BITS Policy Note 99.3
ISSN 1434-3274
30. Oktober 1999

Optionen einer veränderten Rüstungsexportpolitik
Eine Ideenskizze zur aktuellen Debatte

von Otfried Nassauer

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Einführung

Der Koalitionsvertrag zwischen SPD und Bündnis 90/Die Grünen sieht vor, die Rüstungsexportrichtlinien der Bundesregierung, zuletzt 1982 gefaßt, zu überarbeiten und dabei die Menschenrechtssituation in den Empfängerländern zu berücksichtigen. Zwei weitere Passagen dieses Vertrages haben indirekt Relevanz für die künftige Rüstungsexportpolitik:

  • die beabsichtigte Überarbeitung der Kriterien für die Vergabe von Hermes-Bürgschaften und

  • die Reaktivierung des Bundessicherheitsrates in all seinen traditionellen Funktionen.

Nach 17 Jahren gemischter und oft umstrittener Erfahrungen mit den Politischen Grundsätzen des Jahres 1982 wies der Koalitionsvertrag somit erstmals den politischen Willen zu einer Überprüfung der Politischen Grundsätze auf. Er machte allerdings keine detaillierten Vorgaben bezüglich des Umfangs bzw. des Charakters der angestrebten Überarbeitung der Richtlinien.

Im Frühjahr und Sommer 1999 wurde seitens der im Bundessicherheitsrat vertretenen Ministerien der Entwurf für veränderte Politische Grundsätze erarbeitet. Dieser wurde im Bundessicherheitsrat, der mit dem BMZ unter der neuen Bundesregierung ein weiteres stimmberechtigtes Mitglied erhielt, und beginnend mit 1999 wieder regelmäßig als Kabinettsausschuß tagte, im September 1999 verabschiedet. Das Bundeskabinett sollte ihn in der Sitzung 20. Oktober ohne Diskussion billigen.

Dazu kam es nicht. Eine heftige Diskussion über die Zukunft deutscher Rüstungsexporte entstand über die Entscheidung zur Lieferung eines Leopard-2-Panzers in die Türkei, wo dieser im Rahmen einer Vergleichserprobung zwecks Auswahl eines Panzermodells benötigt wird, von dem die Türkei ca 1.000 Stück in Lizenz produzieren will. Für dieses Papier können die Einzelheiten der Diskussion über die Panzerlieferung weitgehend vernachlässigt werden. Relevant sind vor allem zwei Dinge: Erstens ist von einem hohen Grad der Bindungswirkung der Lieferentscheidung hinsichtlich der künftig anstehenden Entscheidung über eine türkische Lizenzproduktion auszugehen und damit von einer grundsätzlichen Bedeutung der gefällten Entscheidung für die Zukunft deutscher Rüstungsexporte. Und zweitens fiel die Entscheidung im BSR mit einer Mehrheit von 3:2 Stimmen, wobei die Stimme des Kanzleramtes ausschlaggebend war und der kleinere Koalitionspartner, Bündnis 90/Die Grünen überstimmt wurde. Der Streit und Protest gegen Inhalt und Zustandekommen dieser Entscheidung erfaßte nicht nur die Koalition, sondern auch die innerparteiliche Diskussion in der SPD und weite Teile der Öffentlichkeit.

Der heftige Disput um die Lieferung eines Testpanzers Leopard-II weist damit auf ein tieferliegendes Problem: Er signalisiert den politischen Streit um die Zukunft deutscher Rüstungsexporte insgesamt und den in grossen Teilen der SPD und bei Bündnis 90/Die Grünen vorhandenen Widerspruch zum Modus sowie dem Inhalt der von der Verwaltung überarbeiteten Politischen Grundsätze.

