Deutschland steigert seinen Marktanteil als Waffenexporteur
Interview mit Otfried Nassauer
Iranischer Rundfunk: Die DW berichtete gestern unter
Berufung auf das Stockholmer Friedensforschungsinstitut (SIPRI), dass
Deutschlands bereits zu den größten Waffenexporteuren der Welt
gehört. So soll Deutschland seinen Marktanteil im Zeitraum zwischen
2003 bis 2008 von 7 Prozent auf 10 Prozent erhöht haben. Ich hätte
gerne Ihre Analyse dazu.
Nassauer: In der Tat, die Rüstungsexporte sind weltweit in den letzten
Jahren wieder stark angestiegen, insbesondere in den Jahren, das Sie erwähnt
haben. Der deutsche Anteil innerhalb dieser Rüstungsexporte ist auch
größer geworden. Bei SIPRI taucht Deutschland grundsätzlich
beim Rüstungsexport sehr weit vorne auf, weil SIPRI den Export gebrauchter
Waffen relativ teuer bewertet, weil man einen Restwert dieser Waffen annimmt
und nicht den „Schrottwert“, den beispielsweise die Bundesregierung nimmt.
Und wenn man nach den Ursachen sucht, warum Deutschland in den letzten
fünf Jahren so viele Rüstungsgüter exportiert hat, dann
hat es zum einen damit zutun, dass viele Gebrauchtwaffen der Bundeswehr,
die durch die Verkleinerung der Bundeswehr nicht mehr nötig sind,
exportiert worden sind, und zum zweiten damit, dass ein sehr teures Waffensystem,
nämlich U-Boote, in viele Länder verkauft worden ist.
Iranischer Rundfunk: Also, verschiedene Bewertungsverfahren
führen zu unterschiedlichen Angaben über den Anteil des deutschen
Waffenexports. Können Sie das vielleicht an einem Beispiel verdeutlichen?
Nassauer: Zu diesen Unterschieden kommt es aus mehreren Gründen:
Zum einen macht die Bundesregierung in der Regel Angaben darüber,
welche Genehmigung sie erteilt hat, aber nicht dazu, in welchem Umfang
Rüstungsgüter real exportiert worden sind. Das ist der eine
große Grund für diesen Unterschied.
Der zweite Grund ist, bei der Bundesregierung werden alle Rüstungsgüter
gezählt, bei SIPRI werden im Wesentlichen Großwaffensysteme
und relativ große Komponenten gelistet, die in der internationalen
Rüstungspresse aufgetaucht sind und deren Export dort beschrieben
worden ist. Das heißt, die Datenbasis ist schon mal ein Unterschied.
Das weitere habe ich bereits erwähnt. Die Bundesregierung bewertet
die gebrauchten Waffen, die abgegeben werden, weil sie nicht mehr von
der Bundeswehr nicht mehr benötigt werden, sehr viel billiger als
SIPRI das tut. SIPRI bewertet sozusagen einen Restwert, die Bundesregierung
– vereinfacht gesagt -, einen Schrottwert.
Und drittens auch ein Grund, warum die Bewertung so unterschiedlich ist:
Es ist in der Tat so, dass bei SIPRI sehr lange Zeitreihen gebildet werden,
bei denen man versucht, einen Standard zu entwickeln, wie man über
alle Länder gleichmäßig berichten kann. Die Bundesregierung
konzentriert ihre Berichte nur auf das deutsche System und verwendet einen
völlig anderen Berichtsmaßstab.
Iranischer Rundfunk: Um welche Waffenarten handelt
es dabei?
Nassauer: In den SIPRI-Listen machen einen großen Teil die gepanzerten
Fahrzeuge und U-Boote beziehungsweise die Kriegsschiffe aus. In den Jahren
2003 bis 2008, die in den neuen SIPRI-Zahlen berücksichtigt sind,
kann man das sehr deutlich sehen: Die Schwerpunkte sind auf der einen
Seite gepanzerte Fahrzeuge wie der Dingo, - das ist eine Art Unimog mit
einem gepanzerten Aufbau - Panzer-Haubitzen und gebrauchte Panzern der
Bundeswehr. Allein 2007 hat die Bundeswehr mehr als 400 gebrauchte Panzer
abgegeben. Diese Panzer gingen unter anderem nach Chile, nach Brasilien,
nach Griechenland, nach Singapur und in die Türkei. Das macht eine
gewaltige Menge aus. Daraus resultieren diese Zahlen.
