Streitkräfte und Strategien - NDR info
25. August 2007


Vor SPD-Klausur und Grünen-Parteitag
Neues Marschziel für die Bundeswehr am Hindukusch?

von Otfried Nassauer

Die CDU hat es eilig. Alle drei Bundeswehrmandate für Afghanistan sollen verlängert werden: Das Mandat für ISAF, die von der UNO mandatierte internationale Mission zur Stabilisierung Afghanistans. Das für die Terrorbekämpfung im Rahmen der Operation Enduring Freedom, OEF. Und das Mandat für die Tornado-Aufklärungsflugzeuge, die seit einem knappen halben Jahr in Mazar i Sharif stationiert sind. Ein Abwasch, eine Debatte und dann herrscht wieder Ruhe. So die Hoffnung in der Führungsetage der CDU.

Unter taktischen Gesichtspunkten ist das verständlich. Noch hat die Debatte über die Bundeswehreinsätze in Afghanistan nur die Ränder der Unionsparteien erreicht - einzelne Abgeordnete der CDU und Teile der CSU. Ganz anders dagegen bei SPD und Grünen. Die SPD-Führung kämpft mit einer wachsenden innerparteilichen Opposition, die am Sinn der Anti-Terrormission OEF zweifelt, sich klarer von der US-Politik in Afghanistan abgrenzen will und bereits die Entsendung der Tornado-Flugzeuge abgelehnt hat. Die Parteiführung wäre dagegen bereit, einer moderaten Ausweitung des deutschen Afghanistan-Einsatzes zuzustimmen. Sie will weitergehenden Forderungen aus der NATO zuvorkommen. Eine gemeinsame Linie muss die SPD noch finden. Die Sozialdemokraten tragen damit die Hauptlast der Debatte. Ähnlich die Situation bei den Grünen. Teile der Parteispitze würden – wie vom ehemaligen Außenminister Joschka Fischer befürwortet - eine Ausweitung des Bundeswehr-Einsatzes am Hindukusch persönlich mittragen. Die Parteibasis hat aber einen Sonderparteitag erzwungen. Teile der Parteibasis wollen die Afghanistan-Einsätze ganz beenden. Andere wollen ein Ja zur Fortsetzung von ISAF an klare Bedingungen knüpfen und zumindest den OEF-Einsatz beenden.

Als Kompromiss wird diskutiert, das deutsche Afghanistan-Engagement im Rahmen der OEF-Mission zu beenden und die anderen NATO-Staaten zu überzeugen, OEF ganz in die NATO-geführte ISAF-Mission zu überführen. Unter einheitlicher ISAF-Führung könne dann mehr Einfluss auf die US-Streitkräfte genommen werden. Der Wiederaufbau könne stärker gewichtet und eine neue Strategie für Afghanistan entwickelt werden. So das Argument.

Der Vorschlag dürfte sich allerdings als kontraproduktiv erweisen und das Gegenteil bewirken. Er stammt ursprünglich aus den USA. Washington erhoffte sich 2005 von der Zusammenlegung von OEF und ISAF eine höhere militärische Schlagkraft im Kampf gegen die Taliban. Berlin wollte getrennte Missionen, um nicht in die Kampfhandlungen im Süden und das harte Vorgehen der USA hineingezogen zu werden. Es stimmte nur einer schrittweisen Ausweitung des ISAF-Gebietes zu. Kaum zwei Jahre später steht die gleiche Frage erneut an. In der ISAF-Kommandostruktur haben die Befürworter eines verstärkten Wiederaufbaus, die den Kampf um Köpfe und Herzen der Afghanen gewinnen wollten, derweil an Einfluss verloren. An Einfluss gewonnen haben diejenigen, die glauben, dass zunächst die Taliban niedergekämpft werden müssen. Die USA und Großbritannien wollen sich auf absehbare Zeit die Posten des ISAF-Kommandeurs und seines wichtigsten Stellvertreters sichern. Der Posten des Stabschefs, bislang in deutschen Händen, soll künftig abwechselnd besetzt werden.