Die Bundesregierung fand einen vorläufig tragfähigen Kompromiß. Dieser lautet: Der Testpanzer für Ankara wird geliefert. Die Lizenz für den Bau von 1.000 Panzern in der Türkei wird - sollte der deutsche Panzer den türkischen Wettbewerb gewinnen "im Einklang mit den (...) zu verabschiedenden "Politischen Grundsätzen für den Export von Kriegswaffen und sonstigen Rüstungsgütern sowie dem EU-Verhaltenskodex für Waffenausfuhren" getroffen." Die Entscheidung werde "unter Berücksichtigung der tatsächlichen und überprüfbaren Fortschritte in der Menschenrechtslage getroffen werden". Unter Berücksichtigung der Fortschritte bei den Menschenrechten, nicht im Falle der Einhaltung der Menschenrechte.

Der Koalitionskompromiß hat einen weiteren, wesentlichen Bestandteil. Die Politischen Grundsätze der Bundesregierung für den Rüstungsexport sollen neu gefaßt werden. Ein Staatssekretär-Ausschuß unter Beteiligung von Experten der Regierungsfraktionen soll die Revision des Dokumentes vornehmen.

Ein spannender und ungewöhnlicher Vorgang, denn noch vor wenigen Wochen galt als ausgemacht: Die Neufassung der Rüstungsexportrichtlinien ist bereits abgeschlossen. Der Bundessicherheitsrat hat sie beschlossen. Das Kabinett wird sie ohne weitere Diskussion billigen. Geändert wird wenig; das Wort Menschenrechte kommt in der Präambel vor, nicht aber im operativen Teil. Zudem: Ein Verweis auf den Verhaltenskodex der Europäischen Union und das Vorhaben eines jährlichen Rüstungsexportberichtes werden aufgenommen, ein Absatz über die Staaten des Warschauer Paktes wird gestrichen - er hat sich historisch überlebt. Ansonsten bleibt in der Substanz - und auch bis auf Kleinigkeiten dem Wortlaut nach - alles beim Alten.

Rüstungsexportentscheidungen sind damit zu einem Glaubwürdigkeitstest für die Regierung insgesamt geworden. Die öffentlich laut gewordene Kritik, die Neufassung der politischen Grundsätze sei viel zu lasch und zu wenig restriktiv ausgefallen, das Menschenrechtskriterium komme nicht hinlänglich zum Tragen, soll nunmehr in die erneute Diskussion über den Text eingebracht werden.

Ob dies gelingt, wird die Zukunft zeigen. Wesentlich hängt dies davon ab, ob die neuerliche Diskussion sachgemäß oder verkürzt geführt wird. Verkürzt würde sie einerseits, wenn jedes Argument vorrangig im Hinblick auf seine Auswirkungen auf künftige Entscheidungen über Panzerlieferungen in die Türkei gewertet und gewichtet würde. Verkürzt würde sie aber auch, wenn sie lediglich auf eine verbesserte und besser handhabbare Menschenrechtsklausel beschränkt bliebe. Distanz zum konkreten Fall ist notwendig, steht doch gleich ein ganzes Bündel wichtiger, grundsätzlicher Fragen an. Einige wesentliche Beispiele:

1. Transparenz

Entscheidungen über Rüstungsexporte werden im Bundessicherheitsrat unter Ausschluß von Öffentlichkeit und Parlament getroffen. Eine Pflicht der Exekutive zur Information, Konsultation oder gar Mitbefassung der Legislative besteht nicht. Lediglich die Fraktionsvorsitzenden der Bundestagsfraktionen werden traditionell im Nachhinein über bereits gefaßte Beschlüsse informiert. Geheimhaltung und Nichtbefassung des Parlamentes werden u.a. mit dem Schutz der Betriebsgeheimnisse der betroffenen Firmen begründet, aber auch mit der sicherlich notwendigen und sinnvollen Aufgabentrennung zwischen Exekutive und Legislative.

