29. Januar 2000
Streitkräfte und Strategien, NDR info

 

Überarbeitete Rüstungsexport-Richtlinien – Wirksames Instrument für eine restriktive Ausfuhrpolitik?

 von Otfried Nassauer  

Ein einzelner Leopard II Panzer für die Türkei brachte die rot-grüne Koalition im Herbst des vergangenen Jahres an den Rand des Scheiterns. Im Kern ging es bei der kurzen, äußerst heftigen Debatte um weit mehr als nur den einen Testpanzer. Er stand und steht für die Zukunft der deutschen Rüstungsexportpolitik: Wie restriktiv handhabt die neue Regierung den Rüstungsexport? Wie ernst nimmt sie ihre Wahlversprechen und den Koalitionsvertrag? Dort hatte sie eine Überarbeitung der Rüstungsexport-Richtlinien angekündigt hatte? Verliert sie an Glaubwürdigkeit, weil sie Rüstungsexporte kaum anders handhabt als ihre Vorgängerin? Mit Mühe gelang damals der Kompromiß: Der Testpanzer wird geliefert, die Rüstungsexport-Richtlinien werden erneut überarbeitet.

Nun liegt das Ergebnis der Überarbeitung vor, die neuen "Politischen Grundsätze der Bundesregierung für den Export von Kriegswaffen und sonstigen Rüstungsgütern". Der politische Wille, eine restriktivere Rüstungsexportpolitik zu verfolgen, wird darin deutlich.

Die Menschenrechtssituation und die Menschenrechtslage sind als politisches Entscheidungskriterium sichtbar verankert worden. Ob ein Export im Empfängerland eine "nachhaltige Entwicklung" zum Beispiel durch unverhältnismäßig hohe Rüstungsausgaben be- oder verhindert, soll bei künftigen Entscheidungen ebenfalls eine Rolle spielen. Außerdem soll deutsche Rüstungsexportpolitik einen Beitrag leisten zur Sicherung des Friedens und zur "Gewaltprävention" – die Wortwahl bezieht sich bewußt auf innerstaatliche und zwischenstaatliche Konflikte.

Aufnahme gefunden haben somit drei politisch-ethische Kriterien, die bei Bewilligung oder Ablehnung von Rüstungsexporten künftig berücksichtigt werden sollen. Zwei Kriterien, Menschenrechte und Gewaltprävention, können unter Bezug auf internationales Recht bereits heute in praktische Politik umgesetzt werden; für den 3. Punkt, die nachhaltige Entwicklung, wird dies möglich sein, sobald die internationale Staatengemeinschaft Fortschritte macht bei dem Versuch, Kriterien hierfür verbindlich zu formulieren. Dies alles stärkt deutlich die Rolle der Politik bei der Entscheidung über Rüstungsexporte, zugleich aber auch deren Verantwortung. Zudem kann mit Hilfe des Kriteriums der Gewaltprävention die Beweislast, daß ein beantragter Rüstungsexport nicht zur Eskalation oder zum Ausbruch vorhandener Spannungen beiträgt, künftig beim Antragsteller liegen.

Den Endverbleib deutscher Waffen muß künftig jeder Kunde bescheinigen. Kriegswaffen und Rüstungsgüter, die für ein Waffensystem wesentlich sind, dürfen nur noch exportiert werden, wenn eine Endverbleibserklärung mit Erlaubnisvorbehalt für den Weiterexport vorliegt. Mit anderen Worten: Wer Waffen ohne schriftliche Genehmigung der Bundesregierung weitergibt oder wissentlich einen solchen Reexport nicht verhindert, muß mit einem Lieferstop rechnen. Und zwar solange, bis der Umstand, der den Weiterverkauf ermöglichte, nachweislich beseitigt ist. Gleiches gilt für kriegswaffennahe sonstige Rüstungsgüter, die im Zusammenhang mit einer Lizenzvergabe ins Ausland geliefert werden. Diese Bestimmung kann den Anreiz, deutsche Waffensysteme nachzubauen, deutlich verringern, vorausgesetzt es wird ein wirksames Kontrollsystem eingerichtet. Auch auf Exporte von NATO- und EU-Partnerstaaten, die Waffen im Rahmen multinationaler Rüstungsprojekte herstellen, sollen künftig schon bei der Vertragsgestaltung mehr Einflußmöglichkeiten geschaffen werden.

Doch auch die neuen politischen Grundsätze können nicht jenen Grundwiderspruch auflösen, der schon frühere Rüstungsexport-Richtlinien kennzeichnete: In ein und derselben Richtlinie konkurrieren zwei unterschiedliche rechtliche Ansätze miteinander. Das Kriegswaffenkontrollgesetz fußt auf der Annahme, daß alles verboten ist, was nicht explizit erlaubt wurde. Das Außenwirtschaftsgesetz dagegen geht von der Annahme aus, daß alles, was nicht ausdrücklich verboten ist, erlaubt ist. Da in den politischen Grundsätzen für den deutschen Rüstungsexport aber nicht allein die Art der Ware darüber entscheidet, wie restriktiv ein Export gehandhabt werden soll, sondern vor allem die Frage, in welche Länder geliefert werden soll, sind die Richtlinien janusköpfig. Grundsätzlich nicht eingeschränkt wird der Export von Rüstungsgütern aller Art in die NATO-Staaten, die EU-Staaten sowie in die Schweiz, nach Australien, Neuseeland und Japan – es sei denn, gravierende Argumente – z.B. die Menschenrechtssituation in der Türkei – erzwingen eine Ausnahme. Der Export aller Arten von Rüstungsgütern in andere Staaten dagegen wird nur in Ausnahmefällen genehmigt. Das hat gravierende Folgen: Bei Exporten auch von Kriegswaffen in EU- oder NATO-Staaten wird die Genehmigung zum Regelfall und das Verbot zur Ausnahme, die begründet werden muß. Fast scheint es, als finde hier das Rechtsprinzip des Außenwirtschaftsgesetzes und nicht das des Kriegswaffenkontrollgesetzes Anwendung.

