Iranischer Rundfunk (deutsches Programm) - Interview
07. Mai 2009


Deutschland steigert seinen Marktanteil als Waffenexporteur

Interview mit Otfried Nassauer

Iranischer Rundfunk: Die DW berichtete gestern unter Berufung auf das Stockholmer Friedensforschungsinstitut (SIPRI), dass Deutschlands bereits zu den größten Waffenexporteuren der Welt gehört. So soll Deutschland seinen Marktanteil im Zeitraum zwischen 2003 bis 2008 von 7 Prozent auf 10 Prozent erhöht haben. Ich hätte gerne Ihre Analyse dazu.

Nassauer: In der Tat, die Rüstungsexporte sind weltweit in den letzten Jahren wieder stark angestiegen, insbesondere in den Jahren, das Sie erwähnt haben. Der deutsche Anteil innerhalb dieser Rüstungsexporte ist auch größer geworden. Bei SIPRI taucht Deutschland grundsätzlich beim Rüstungsexport sehr weit vorne auf, weil SIPRI den Export gebrauchter Waffen relativ teuer bewertet, weil man einen Restwert dieser Waffen annimmt und nicht den „Schrottwert“, den beispielsweise die Bundesregierung nimmt. Und wenn man nach den Ursachen sucht, warum Deutschland in den letzten fünf Jahren so viele Rüstungsgüter exportiert hat, dann hat es zum einen damit zutun, dass viele Gebrauchtwaffen der Bundeswehr, die durch die Verkleinerung der Bundeswehr nicht mehr nötig sind, exportiert worden sind, und zum zweiten damit, dass ein sehr teures Waffensystem, nämlich U-Boote, in viele Länder verkauft worden ist.


Iranischer Rundfunk:
Also, verschiedene Bewertungsverfahren führen zu unterschiedlichen Angaben über den Anteil des deutschen Waffenexports. Können Sie das vielleicht an einem Beispiel verdeutlichen?

Nassauer: Zu diesen Unterschieden kommt es aus mehreren Gründen: Zum einen macht die Bundesregierung in der Regel Angaben darüber, welche Genehmigung sie erteilt hat, aber nicht dazu, in welchem Umfang Rüstungsgüter real exportiert worden sind. Das ist der eine große Grund für diesen Unterschied.
Der zweite Grund ist, bei der Bundesregierung werden alle Rüstungsgüter gezählt, bei SIPRI werden im Wesentlichen Großwaffensysteme und relativ große Komponenten gelistet, die in der internationalen Rüstungspresse aufgetaucht sind und deren Export dort beschrieben worden ist. Das heißt, die Datenbasis ist schon mal ein Unterschied. Das weitere habe ich bereits erwähnt. Die Bundesregierung bewertet die gebrauchten Waffen, die abgegeben werden, weil sie nicht mehr von der Bundeswehr nicht mehr benötigt werden, sehr viel billiger als SIPRI das tut. SIPRI bewertet sozusagen einen Restwert, die Bundesregierung – vereinfacht gesagt -, einen Schrottwert.
Und drittens auch ein Grund, warum die Bewertung so unterschiedlich ist: Es ist in der Tat so, dass bei SIPRI sehr lange Zeitreihen gebildet werden, bei denen man versucht, einen Standard zu entwickeln, wie man über alle Länder gleichmäßig berichten kann. Die Bundesregierung konzentriert ihre Berichte nur auf das deutsche System und verwendet einen völlig anderen Berichtsmaßstab.


Iranischer Rundfunk:
Um welche Waffenarten handelt es dabei?

Nassauer: In den SIPRI-Listen machen einen großen Teil die gepanzerten Fahrzeuge und U-Boote beziehungsweise die Kriegsschiffe aus. In den Jahren 2003 bis 2008, die in den neuen SIPRI-Zahlen berücksichtigt sind, kann man das sehr deutlich sehen: Die Schwerpunkte sind auf der einen Seite gepanzerte Fahrzeuge wie der Dingo, - das ist eine Art Unimog mit einem gepanzerten Aufbau - Panzer-Haubitzen und gebrauchte Panzern der Bundeswehr. Allein 2007 hat die Bundeswehr mehr als 400 gebrauchte Panzer abgegeben. Diese Panzer gingen unter anderem nach Chile, nach Brasilien, nach Griechenland, nach Singapur und in die Türkei. Das macht eine gewaltige Menge aus. Daraus resultieren diese Zahlen.
Der zweite Bereich, den ich erwähnte, sind U-Boote. Mit dem neuen U-Boot 214 hat die
Thyssen-Gruppe, die Mutterfirma von HDW, ein sehr modernes konventionelles U-Boote, dessen Antrieb für viele Staaten attraktiv ist, weil er von der Außenluft unabhängig ist und auf der Basis einer Brennstoffzelle funktioniert. Von diesen U-Booten sind in den letzten Jahren eine ganze Reihe exportiert worden: Nach Griechenland, nach Südkorea, in die Türkei, mit der demnächst ein Vertrag abgeschlossen werden soll. Und da U-Boote sehr teuer sind, kann man deutlich sehen, dass dadurch natürlich auch Rüstungsexport signifikant ansteigt.