Die Forderung, den Bundestag - und sei es über ein zur Geheimhaltung verpflichtetes Sondergremium - im Vorfeld von Entscheidungen des Bundessicherheitsrates zu konsultieren oder gar mitentscheiden zu lassen, wurde von Seiten sozialdemokratischer Experten zwar bereits 1982 und zuletzt 1991 erhoben, aber bislang nicht in die Praxis umgesetzt. Auch eine ernsthafte Prüfung, ob die Geheimhaltungsverpflichtung für Betriebsgeheimnisse für Rüstungsexportgeschäfte zwingend gelten muß, wurde bislang nicht angegangen. Unter Bezugnahme auf das Grundgesetz (Artikel 26) ließen sich auch andere rechtliche Regeln finden und in Verwaltungsverfahrensgesetz sowie Statistikgesetz verankern. Zudem: Um am Waffenregister der Vereinten Nationen partizipieren zu können, mußte die Bundesrepublik bereits einen Ausnahmetatbestand formulieren, der für die neuerliche Diskussion als Präzedenzfall dienen kann.

In der Sache bietet sich deshalb ein zwei- oder dreistufiges Vorgehen an: In einem ersten Schritt wird unter Einhaltung der noch gültigen Geheimhaltungsvorschriften ein dem G-10-Ausschuß ähnliches Konsultationsgremium eingerichtet, mittels dessen der Bundestag vor Entscheidungen konsultiert wird. In einem zweiten Schritt werden unter Berücksichtigung der Vorgaben von Art 26 GG Ausnahmetatbestände für Rüstungsexporte in das Verwaltungsverfahrensgesetz und das Statistikgesetz eingebracht. Dabei kann der Kern des Betriebsgeheimnisses, d.h. die finanziellen Aspekte, trotzdem weiter gewahrt werden. In einem dritten Schritt wird die Informationspraxis gegenüber dem Bundestag und gegenüber der Öffentlichkeit (z.B. in Form des bereits beschlossenen Jahresberichtes Rüstungsexport) der neuen Rechtslage angepaßt.

2. Politische Kriterien

Zu klären ist, wie politische Kriterien - und um solche handelt es sich sowohl beim Menschenrechtskriterium als auch bei den Forderungen, Kriterien wie nachhaltige Entwicklung und Gewaltprävention aufzunehmen, in die politischen Grundsätze wirksam Eingang finden können. Dies ist nur möglich, wenn verbindliche und justitiable Verfahrensregeln gefunden werden, nach denen der Bundessicherheitsrat und die nachgeordneten Genehmigungsbehörden ihre Ermessensentscheidungen über Exportgenehmigungen künftig treffen können.

Am einfachsten wird dies für das Kriterium der Menschenrechte erachtet, für die internationale Normen existieren. Ähnliches kann für das Kriterium der Gewaltprävention (es ist bewußt offen im Blick auf zwischenstaatliche und innerstaatliche Konflikte) angenommen werden, da auch hier internationale Normen wie das Humanitäre Kriegsvölkerrecht, rüstungskontrollpolitische Vereinbarungen und Nichtverbreitungsgrundsätze ebenso herangezogen werden können wie die Charta der Vereinten Nationen oder Vereinbarungen im Rahmen der OSZE. Etwas schwieriger stellt sich die Lage für das Kriterium der nachhaltigen Entwicklung dar, da hier bislang keine rechtsverbindlichen internationalen Normen, die unverzüglich angewandt werden können, bereitstehen.

