Streitkräfte und Strategien - NDR info
24. Januar 2004


Strucks Streitkräfte-Reform - Durchbruch für eine neue und zukunftsfähige Bundeswehr?

Otfried Nassauer

Nun beginnt sie also doch, die Reform der Reform der Bundeswehr. Verteidigungsminister Peter Struck hat seine Pläne für eine Transformation der deutschen Streitkräfte vorgelegt. Der neue Begriff ist auch Programm: Der Umbau der Bundeswehr wird als kontinuierlicher Prozess definiert. Als permanente Reform. Als Schritt, der die Möglichkeit zu weiteren Veränderungen beinhaltet, sobald diese unumgänglich werden. Das Vorhaben "Transformation der Bundeswehr" löst sich von den Vorstellungen eines fixen Endergebnisses, einer Reform, die abgeschlossen werden könnte. Es löst sich auch von Konzepten, in denen unter der Modernisierung der Bundeswehr ein Nachholen oder Aufholen im Vergleich zu den Streitkräftereformen anderer westlicher Industrienationen verstanden wird. Das ist richtig, weil ein hochflexibler, an neue Entwicklungen anpassbarer Prozess eingeleitet wird, innerhalb dessen überflüssig gewordene Zwischenschritte und Fehler vermieden werden können, die andere schon gemacht und erkannt haben.

Die Vorgaben, die Struck und sein Generalinspekteur, Wolfgang Schneiderhahn, mit den Kernelementen für eine neue Konzeption der Bundeswehr machen, sind ebenso klar: Die Bundeswehr wird konsequent auf ihre neuen Aufgaben ausgerichtet. Diese liegen im Wesentlichen im Ausland: Bei multinationalen Einsätzen der NATO, der Europäischen Union und der UNO. Bei Konfliktverhütung, Krisenbewältigung und Terrorismusbekämpfung sowie zur Unterstützung von Bündnispartnern. Die Landesverteidigung tritt in den Hintergrund. Die leistungsfähigsten Kernbereiche der Bundeswehr werden zur Interventionsarmee umgebaut, zu einer Interventionsarmee, die – kapazitätsbedingt - nur im multilateralen oder multinationalen Rahmen eingesetzt werden kann. Die Möglichkeit zu nationalen Interventionen ist nur im Bereich von Evakuierungsoperationen vorgesehen. Selbstbeschränkung durch Selbsteinbindung – so lautet der dahinterstehende Gedanke.

Die Ausrichtung der Bundeswehr auf die neuen Aufgaben erfordert einen weitreichenden Umbau der Streitkräfte. Nicht auf die Masse, sondern auf die Klasse kommt es künftig an, auf Wirksamkeit bei der Erfüllung der neuen Aufgaben. 35.000 Soldaten der Eingreifkräfte sollen zu jeder Zeit den deutschen Beitrag sicherstellen, wenn es um NATO-, EU- und UNO-Einsätze mit Kriegscharakter geht. Für sie gilt: Schnell rein und möglichst schnell wieder raus. Für Kriegshandlungen mit hoher Intensität wird mit einer Einsatzdauer von wenigen Monaten bis zu einem Jahr gerechnet. 70.000 Soldaten bilden die Stabilisierungskräfte, also das Potential, mit dem längere friedenserhaltende und friedensschaffende Maßnahmen durchgeführt und die Eingreifkräfte abgelöst werden können. 137.500 Soldaten und 75.000 zivile Mitarbeiter sind Unterstützungskräfte in der Heimat und sichern den Grundbetrieb der Bundeswehr.

Gefordert, so Struck, ist ein bundeswehrgemeinsames Denken, der Blick für die Fähigkeiten der Bundeswehr als Ganzes. Konsequenterweise müssen die Teilstreitkräfte Federn lassen, allen voran das bis zuletzt widerstrebende Heer, dessen Inspekteur, Gerd Gudera, in dieser Woche zurückgetreten ist. Die oft konkurrierenden Teilstreitkräfte werden weiter an Einfluss verlieren. Wenn das Nachfolge-Dokument des Blankeneser Erlasses auf dem Tisch liegt, dann werden die Inspekteure nur noch Kommandeure der Kommandos ihrer Teilstreitkraft sein. So ergibt es sich aus einem Schaubild in der neuen Konzeption der Bundeswehr. Einfluss verlieren werden die Teilstreitkräfte auch auf die Offiziersausbildung, z.B. an der Hamburger Führungsakademie. Dort wird bereits an einer Ausbildungsreform gearbeitet.