Iranischer Rundfunk:
Welche Richtlinien müssen dabei eingehalten werden. Angenommen will eine Waffenfirma will Rüstungsgüter exportieren, worauf muss sie achten?

Nassauer: Es gibt in Deutschland eine Reihe von Grenzen, die den Export von Rüstungsgütern regeln: Das sind zum einen auf nationaler Ebene das Kriegswaffenkontrollgesetz". Da fallen alle echten Kriegswaffen drunter. Und es ist eigentlich so, dass hier alles verboten ist, was die Bundesregierung nicht explizit erlaubt hat. Das heißt, für jede Kriegswaffe muss ich bei der Bundesregierung tatsächlich, wenn ich sie ausführen will, einen Antrag stellen. Der muss bewilligt werden. Dann gibt es aber auch andere Rüstungsgüter, zum Beispiel Rüstungsgüter, die doppelt verwendbar sind, also zivil und militärisch, für die gilt ein anderes Gesetz. Das ist das "Außenwirtschaftsgesetz"" mit angehängter Außenwirtschaftsverordnung. Und da gilt die umgekehrte Rechtsregel. Eigentlich ist alles erlaubt, was nicht verboten worden ist. Hier muss trotzdem für viele Güter, die auf entsprechenden Listen entstehen, ein Antrag beim Bundesausfuhramt gestellt werden. Und wenn der bewilligt worden ist, erst dann darf die Firma liefern. Andernfalls begeht sie ein Exportvergehen. Und schließlich und endlich kommen zu diesen Listen hinzu die internationalen Vereinbarungen zum Beispiel über die Begrenzung des Handels mit Materialien, die für die Nuklearindustrie verwendbar sind, die für den Raketenbau verwendbar sind, die für C- und B-Waffen und einige andere mehr verwendbar sind. Auch da muss die Bundesregierung das umsetzen, was international vereinbart worden ist und das tut sie. Und auch da bedarf es jeweils wieder der Genehmigung oder Nachfrage, ob eine Genehmigung erforderlich ist.


Iranischer Rundfunk:
Welche Länder sind Empfänger deutscher Waffen? Sie haben bereits einige genannt, aber sicherlich importieren auch weitere Länder Waffen aus Deutschland.

Nassauer: In den letzten fünf Jahren sind die beiden großen Empfänger Griechenland und die Türkei gewesen, das sind beides Länder, die über viele Jahre von Deutschland beliefert wurden und wo man ironisch sagen könnte, die deutschen Rüstungslieferungen sind Brennstoffzelle des regionalen Rüstungswettlaufs zwischen den beiden Ländern. Neben diesen beiden Ländern treten immer wieder sehr unterschiedliche Staaten auf. Zum Beispiel ist Israel immer dann, wenn es aus Deutschland U-Boote bekommt, ein wichtiger Empfänger, weil U-Boote so teuer sind, aber die Stückzahl doch ziemlich klein ist. Andere Länder kommen in der Statistik relativ weit oben vor, wenn sie gerade zum Beispiel gebrauchte Waffen der Bundeswehr beziehen. Also, das wäre jetzt z.B. bei Chile mit gebrauchten Leopard-Panzern der Fall oder bei Brasilien. Und schließlich und endlich gibt es Länder, mit denen große Projekte abgewickelt werden. In der letzten Statistik der Bundesregierung war deswegen plötzlich Pakistan eines der Länder, das relativ weit oben unter den Empfängern stand, weil hier eine Reihe von Projekten in der Genehmigungsphase waren und deswegen: Obwohl diese Lieferungen bisher nicht erfolgt worden sind, werden sie in der Statistik relativ weit oben auftauchen.


Iranischer Rundfunk:
Welche Position nimmt der Mittlere Osten als Waffenimporteur in der Statistik der Bundesregierung und bei SIPRI ein?