Auch hier bietet sich ein mehrstufiges Vorgehen an. Während alle drei Kriterien in die Präambel künftiger Politischer Grundsätze eingehen sollten, wäre anzuraten, nur die justitiablen Kriterien Menschenrechte und Gewaltprävention in die im engeren Sinne operativen Teile der Politischen Grundsätze aufzunehmen. Ggf. kann zudem an die Schaffung einer eigenen Passage zu den Politischen Kriterien für die Genehmigung deutscher Rüstungsexporte gedacht werden. Dabei ist aber darauf zu achten, daß sich eine völlige Gleichstellung der drei Kriterien deshalb zur Zeit noch verbietet, weil die gleichberechtigte Aufnahme "nachhaltiger Entwicklung" in die operativen Teile von der Gefahr einer verringerten Bindungswirkung der beiden anderen Kriterien begleitet ist. Die Aufnahme des neuen Kriteriums der Gewaltprävention empfiehlt sich zudem, da dieses Kriterium es erlaubt, dem Antragsteller die Beweislast dafür aufzubürden, nachzuweisen, daß seine Lieferungen Frieden und internationale Sicherheit nicht gefährden. Dies ist sachgerechter und politisch sinnvoller als die heutige rechtliche Praxis, die die Bundesregierung ggf. verpflichtet, glaubhaft nachzuweisen, daß von einer Lieferung eine solche Gefährdung ausgehen würde. Etliche rechtskräftige Urteile haben zudem den Begriff der "Gefahr" einer bewaffneten Auseinandersetzung erheblich eingeengt, so daß kaum mehr Spielraum zu einer politischen Entscheidung und Begründung von Versagungen bleibt.

3. Die Ländergruppen

Zu entscheiden ist, ob die strikte Unterscheidung zwischen Exporten in NATO-Staaten und in Staaten außerhalb der NATO unverändert erhalten bleiben soll. Zum einen wird dies nötig, weil nicht alle Staaten der Europäischen Union der NATO angehören, die europäische Integration aber zunehmend an Bedeutung auch für den Bereich der Sicherheitspolitik gewinnt. Zum anderen wirft die Türkei-Problematik in Verbindung mit der Menschenrechtsproblematik diese Frage auf. Obwohl NATO-Staat, verletzt die Türkei nicht nur unzweifelhaft die Menschenrechte, sondern auch das geltende Völkerrecht, indem sie Nordzypern widerrechtlich besetzt hält und immer wieder in den Nordirak einmarschiert. Will man zudem nicht Gefahr laufen, daß Lieferungen an die Türkei Präzendenzfälle für Ermessensentscheidungen bei Lieferungen an Staaten gleicher Problematik außerhalb der NATO schaffen - man denke nur an die Parallelen zwischen der Türkei und Indonesien - so muß diese Frage als Grundsatzfrage aufgeworfen werden.

Mehrere Lösungsoptionen kommen in Betracht: Erstens: EU und NATO-Staaten werden in einer Ländergruppe zusammengefaßt; alle anderen Staaten bilden eine zweite Gruppe. Für beide Gruppen werden unterschiedliche operative Grundsätze geschaffen, in die auch die politischen Kriterien soweit möglich eingearbeitet werden. Zweitens: Die Gliederung nach Ländergruppen wird zu einem Unteraspekt einer im Grundsatz veränderten Gliederung der Politischen Grundsätze. Als strukturierendes Element böte sich hier eine Gliederung nach Kriegswaffen, kriegswaffenähnlichen Rüstungsgütern und sonstigen Rüstungsgütern an, die dann je unterschiedlich operativ gefaßt werden könnten. Zudem wäre aber darauf zu achten, daß bislang nicht oder unzulänglich erfaßte Bereiche wie Blaupausen, Fertigungsunterlagen, Lizenzen und Fertigungsanlagen künftig mit berücksichtigt und gewissen Genehmigungsvorbehalten unterworfen werden.