Umgebaut wird auch bei der Ausrüstung. Die Bundeswehr muss leichter werden. Sonst kann man sie nicht verlegen. Sie braucht neue Fähigkeiten zu weltweiter Aufklärung, Kommunikation und Führung. Sie braucht mehr Mobilität. Das klassische Nachfolgedenken der Teilstreitkräfte – nach dem Panzer Leopard 2 kommt der Panzer Leopard 3 – ist nicht zukunftsfähig und muss aufgegeben werden. Ebenso das Planen rund um teure Waffenplattformen. Auch für die Ausrüstung soll gelten: Der Auftrag der Bundeswehr und dessen wirksame Ausführung bestimmen den Bedarf.

Gespart wird schließlich bei den Standorten. Rund 100 müssen wohl schließen. Weniger Soldaten, weniger Material, weniger Standortbedarf. Auch das ist logisch und dennoch – auch von den mehr als 400 verbleibenden Standorten wird die Bundeswehr nicht alle künftig betriebswirtschaftlich sinnvoll betreiben können.

Frei von Wermutstropfen ist auch der von Peter Struck kredenzte Longdrink nicht. Trotz vieler richtiger Reformschritte dürfte es schwer bleiben, die Bundeswehr nach Strucks Plänen zugleich zu transformieren und angemessen zu modernisieren. Das liegt – wie so oft – am lieben Geld.

250.000 Soldaten kosten zuviel, um im Rahmen der gültigen Haushaltsplanung genug Geld für die notwendige Modernisierung der Streitkräfte freizusetzen. 40-70.000 weitere Dienstposten hätten dafür mindestens abgebaut werden müssen. Dann aber wäre die Wehrpflicht nicht mehr zu halten gewesen. Diesen Erfolg gönnte Struck dem grünen Koalitionspartner nicht - noch nicht. Er hat zunächst eine Struktur geplant, die nur notfalls auch ohne Wehrpflichtige auskommt. Eine Struktur, die weiter verschleiert, dass die Hierarchie- und Alterspyramide in der Bundeswehr ein wichtiges Problem für deren Reform darstellt: Zu viele Häuptlinge, zu wenig Indianer.

Auch bleibt Geld für Waffensysteme eingeplant, die nicht durch den militärischen Bedarf begründet sind. Weiter in der Planung stehen überdimensionierte Beschaffungsvorhaben, wie der Eurofighter oder politisch begründete Vorhaben, wie das transatlantische Raketenabwehrprojekt MEADS. Für beide kommt die Stunde der Wahrheit wohl erst dann, wenn erneut über die Luftwaffe und deren Struktur diskutiert wird.

Nicht genutzt wurde zudem die Chance zu Rationalisierungen, die im Zuge der in Entwicklung befindlichen europäischen Verteidigungspolitik entstehen werden. Trotz aller politischen Bekenntnisse zur europäischen Integration ist nicht zu erkennen, dass die Transformation der Bundeswehr konsequent europäisch ausgerichtet worden wäre. Die Erklärung: Im Verteidigungs-ministerium haben die Verfechter des klaren Vorrangs der NATO gegenüber der EU das Sagen. In der Sache aber ist dieser Umstand ein Modernisierungs- und Einsparhemmnis. Denn in der Beseitigung der Struktur- und Kapazitätsdopplungen bei den EU-Staaten, die zumeist auch der NATO angehören, läge ein gewaltiges Rationalisierungs- und Einsparpotential. Und damit die Chance zu einem deutlichen Gewinn an Fähigkeiten. Nur erste Teilaspekte davon werden zur Zeit genutzt, zumeist in Form bilateraler oder multilateraler Kooperationen.

Höchst problematisch ist schließlich ein weiterer politischer Aspekt: Die Bundeswehr wird zwar zu einer Interventionsarmee umgebaut, die Diskussion über politische Kriterien für solche Einsätze aber wird erneut vermieden. Unter welchen Bedingungen und Voraussetzungen kann und darf die Bundeswehr eingesetzt werden? Und vor allem: Wann sollte sie besser nicht eingesetzt werden? Ganz kann man sich nicht des Eindrucks erwehren, dass die Antwort auf diese wichtigen Fragen nach oben weg delegiert werden soll, - zu den internationalen Organisationen wie NATO, EU und Vereinte Nationen, in deren Rahmen die Bundeswehr solche Operationen unternehmen würde. Das ist die Kehrseite der Selbsteinbindung. Ein solches politisches Wegducken aber darf man nicht gelten lassen. Es gefährdet den Charakter der Bundeswehr als Parlamentsarmee. Es stärkt die Exekutive und schwächt den Bundestag mit seinen Kontrollbefugnissen. Dazu kommt, dass dieses Vorgehen unpolitisch ist.

 

ist freier Journalist und leitet das Berliner Informationszentrum für Transatlantische Sicherheit (BITS).