Nassauer: Als Empfänger der deutschen Waffen spielt der Mittlere Osten keine herausragende Rolle. Da geht es eigentlich eher um die Frage, dass es ein Mittelfeldplatz ist. Spannend ist in der Tat in den Zahlen von SIPRI der Mittlere Osten. Nach den Jahren, in denen die Bedeutung der Rüstungsexporte dorthin abgenommen hatte, ist er in den letzten fünf Jahren wieder ein wichtiger Empfänger von Rüstungsgütern geworden. SIPRI berechnet eine Steigerungsrate von 38 Prozent für den gesamten Mittleren Osten, in den natürlich die Hauptlieferanten die USA, Großbritannien und Russland sind. Aber der Mittlere Osten wird sozusagen als Region beschrieben, die als Markt für die großen Hersteller von Rüstungsgütern wieder eine größere Bedeutung hat. Einige der Staaten des Mittleren Ostens tauchen in der Tat deswegen auf in der Hitliste „wer ist der größte Empfänger?“ wieder weit oben auf. Erstaunlich ist aber, dass einige Daten in einem großen – sagen wir mal – optischen Widerspruch zur internationalen Sichtweise stehen. Der Iran beispielsweise, über dessen Rüstungsimport eine Menge in den Zeitungen berichtet wird, taucht bei SIPRI interessanterweise als großer Empfänger erst auf Platz 27 auf. Also: Er ist vergleichsweise ein kleiner Empfänger, was wiederum damit zutun hat, dass über viele Rüstungslieferungen in den Iran zunächst spekulativ berichtet wird und gerade bei den Gütern, die aus Russland kommen, ganz oft schon spekuliert wird, dass Liferungen erfolgen, wenn die Verträge noch nicht abgeschlossen sind und deswegen ist der Iran scheinbar ein größerer Rüstungsimporteur als er faktisch bei SIPRI in den Statistiken erscheint.


Iranischer Rundfunk: Sie haben zwei Länder erwähnt, nämlich Israel und Pakistan, die in Krisenregionen liegen. Gibt es diesbezüglich keine Beschränkung von Gesetz her?

Nassauer: Im Prinzip ist es so, dass in Regionen, in denen militärische Gewaltausbrüche drohen, grundsätzlich nicht geliefert werden soll. Die deutschen politischen Richtlinien für den Rüstungsexport sehen das vor, aber die sind interpretierbar. Sie sind keine Rechtsgrundlage, es sind politische Selbstverpflichtungen. Deswegen werden sie relativ häufig umgangen und viele Waffen, die von der Bundesregierung geliefert werden, tauchen in Regionen auf, in denen später dann möglicherweise Krieg geführt wird. Das ist das Problem, wenn man Rüstungsgüter exportiert: Sie haben eine Lebensdauer von 20, 30, 40 Jahren und die politische Situation in den Empfängerländern ist für diesen Zeitraum nicht überall vorherzusehen. Es ist allerdings zu beobachten bei diesen Zahlen, die jetzt SIPRI herausgegeben hat, dass der deutsche Waffenexport überproportional in Länder der Europäischen Union gestiegen ist. Also, da ist die Steigerung nicht 70 Prozent, sondern 123 Prozent. Das zeigt, dass Deutschland immer mehr Komponenten zu den Rüstungsexporten anderer Länder beisteuert. Also zum Beispiel schwere Motoren, Getriebe und ähnliche Dinge. Das sind eigentlich Entwicklungen, bei denen man sagen muss, dass "Made in Germany" innen auf einem Waffensystem und nicht außen drauf auf der Hülle steht.


Iranischer Rundfunk:
Wie sieht der Waffenexporttrend aus?

Nassauer: Der Trend deutscher Rüstungsexporte ist nur in bestimmten Bereichen relativ gut absehbar, beispielsweise bei den U-Booten. Da ist klar, dass durch die Einführung einer neuen Generation von Export-Booten in den nächsten Jahren die deutsche Rüstungsindustrie relativ gut zu haben wird, vorausgesetzt, dass die Finanzkrise einige der geplanten Geschäfte nicht wieder kaputt macht. Das könnte zum Beispiel bei Pakistan der Fall sein, weil Pakistan ja auch gleichzeitig durch den IWF im Rahmen der Finanzhilfen Bedingungen erfüllen und seine Rüstungsausgaben zurückfahren soll. Allerdings eine generelle Voraussage zu treffen, wie sich die deutschen Rüstungsexporte in den nächsten fünf, zehn Jahren entwickelt werden, ist praktisch unmöglich. Also, da gibt es keine Daten und auch keine vernünftigen Vorhersagemöglichkeiten, zumal, wie Sie selber wahrscheinlich auch sehr gut wissen, Rüstungsexporte bei vielen Empfängern daran gebunden sind, dass Politiker Geld bekommen, dass Mittelsmänner Geld bekommen, dass Korruption damit verbunden ist und deswegen nicht immer nach rationalen Gesichtspunkten entschieden wird.

Das Interview führte Seyed Hedayatollah Shahrokny


 

ist freier Journalist und leitet das Berliner Informationszentrum für Transatlantische Sicherheit - BITS