen den Interessen der Ukraine an symbolischer Partnerschaft auf Augenhöhe sowie finanzieller Unterstützung für das Verteidigungsministerium und den Interessen der NATO an einer konkreten Streitkräftereform. Im Zuge von Madrid wurde eine Gemeinsame Arbeitsgruppe zur Militärreform eingesetzt, die tatsächlich einige Fortschritte erzielte bei der Transparenz in der Ukrainischen Armee und der Modernisierung. Im Gegenzug erhielt die Ukraine Zugang zu den NATO-Ausschüssen und wurde in Konsultationsprozesse eingebunden.

Das Jahr 1999 markierte dann einen Tiefpunkt in den Beziehungen der Ukraine zur NATO. Die ukrainische Regierung kämpfte mit einer Wirtschaftskrise und die Wahlen standen vor der Tür. Die NATO Intervention im Kosovo "Operation Allied Force" demonstrierte zudem deutlich, wie eingeschränkt der Einfluss der Ukraine in der NATO war.

Als daher die NATO auf dem Gipfel in Washington ihr neues strategisches Konzept verabschiedete und die Aufnahme weiterer PfP-Staaten in Aussicht stellte, war die Ukraine nicht dabei. Von der Konzipierung des Beitrittsprozesses her hatte die NATO ohnehin hohe Hürden durch den Membership Action Plan (MAP) errichtet. Ein wichtiges Merkmal war die Miteinbeziehung nicht-militärischer Reformbereiche, wie z.B. die Judikative und Wirtschaftspolitik.

In den nächsten Jahren zeigte sich allerdings, dass aufgrund der Neudefinition der NATO auch als Interventionsbündnis, die aktive Teilnahme von Kandidatenstaaten an NATO-Einsätzen höher bewertet wird, als die Erfüllung der gesellschaftlichen Reformen. Die Ukraine beschleunigte die formale Umsetzung der nächsten Schritte. Das im Jahr 2000 ratifizierte PfP Status of Forces Agreement sicherte den Status von NATO-Soldaten in der Ukraine. Die Ukraine beschloss als Teil der Streitkräftereform bis 2005 Krisenreaktionskräfte für sogenannte "low-intensity" Konflikte aufzustellen. Die ukrainischen Streitkräfte beteiligten sich an KFOR.

Parallel zum NATO-Erweiterungsbeschluss bezüglich der MAP-Staaten wurde 2002 in Prag der NATO-Ukraine Action Plan vereinbart. Die bisherige Zusammenarbeit wurde den neuen Verhältnissen angepasst. Dieser "Action Plan" ist im wesentlichen identisch mit den MAP mit Ausnahme eines Beitritts-Automatismus bei erfolgreicher Umsetzung der Planungsziele. Der "Action Plan" mahnt weitreichende Reformen in der Ukraine an: Demonopolisierung der Politik und Ökonomie und eine Veränderung der Beziehungen zwischen Staat und Bürger. Gleichzeitig belegt er die neue pragmatische, von machtpolitischen Interessen geleitete Herangehensweise der NATO. Neben der Fortführung der Streitkräftereform soll die Ukraine sich auch stärker militärisch engagieren, z.B. bei KFOR aber auch in Rahmen des regionalen GUUAM-Sicherheitsbündnisses. Auf der sicherheitspolitischen Ebene wünscht die NATO einen Beitrag im Kampf gegen den Terrorismus (Gewährung von Überflugrechten, Verbesserung der Rüstungskontrolle und Unterbindung von illegaler Migration) und eine Festlegung der Grenzen zu Rußland, vor allem im Schwarzen Meer.

Im Zuge des "Action Plans" wurde ein Memorandum of Understanding zum Host Nation Support Statut unterzeichnet und die Ukraine beteiligte sich auch am Irak-Krieg, u.a. durch Entsendung eines ABC-Abwehrbataillons nach Kuweit und Gewährung von Überflugrechten für NATO-Staaten.

 

2.2. Bilanz

Insgesamt ist die Entwicklung des Verhältnisses zur NATO aus Sicht der Ukraine hinter den geäußerten Erwartungen zurückgeblieben. Die NATO hat kein Beitrittsversprechen gegeben. Die Ende 2003 von den NATO Außenministern angeführten Vorbehalte lassen dies auch für die nächste Zeit nicht erwarten. Sie forderten von der Ukraine Fortschritte in folgenden Bereichen: freie Wahlen, freie Medien, Stärkung der Zivilgesellschaft, der Judikative und der Rechtsstaatlichkeit, sowie eine Verbesserung der Rüstungsexportkontrolle.