4. Europäische Integration und Kooperation

Die Integration der europäischen wehrtechnischen Industrie und die wachsende Zahl internationaler Kooperationen bei der Herstellung von Waffensystemen zwingt zu einer vertieften Beschäftigung mit der Frage, ob und in welchem Umfang Lieferungen aus europäischen Partnerländern, in denen die Endmontage von Waffen, in die deutsche Komponenten eingebaut wurden, durchgeführt wird, eine Umgehung der deutschen Exportregeln ermöglicht. Die mögliche Lieferung in Frankreich endgefertigter, deutsch-französischer Kampfhubschrauber vom Typ Tiger an die Türkei macht dies ebenso deutlich wie die Erfahrungen mit Exporten aus Kooperationsprojekten aus den vergangenen Jahren. Die Regelung, daß der feste Einbau deutscher Komponenten in ein Waffensystem im Ausland einen neuen Warenursprung und damit die Anwendung der Exportrichtlinien des Endmontagelandes hervorruft, gewinnt ständig an Bedeutung. Hinzu kommt, daß die Bundesregierung bislang zwar die Möglichkeit einer Einflußnahme auf die Exporte von Gemeinschaftprodukten aus Partnerstaaten politisch anstrebt, sich aber in der Praxis oft nicht einmal ernsthaft darum bemüht hat, diesen Einfluß so wirksam zu gestalten, daß sie Exporte aus den Partnerstaaten effektiv untersagen kann. Im Fall Frankreich wird im Kontext des Schmidt-Debre-Abkommens aus dem Jahre 1972 auf einen solchen Einfluß in rechtlich bindender Form weitestgehend verzichtet. Ähnliches gilt für eine wachsende Zahl individueller Kooperationsabkommen.

Wesentliche Begründungen, die für diese Politik in der Vergangenheit immer wieder herangeführt wurden, verlieren strukturell an Bedeutung, wie das Beispiel des Deutsch-Französischen Abkommens aus dem Jahr 1972 zeigt: Konnte während des Kalten Krieges argumentiert werden, daß Frankreich aufgrund des zu kleinen nationalen Rüstungsmarktes darauf bestand, auch aus Kooperationen stammende Waffensysteme relativ unbeschränkt exportieren zu können, weil dies im Hinblick auf die technologische Unabhängigkeit der französischen Industrie von den USA aus französischer Sicht unabdingbar war, so verliert dieses Argument im Kontext einer fortschreitenden Europäisierung der Waffenproduktion und wachsender europäischer Transnationalisierung im Bereich der Wehrtechnischen Industrie deutlich an Überzeugungskraft. Der europäische Markt ist groß genug, eine Wettbewerbsfähigkeit auch gegenüber der Industrie der USA sicherstellen zu können.

Unterbeleuchtet blieb bislang in der deutschen Diskussion auch die folgende Tatsache: Ebenfalls bis zum Ende des Jahres wollen sechs EU-Staaten mit relevanter wehrtechnischer Industrie (GB, F, It, D, SW und UK) im Kontext eines am 6.7.98 unterzeichneten Letter's of Intent die Rahmenbedingungen für die Arbeit der wehrtechnischen Industrie harmonisieren und damit Vorarbeiten für eine solche Harmonisierung auf EU-Ebene leisten. Auch wenn es hier im Wesentlichen um eine Vereinheitlichung der politisch-wirtschaftlichen Rahmenbedingungen angesichts von verstärkten Fusionsbestrebungen in den Bereichen der LRI und der IT-Industrie geht (fünf der sechs Elemente dieses Prozesses beschäftigen sich mit Themen wie "Versorgungssicherheit", „Informationssicherheit", Behandlung technischer Informationen, F&E, Harmonisierung militärischer Anforderungen), so wird aufgrund des sechsten Elementes mit Auswirkungen auch auf die Diskussion über die künftigen Rüstungsexportrichtlinien gerechnet. Sie beschäftigt sich mit "Exportfragen" und arbeitet im Blick auf drei Empfängergruppen:

  • Endverbleib im LOI-Staat

  • Endverbleib in einem EU-Staat

  • Endverbleib in einem anderen Staat

Beabsichtigt ist ein Regelwerk für verschiedenartige Warenbewegungen, das - nach politischer Billigung - einheitlich in nationale Gesetzgebungen umgesetzt werden soll. Während deutscherseits das Verteidigungsministerium bei diesem Prozeß die Federführung hat, arbeiten BMWi und AA im Hinblick auf die Aufgabenstellung „Exportfragen" mit. Eine die Umbesetzung des BSR spiegelnde Einbeziehung des BMZ ist nicht bekannt geworden. Ziel dieses Prozesses ist es zunächst, den Export untereinander genehmigungstechnisch zu entschlacken, zu vereinfachen und weniger zeitaufwendig zu gestalten. So soll bei Kooperationsprojekten die Vielzahl erforderlicher Einzelgenehmigungen reduziert werden. Darüber hinaus verweist aber die Beschäftigung mit "anderen Staaten" auf eine weitergehende Fragestellung: Diesem Prozeß inhärent ist die Gefahr, daß via der weniger restriktiven Exportpolitiken wesentlicher europäischer Partner ein erheblicher Druck in Richtung auf eine Harmonisierung genannte Liberalisierung des Rüstungsexportes aus Deutschland entsteht. Festzuhalten bleibt hier, daß im Bereich des Rüstungsexportes bislang gilt: Über europäische Regelungen hinausgehende strengere nationale Regeln sind zulässig. Zumindest an dieser Tatsache darf nicht (wie z.B. bei Umweltstandards geschehen) gerüttelt werden. Mit einer Rückwirkung dieses Prozesses auf die nationalen Rüstungsexportpolitiken muß aber bereits deshalb im Grundsatz gerechnet werden, da ratifizierungspflichtige Abkommen angestrebt werden – zunächst in Form eines Rahmenabkommens.

Für eine restriktivere Gestaltung der deutschen Exportrichtlinien sind also eine Vielzahl von Einflußfaktoren und Interessen zu berücksichtigen. Zu diesen gehören die nationalen Interessen der Partnerländer, Bündnisaspekte, die Kooperationsfähigkeit der deutschen Industrie und vieles andere mehr.

Während im Grundsatz davon auszugehen ist, daß eine rechtlich bindende, möglichst restriktive Regelung im Rahmen der Europäischen Union bzw. ggf. auch der NATO vorrangig anzustreben wäre, muß beachtet werden, daß der Amsterdamer Vertrag in der am 1.5.99 in Kraft getretenen Fassung für ein solches Vorgehen noch keine hinreichende Rechtsgrundlage darstellt. Dies ist der Grund dafür, daß auch die Regelungen des EU-Verhaltenskodexes zum Rüstungsexport keine rechtlich, sondern nur politisch bindende Wirkung haben. Erst erweiterte Regelungskompetenzen der EU für den Bereich der wehrtechnischen Industrie würden dies zulassen. Dies bedingt eine neue Regierungskonferenz und ein neues Ratifizierungsverfahren als vorgängig und dauert sicher etwa bis Ende des Jahres 2002. Zur Zeit wird innerhalb der EU für das kommende Jahr eine solche Regierungskonferenz geplant. Bis zum Europäischen Rat Ende 2000 soll sie abgeschlossen werden; unklar ist derzeit, ob und in welchem Umfang die größere Gewichtung einer Gemeinsamen Europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik, die sich seit Ende 1998 zeigt, zu einer verstärkten Aufnahme dafür relevanter Themen in die Tagesordnung der Regierungskonferenz führen wird. Es ist zu erwarten, daß diese Frage im 1. Halbjahr 2000 unter portugiesischer Präsidentschaft angegangen wird.

Auf mehrere Jahre kommt deswegen den nationalen Exportgesetzgebungen und damit auch den Politischen Grundsätzen der Bundesregierung weiterhin erhebliche Bedeutung im Grundsatz zu, auch wenn immer mehr konkrete "Fälle" eigentlich ein europäisches Vorgehen bzw. Abstimmungen auf europäischer Ebene bedingen. Um zu vermeiden, daß aus Staaten mit laxeren Exportpolitiken jene Exporte getätigt werden, die in Deutschland nicht genehmigungsfähig wären, empfiehlt sich deshalb als Interimslösung eine verschärfte und verbreiterte Anwendung von Endverbleibsklauseln, auch bei Kooperationen im NATO und EU-Rahmen.