Unzufrieden mit den neuen Richtlinien sind logischerweise diejenigen, die jeden oder fast jeden Rüstungsexport ablehnen. Die neuen politischen Grundsätze machen deutsche Rüstungsexporte nicht weitgehend oder gänzlich unmöglich. Sie tragen auch den Interessen der Industrie Rechnung. Dies gilt auch für Teile jener Exporte, die in den vergangenen Jahren umstritten waren. So greifen die politischen Grundsätze nicht in bestehende Verträge ein, die es zum Beispiel Frankreich ermöglichen, in Zusammenarbeit mit deutschen Firmen produzierte Waffen zu exportieren, ohne daß ein deutsches Veto eingelegt werden könnte. Unmut äußern aber auch jene, die in Beschränkungen des Rüstungsexports grundsätzlich einen Eingriff in die unternehmerische Freiheit des Geldverdienens sehen. So befürchtet der Bundesverband der Deutschen Industrie das Aus für die wehrtechnische Industrie und deren internationale Kooperationsfähigkeit. Er droht mit Arbeitsplatzverlusten, obwohl mit einigem Recht daran gezweifelt werden kann, daß seine Mitglieder aus der wehrtechnischen Industrie die Verbandsmeinug vollständig teilen.

Eines darf als sicher gelten: die eigentliche Bewährungsprobe für die neuen politischen Grundsätze kommt noch. Erst die konkrete Exportpraxis wird zeigen, wie ernst es der Koalition mit ihrer restriktiven Ausfuhrpolitik ist. Deutlich werden wird dies zum Beispiel an den konkreten Weisungen zur Umsetzung der Richtlinien für das Bundesausfuhramt, aber auch am künftigen Umgang mit Voranfragen der Industrie bei den deutschen Ausfuhrbehörden. Und zum Schwur kommt es erneut auf der politischen Ebene. Auch künftig wird der Bundessicherheitsrat heikle Exportvorhaben entscheiden müssen. Zeigt sich dann, daß der Geist willig und das Papier geduldig war, das Fleisch aber weiter schwach ist? Sitzungen des Bundessicherheitsrates sind geheim. Im Dunkeln läßt sich gut munkeln und wie weit manche das Munkeln im Schutz der Geheimhaltung zu treiben belieben – das hat beispielsweise die gegenwärtige Diskussion über einen möglichen Zusammenhang zwischen "Rüstungsexporten und Parteispenden" unter der Regierung Kohl nur allzu deutlich gemacht. Vorsicht ist die Mutter der Munitionskiste. Dieses Motto gilt ganz sicher auch für die Zukunft.

Die Regierungsfraktionen sind sich einig. Die Überarbeitung der politischen Grundsätze für den Rüstungsexport ist nur einer der erforderlichen Schritte auf dem Wege zu einer restriktiveren Rüstungsexportpolitik. Weitere müssen folgen. Zu jenen Schritten, die für die Zukunft angedacht werden müssen, gehören:

Erstens, eine Überarbeitung der Vergabe von Bürgschaften der Hermes-Versicherung, über die eine Vielzahl von Exporten von Rüstungsgütern und Kriegswaffen abgesichert werden; zweitens muß dem Bundestag ermöglicht werden, sich beratend an Entscheidungen über deutsche Rüstungsexporte zu beteiligen. Ein weiterer Schritt ist die Einrichtung eines Kontrollmechanismus, der die verschärften Endverbleibsregeln überprüfbar macht und wirksam werden läßt. Darüberhinaus sollte diskutiert werden, welche Außenwirtschaftsgüter auf Grund ihrer technischen Bedeutung für moderne Kriegswaffen auch exportrechtlich wie Kriegswaffen zu behandeln sind. Außerdem müssen die gesetzlichen Voraussetzungen für öffentliche Transparenz geschaffen werden. Letztlich kann nur eine Verpflichtung, die Öffentlichkeit über bewilligte Rüstungsexporte zu informieren, sicherstellen, daß im Dunkel der Geheimhaltung nicht doch fragwürdige Ausfuhrentscheidungen gefällt werden – ganz gleich unter welcher Regierung.

Und schließlich die wichtigste Zukunftsaufgabe: Im Blick auf die europäische Integration werden Verhandlungen über die Harmonisierung der Rahmenbedingungen für das Handeln und Wirtschaften wehrtechnischer Unternehmen geführt. Klar ist bereits, daß es ein hartes Stück Arbeit wird, in diesem Kontext das Ziel einer restriktiven Rüstungsexport-Politik durchzusetzen.

 

ist freier Journalist und leitet das Berliner Informationszentrum für Transatlantische Sicherheit (BITS).