Zwei Entwicklungen können die Lage am Hindukusch bald weiter verschärfen. Erstens: Pakistans Regierung kann die Stammesgebiete an der Grenze zu Afghanistan nicht kontrollieren. Al-Qaida, die Taliban und andere radikalislamische Gruppierungen finden dort relativ sichere Rückzugsgebiete. Hier können sie sich neu aufstellen, Kämpfer ausbilden und frisches Personal rekrutieren. Dabei hilft ihnen, dass die Bergstämme diesseits wie jenseits der Grenze meist Paschtunen sind. Washington drängt deshalb den pakistanischen Präsidenten Musharraf, militärisch offensiv in den Stammesgebieten vorzugehen oder zumindest zuzulassen, dass Soldaten der ISAF, der OEF oder amerikanische Special Forces die Taliban-Kämpfer auch über die Grenze hinweg verfolgen und Ziele auf pakistanischem Territorium bekämpfen. Für Musharraf ist beides desaströs. Er kann weder selbst einen offenen Krieg auf pakistanischem Territorium führen noch offiziell zulassen, dass der amerikanische Krieg gegen den Terror auf Pakistan übergreift.

Der andere Faktor, der die Situation am Hindukusch verschärfen kann, heißt Iran. Teheran hat bislang die westlichen Bemühungen um Stabilität in Afghanistan eher unterstützt als torpediert. Das iranisch-pakistanische Grenzgebiet ist auch für Teheran ein potenzieller Unruheherd. Nun droht Washington, die iranischen Revolutionswächter zur Terror-Organisation zu erklären. In den Medien tauchen erste Hinweise auf, Amerika könne einen militärischen Überraschungsschlag aus der Luft gegen die Pasdaran führen – unabhängig vom Konflikt um das iranische Atomprogramm. Auch der Iran wird in Washington zum Gefechtsfeld im "Krieg gegen den Terror".

Beide Entwicklungen haben in der deutschen Diskussion bislang wenig Beachtung gefunden. Sie zeigen, dass sich die Rahmenbedingungen des Engagements in Afghanistan noch erheblich verschlechtern könnten. Wird der Krieg gegen den Terror ausgeweitet, so stehen Stabilisierungs- und Wiederaufbaustrategien vor schweren Zeiten.

Die Afghanistan-Mission der NATO steckt in einer Sackgasse – und damit auch der Bundeswehr-Einsatz. Seit die ISAF in ganz Afghanistan für Sicherheit sorgen soll, sieht sich die Mission immer häufiger mit einem altbekannten Dilemma konfrontiert: Die Kämpfe mit den erstarkten Taliban lassen sich nicht ohne Verluste führen. Verluste in der afghanischen Zivilbevölkerung aber schädigen das Ansehen der NATO. Die afghanische Bevölkerung kann ISAF, OEF und die Special Forces der USA nicht mehr klar unterscheiden. OEF und die Special Forces lassen sich durch die ISAF nicht kontrollieren. Zu Ende gehen die Zeiten, in denen deutsche Politiker sich darauf zurückziehen konnten, dies sei vor allem ein Problem der US-Truppen. Auch die ISAF wird zunehmend als Besatzungsmacht wahrgenommen. Der NATO-Einsatz in Afghanistan könnte daran scheitern. Mit ihm würde auch die NATO scheitern. Es geht also nicht mehr ausschließlich um die Stabilisierung Afghanistans, sondern in gleicher Weise um die Zukunft und das zu wahrende Gesicht der NATO.

In dieser Situation gibt es drei Optionen: Zur Gesichtswahrung kann die NATO erstens versuchen, den eingeschlagenen Kurs fortzusetzen, bis offenbar wird, dass sie politisch und militärisch in einer Sackgasse steckt. Wie Washington im Irak könnte sie versuchen, "more of the same" als neue Strategie zu verkaufen. Ob das Erfolg verspricht, ist zweifelhaft, siehe Irak. Zweitens kann die NATO ihr Engagement massiv verstärken und den Konflikt selbst eskalieren. Selbst wenn die NATO-Mitglieder genug Truppen stellen würden - der Erfolg wäre nicht garantiert. Und drittens könnte zuerst nach einer neuen politischen Strategie für Afghanistan gesucht werden - bevor man die militärischen Strukturen entsprechend anpasst. Dies anzugehen, wäre die eigentliche Aufgabe der deutschen Diskussion. Doch diese Debatte hat bisher noch nicht begonnen.


 

ist freier Journalist und leitet das Berliner Informationszentrum für Transatlantische Sicherheit - BITS