Die NATO hat sich alle Optionen offen gelassen um die Beitrittschancen via der verlangten demokratischen Reformen zu verzögern oder im Zweifelsfall aus militärischen oder politischen Gründen zu beschleunigen. Vieles deutet darauf hin, dass die NATO weiter an einem Sonderverhältnis zur Ukraine interessiert ist. Schließlich hat die NATO einige übergeordnete Ziele bezüglich der Ukraine schon erreicht:

  • Der NATO ist es gelungen, die Ukraine militärisch und sicherheitspolitisch weitestgehend aus dem engeren Einflussbereich Rußlands herauszulösen. Die Ukraine bildet militärisch eine neutrale Pufferzone.
  • Die Ukraine ist 1994 dem NPT beigetreten und hat seitdem die sowjetischen Atomwaffen und Trägersysteme rücküberführt oder zerstört.
  • Die Ukraine hat sich bereit erklärt, das neue Strategische Konzept der NATO zu unterstützen und einen eigenen militärischen Beitrag für Interventionseinsätze zu leisten.

Dazu kommen noch eine Reihe von nachgeordneten Interessen der NATO (und der USA):

  • Für die Zukunft besteht nach wie vor die Möglichkeit einer Stationierung von NATO-Einheiten, die eine bessere "Power Projection" der NATO-Macht über das Schwarze Meer und die Kaukasus-Region erlauben würde.
  • Auch eine neutrale Ukraine als NATO-Partner erlaubt die Kontrolle wichtiger Energietransportwege und die Überwachung der Aktivitäten der russischen Schwarzmeerflotte auf der Krim-Halbinsel.
  • Langfristig wird die Kooperation mit der NATO vor allem im Bereich der Modernisierung und Herstellung von Interoperabilität die Marktchancen westlicher Rüstungskonzerne in der Ukraine verbessern.

 

2.3. Ausblick

Vier Faktoren werden wahrscheinlich die weitere Entwicklung der Beziehung der NATO zur Ukraine prägen. Die ukrainische Regierung sollte daher überlegen, welchen Einfluss sie auf die Faktoren nehmen kann und will.

Der wichtigste Faktor ist der Stellenwert, den die USA einer von Rußland unabhängigen und kooperationsbereiten Ukraine beimisst. Seit der Unterzeichnung des Military Support Agreements 1993 hat sich die USA direkt an der Finanzierung des (militärischen) Transformationsprozesses beteiligt und den politischen Apparat dadurch eingebunden. Soweit es ging, hat sich die USA dabei auch des Umweges über die NATO-Strukturen bedient. Noch mehr als bisher wird die USA auch über die NATO auf eine aktive militärische Beteiligung der Ukraine am sogenannten "Kampf gegen den Terrorismus" dringen.

Zweiter Faktor ist der diskrete Machtkampf innerhalb der NATO zwischen den europäischen Staaten, die eine stärkere sicherheitspolitische Rolle der EU befürworten, und den USA. Die "Europäer" könnten der Aufnahme weiterer "pro-amerikanischer" Staaten ablehnend gegenüber stehen. Außerdem könnten die EU-Staaten versuchen, indirekt eine Aufnahme der Ukraine in die NATO zur Vorbedingung einer EU-Mitgliedschaft zu machen und im parallel dazu den Maßnahmenkatalog des NATO Action Plans sehr umfassend auszulegen.

Ein dritter Faktor ist die weitere Entwicklung der Beziehungen der Ukraine zu den NATO-Nachbarstaaten. Vor allem sie sind es, die innerhalb der NATO-Strukturen für eine Intensivierung der Beziehungen zur Ukraine werben können und entsprechende Kooperationsprogramme initiieren können.

Der vierte Faktor ist die Entwicklung des Verhältnis zwischen der NATO und Russland. Letzen Endes war die Bedeutung der Ukraine für die NATO immer eine Folge der Beziehungen der NATO zu Rußland. (Gleiches gilt im übrigen für die Interessen der USA.) Wichtige Vereinbarungen mit der Ukraine wurden erst umgesetzt nachdem NATO und Rußland ähnliche Schritte vereinbart haben. Bis 2001 hatte die ukrainische Regierung von dem schwierigen Verhältnis zwischen beiden profitiert. Seit den terroristischen Anschlägen in den USA vom September 2001 haben sich die Beziehungen zwischen Russland und der NATO erheblich entspannt. Die USA und Russland haben beim Krieg gegen den Terrorismus eine Reihe von Gemeinsamkeiten entdeckt. Je mehr Russland zu einem aktiven Partner wird, desto mehr wird die Bedeutung der Ukraine schwinden.