Darüber hinaus wäre zu überlegen, ob durch eine restriktiv interpretierende Auslegung des EU-Verhaltenskodexes im Rahmen und Text der deutschen Politischen Grundsätze einer Liberalisierung der Rüstungsexportpraxis auf dem Wege europäischer Harmonisierung nicht wirksam entgegengetreten werden kann.

5. Rüstungswirtschaftliche Aspekte bei Genehmigungsentscheidungen

Auch die folgende Regelung bedarf des Überdenkens: Bislang dürfen Exportgeschäfte - so die noch gültigen Politischen Grundsätze aus dem Jahre 1982 - "nicht zum Aufbau zusätzlicher, exportspezifischer Kapazitäten führen". "Beschäftigungspolitische Gründe dürfen keine ausschlaggebende Rolle spielen". Dies gilt jedoch nur bei Exporten in Staaten, die nicht der NATO angehören. Eine generelle Anwendung zumindest der ersten Regelung auf alle Staaten wäre angebracht. Zudem wäre zu überlegen, ob Exporte auch künftig dazu beitragen dürfen, daß nicht mehr benötigte wehrtechnische Kapazitäten länger als erforderlich aufrechterhalten werden. Notwendiger Strukturwandel darf nicht durch extensive Exportgenehmigungen behindert werden.

Die Versuchung, daß genau dies geschieht, ist im Rahmen der gegenwärtig gültigen Richtlinien groß. Etliche Bereiche der deutschen wehrtechnischen Industrie - insbesondere im Bereich der Heeresrüstung - stehen vor ähnlichen Problemen wie die Bundeswehr selbst, namentlich das Heer. Eine tiefgreifende Strukturreform, eine Anpassung an die Situation nach dem Ende des Kalten Krieges ist zwar seit Jahren erforderlich, findet jedoch nicht statt. Deshalb gibt es erhebliche Überkapazitäten. Extensive Exporte verschieben aber notwendige Strukturreformen. Natürlich spielen unter solchen Bedingungen beschäftigungspolitische Aspekte eine entscheidende Rolle - ganz gleich, was die politischen Grundsätze vorgeben. Dies wird bereits daran deutlich, daß kaum ein Entscheidungsprozess über einen signifikanten Exportantrag ohne beschäftigungspolitische Argumente verläuft. Seitens der Industrie wie der Arbeitnehmervertretungen (die wehrtechnischen Arbeitnehmervertretungen haben sich in signifikantem Umfang von den DGB-Strukturen getrennt) werden dabei nicht selten abenteuerliche beschäftigungspolitische Effekte ins argumentative Spiel gebracht. Jüngstes Beispiel: Die Lizenzproduktion von 1000 Leopard-Panzern in der Türkei soll in der Bundesrepublik "über 10 Jahre" 6.000 Arbeitsplätze sichern. Schon ein Vergleich mit dem zu erwartenden Umsatz pro Arbeitnehmer und Jahr macht deutlich, daß dies nicht sein kann. Mehr noch: Die fünf großen Hersteller gepanzerter Fahrzeuge in der Bundesrepublik haben zusammengenommen 1998/9 kaum mehr als 3.800 Arbeitnehmer.

Künftige Schritte

Die Koalition hat nunmehr entschieden, die Politischen Grundsätze neu zu fassen. Sie spricht nicht länger von einer Überarbeitung, sondern von einer Neufassung. Dies soll bis zum Ende des Jahres geschehen, in der Praxis dürfte dies bis zum 22.12.99 heißen. Die konkrete Arbeit soll von einem Staatssekretärsausschuß (AA, BMWi, BMVg; BMZ, BKA) geleistet werden, indem zudem zwei Mitglieder der Regierungsfraktionen (MdB Erler (SPD), MdB Roth (B90/Die Grünen) mitarbeiten. Beiden MdBs wurden Ad-hoc Arbeitskreise der Fraktionen zur Seite gestellt. Bei B90/Die Grünen sind dies sogar zwei Arbeitskreise - einer zum engeren Thema der politischen Grundsätze und einer zur Bearbeitung der Reform im Blick auf die Hermesbürgschaften.