3. Entwicklung der Beziehungen zur EU

3.1. Kurzer Rückblick

Eine Darstellung der bisherigen Entwicklung der sicherheitspolitisch relevanten Beziehungen der Ukraine zur Europäischen Union (EU) fällt vergleichsweise kürzer aus. Erst seit 1998 werden sicherheitspolitische Fragestellungen explizit von den Entscheidungsstrukturen der EU bearbeitet. Davor verfolgte die Europäsche Union eher eine allgemeine auf regionale Stabilität orientierte Außenpolitik.

Der Rahmen für die Beziehungen zwischen der EU und der Ukraine wurde durch das 1994 vereinbarte Partnership Cooperation Agreement (PCA) abgesteckt, welches erst 1998 in Kraft trat. Das PCA ist symbolisch für die gesamte Schwerfälligkeit der Beziehung. Es verfolgt einen technokratischen Ansatz und beschäftigt sich vorwiegend mit ökonomischen Aspekten. Für den politischen Dialog waren nur die jährlichen Treffen des Kooperationsrates und eines entsprechenden Ausschusses des Europäischen Parlaments vorgesehen.

Eine EU-Mitgliedschaft wurde der Ukraine nie in Aussicht gestellt. Der ökonomische und demokratische Reformaufwand wurde als zu erheblich eingestuft. Stattdessen wurde indirekt von der EU bereits ein Sonderverhältnis zur Ukraine zementiert. De facto wurde die Ukraine eher der Gemeinschaft Unabhängiger Staaten zugerechnet – sprich dem Einflussbereich Russlands. Entsprechend stagnierten die Beziehungen. Die EU beharrte auf Erfüllung aller Punkte und die ukrainische Regierung sah nicht den Mehrwert der tiefgreifenden Reform ohne die Aussicht auf einen Beitritt.

Allerdings gewinnt der Dialogprozess seit 1998 an Dynamik. Vor allem die EU scheint ihre Strategie zu überdenken und eine klarere Position einzunehmen. Ein Grund ist mit Sicherheit die wachsende Relevanz der ESVP für den europäischen Integrationsprozess und damit zwangsläufig auch die Notwendigkeit ein "Außen" zu definieren. Folgerichtig wurde Ende 1998 von der EU beschlossen Gemeinsame Strategien für Russland, Ukraine und die südlichen Mittelmeerstaaten zu erarbeiten. Die EU ging dazu über in Teilbereichen eine intensivere Kooperation anzustreben, wie z.B. bei der Migration und Grenzkontrolle.

Mit der Ende 2002 und Anfang 2003 entwickelten Konzeption einer neuen Nachbarschaftsstrategie "Wider Europe – New Neighbourhood" versucht sich die EU nun mit einer differenzierteren Herangehensweise. Die Ukraine gilt nun als "Western Newly Independent State" und wird damit nicht mehr in einen Topf u.a. mit den zentralasiatischen GUS-Staaten geworfen. Die Kooperation im ESVP wird vorsichtig aufgenommen. 2002 haben die EU und die Ukraine eine Vereinbarung über die Entsendung eines ukrainischen Liason-Offiziers zum EUMS getroffen. Die Ukraine hat sich auch im Jahr 2003 mit fünf Polizisten an der Polizeimission der EU in Bosnien beteiligt.

 

3.2. Bilanz

Auch die Entwicklung der Beziehungen zur EU ist aus ukrainischer Sicht weit hinter den Erwartungen zurückgeblieben. Ein Beitritt zur EU ist auf absehbare Zeit unwahrscheinlich. Obwohl die ukrainische Regierung wiederholt betont hat, dass EU-Integration vorrangig sei, hat sie wenig in diese Richtung unternommen Die Divergenz zwischen den ökonomischen und politischen Vorgaben und der Realität in der Ukraine ist groß geblieben. Außerdem: Obwohl die Europäische Union die Festlegung einer endgültigen Außengrenze der EU theoretisch offen lässt, war und ist ihr vorrangiges Ziel, den bisherigen inneren Integrationsprozess erfolgreich abzuschließen. Und die Gesamtbelastungen der jetzigen EU-Erweiterungsrunde sind noch nicht abzusehen. Daher war die EU schon mit einer stabilen Ukraine zufrieden, die auch als eine wirtschaftliche Pufferzone zu Russland dient.