Der politisch gesetzte, kurzfristige Termin für den Abschluß der Arbeiten bedingt eine hohe Gefahr einer verkürzten Debatte mit unzureichendem Ergebnis. Hier wäre empfehlenswert, sich mehr Zeit zu lassen. Was im innerministeriellen Abstimmungsprozeß über neun Monate nicht hinlänglich gelang, sollte nunmehr nicht in einem vierwöchigen Hauruckverfahren erneut zu erzwingen versucht werden. Schon die Tatsache, daß Unternehmen Entscheidungen über die Versagung von Exportgenehmigungen rechtlich anfechten können, sollte Warnung genug vor einem Vorgehen sein, daß Gefahr läuft, Ergebnisse zu produzieren, die juristisch "nicht wasserdicht" sein könnten.

Weitere Aspekte

Ein Blick über die Richtliniendiskussion hinaus erscheint angebracht. Ähnlich der Transparenz-Frage können einige weitere Aspekte politisch und rechtlich nicht im Kontext der jetzt angelaufenen neuerlichen Richtliniendebatte gelöst werden. Drei Aspekte seien hier nur stichwortartig angemerkt:

Die Umkehrung der bisherigen Praxis, Genehmigungsverweigerung seitens der Bundesregierung ggf. begründen zu müssen und damit die Rückkehr zu der Intention des Grundgesetzes, den Transport, die Herstellung und das in den Verkehr bringen von Rüstungsgütern unter einen Genehmigungsvorbehalt zu stellen, wird - sollte sich die Bundesregierung an diese Frage herantrauen - nur möglich sein, wenn in die Genehmigungspraxis ebenso signifikant eingegriffen wird wie ggf. in deren gesetzliche Grundlagen.

Die Selbstverpflichtung der Koalition auf eine Überarbeitung der Grundsätze für eine Vergabe von Hermesbürgschaften kann im Sinne einer restriktiven Rüstungsexportpolitik genutzt werden. Gerade umstrittene Rüstungsexportgeschäfte sind oft in erheblichem Umfang von diesen Bürgschaften abhängig, kämen in vielen Fällen gar nicht zustande, wenn diese nicht gewährt würden. Zudem tragen Bürgschaften für Rüstungsexportgeschäfte vermutlich signifikant zu dem vom Steuerzahler zu tragenden, seit Jahren existenten Defizit der Hermesversicherung bei. Allerdings besteht hier Forschungsbedarf im Blick auf die harten Fakten. Zu prüfen wäre, ob eine Vergabe von Bürgschaften für solche Exporte nicht grundsätzlich oder weitestgehend ausgeschlossen werden sollte und kann.

Jeder Bürger zahlt für die Dienstleistungen des Staates neben seinen Steuern Gebühren. Dies gilt bereits für die Ausstellung eines Passes oder Ausweises, Papiere zu deren Besitz der Bürger rechtlich verpflichtet ist. Exportgenehmigungen für Kriegswaffen und Rüstungsgüter sind dagegen eine kostenlose Dienstleistung des Staates für die Industrie. Dies ist nicht einzusehen. Zu überlegen wäre, ob die Industrie, in deren Gewinninteresse der Export von Rüstungsgütern steht, den staatlichen Genehmigungsaufwand und die Durchführung der erforderlichen Kontrollen gegen einen eventuellen Mißbrauch nicht selbst finanzieren sollte. Die Befürchtung, dies bringe den Staat (in Form der durchführenden Teile der Exekutive) in ein/e pekuniäre/s Verhältnis/Abhängigkeit von den Antragstellern ist nicht tragfähig. Zudem zeigt das Beispiel von Staaten wie Schweden, daß eine solche Verfahrensweise durchaus denkbar und praktikabel ist.

Diese Forschungsnotiz wurde verfaßt von

Otfried Nassauer, Leiter des

Berliner Informationszentrums für Transatlantische Sicherheit