 

3.3. Ausblick

Neben dem Primat einer erfolgreichen inneren Konsolidierung nach der zweiten Erweiterungsrunde werden u.a. folgende Faktoren wahrscheinlich die zukünftigen Beziehungen der EU zur Ukraine bestimmen:

Erstens wäre der wachsende Stellenwert der ESVP für die Europäische Union zu nennen. Viel wird davon abhängen in welchem Ausmaß die EU-Staaten als eigenständiger Akteur und unabhängig von den USA und der NATO auftreten wollen. In diesem Fall würden sie mittelfristig Partnerstaaten an den Außengrenzen benötigen, die die EU diplomatisch und militärisch unterstützen können. Die Ukraine könnte stabilisierende Wirkung bis in den Transkaukasus entfalten.

Zweitens werden die Interessen der EU-Nachbarstaaten an der Ukraine die Beziehungen beeinflussen. In den jeweiligen Grenzregionen haben sich rege Kontakte und Wirtschaftsstrukturen ergeben, deren Fortdauern im Interesse dieser Staaten liegt. Über Ausnahmeregelungen bezüglich der Ukraine könnte eine engere Anbindung erreicht werden, die wiederum zu einem späteren Zeitpunkt den Beitritt erleichtern könnte.

Drittens wird das wachsende strategische Interesse der EU an diversifizierten Energietransportrouten und Bezugsquellen aus dem Osten die Beziehungen beeinflussen.

Viertens ist nach wie vor das Verhältnis der EU zu Russland ein wichtiger Bestimmungsfaktor. Bis 2002 scheint die EU die Ukraine weitestgehend im Rahmen ihrer "Russland-Politik" behandelt zu haben. Ähnlich wie die NATO hat auch die EU in der Regel zuerst mit Rußland Vereinbarungen getroffen. Erst dann traten Abkommen mit der Ukraine in Kraft. Ein weiterer Ausbau der Beziehungen zu Russland, auch im sicherheitspolitischen Bereich, könnte für die Ukraine die Chancen auf eine engagierte Zusammenarbeit reduzieren.


4. Herausforderungen für die Ukraine / Zukunft der Beziehungen

Sowohl EU als auch NATO haben die meisten realistischen Ziele bereits durch den unverbindlichen Dialogprozess mit der Ukraine erreicht. Damit besteht wenig Anlass für beide, der Ukraine mittelfristig einen Beitritt in Aussicht zu stellen. Zu Fragen der regionalen Stabilität und Sicherheit werden die EU und die NATO den direkten Kontakt mit Russland suchen und sich über die Ukraine hinweg einigen. Umgekehrt heißt dies für eine ukrainische Regierung, dass es sich nur bedingt lohnt, auf eine Änderung der NATO- und EU-Vorgaben hinzuarbeiten. Entweder ist die ukrainische Regierung also bereit, sämtliche Vorgaben zu erfüllen und der Erfüllung zur Priorität zu erklären, oder sie muß eigenständige tragfähige Alternativen und Initiativen entwickeln.

Rückblickend erscheint die Außen- und Sicherheitspolitik der Ukraine als zu passiv. Eigene Vorstellungen wurden selten formuliert und wenn, schienen sie mehr eine Konsequenz innenpolitischer Entwicklungen und von Eliteninteressen zu sein. Bei einem Verharren in dieser Rolle könnte der Ukraine ein ähnliches Schicksal wie der Türkei drohen, die sich trotz aller öffentlichen Statements in einer ewigen Warteschleife zu befinden scheint.

Die Ukraine könnte allerdings versuchen, aus den Erfahrungen der Türkei zu lernen und im Gegenzug für ein Ruhen der Beitrittsambitionen Zugeständnisse in Teilbereichen zu erreichen. Außerdem sollte die Ukraine gezielt andere Staaten als Kooperationspartner in einigen Bereichen suchen, um dann auch gegenüber der EU oder Russland eine bessere Verhandlungsposition zu besitzen. All dies setzt allerdings voraus, dass im Inneren demokratische Formulierung und eine klare, transparente Vermittlung dieser außenpolitischen Ziele stattfindet. Nur so vermeidet der Staat eine innergesellschaftliche Enttäuschung und bleibt nach Außen handlungsfähig.


 

ist wissenschaftlicher Mitarbeiter bei BITS und freier Journalist.