Der zweite Bereich, den ich erwähnte, sind U-Boote. Mit dem neuen
U-Boot 214 hat die
Thyssen-Gruppe, die Mutterfirma von HDW, ein sehr modernes konventionelles
U-Boote, dessen Antrieb für viele Staaten attraktiv ist, weil er
von der Außenluft unabhängig ist und auf der Basis einer Brennstoffzelle
funktioniert. Von diesen U-Booten sind in den letzten Jahren eine ganze
Reihe exportiert worden: Nach Griechenland, nach Südkorea, in die
Türkei, mit der demnächst ein Vertrag abgeschlossen werden soll.
Und da U-Boote sehr teuer sind, kann man deutlich sehen, dass dadurch
natürlich auch Rüstungsexport signifikant ansteigt.
Iranischer Rundfunk: Welche Richtlinien müssen
dabei eingehalten werden. Angenommen will eine Waffenfirma will Rüstungsgüter
exportieren, worauf muss sie achten?
Nassauer: Es gibt in Deutschland eine Reihe von Grenzen, die den Export
von Rüstungsgütern regeln: Das sind zum einen auf nationaler
Ebene das Kriegswaffenkontrollgesetz". Da fallen alle echten Kriegswaffen
drunter. Und es ist eigentlich so, dass hier alles verboten ist, was die
Bundesregierung nicht explizit erlaubt hat. Das heißt, für
jede Kriegswaffe muss ich bei der Bundesregierung tatsächlich, wenn
ich sie ausführen will, einen Antrag stellen. Der muss bewilligt
werden. Dann gibt es aber auch andere Rüstungsgüter, zum Beispiel
Rüstungsgüter, die doppelt verwendbar sind, also zivil und militärisch,
für die gilt ein anderes Gesetz. Das ist das "Außenwirtschaftsgesetz""
mit angehängter Außenwirtschaftsverordnung. Und da gilt die
umgekehrte Rechtsregel. Eigentlich ist alles erlaubt, was nicht verboten
worden ist. Hier muss trotzdem für viele Güter, die auf entsprechenden
Listen entstehen, ein Antrag beim Bundesausfuhramt gestellt werden. Und
wenn der bewilligt worden ist, erst dann darf die Firma liefern. Andernfalls
begeht sie ein Exportvergehen. Und schließlich und endlich kommen
zu diesen Listen hinzu die internationalen Vereinbarungen zum Beispiel
über die Begrenzung des Handels mit Materialien, die für die
Nuklearindustrie verwendbar sind, die für den Raketenbau verwendbar
sind, die für C- und B-Waffen und einige andere mehr verwendbar sind.
Auch da muss die Bundesregierung das umsetzen, was international vereinbart
worden ist und das tut sie. Und auch da bedarf es jeweils wieder der Genehmigung
oder Nachfrage, ob eine Genehmigung erforderlich ist.
Iranischer Rundfunk: Welche Länder sind Empfänger
deutscher Waffen? Sie haben bereits einige genannt, aber sicherlich importieren
auch weitere Länder Waffen aus Deutschland.
Nassauer: In den letzten fünf Jahren sind die beiden großen
Empfänger Griechenland und die Türkei gewesen, das sind beides
Länder, die über viele Jahre von Deutschland beliefert wurden
und wo man ironisch sagen könnte, die deutschen Rüstungslieferungen
sind Brennstoffzelle des regionalen Rüstungswettlaufs zwischen den
beiden Ländern. Neben diesen beiden Ländern treten immer wieder
sehr unterschiedliche Staaten auf. Zum Beispiel ist Israel immer dann,
wenn es aus Deutschland U-Boote bekommt, ein wichtiger Empfänger,
weil U-Boote so teuer sind, aber die Stückzahl doch ziemlich klein
ist. Andere Länder kommen in der Statistik relativ weit oben vor,
wenn sie gerade zum Beispiel gebrauchte Waffen der Bundeswehr beziehen.
Also, das wäre jetzt z.B. bei Chile mit gebrauchten Leopard-Panzern
der Fall oder bei Brasilien. Und schließlich und endlich gibt es
Länder, mit denen große Projekte abgewickelt werden. In der
letzten Statistik der Bundesregierung war deswegen plötzlich Pakistan
eines der Länder, das relativ weit oben unter den Empfängern
stand, weil hier eine Reihe von Projekten in der Genehmigungsphase waren
und deswegen: Obwohl diese Lieferungen bisher nicht erfolgt worden sind,
werden sie in der Statistik relativ weit oben auftauchen.
Iranischer Rundfunk: Welche Position nimmt der Mittlere Osten
als Waffenimporteur in der Statistik der Bundesregierung und bei SIPRI
ein?
Nassauer: Als Empfänger der deutschen Waffen spielt der Mittlere
Osten keine herausragende Rolle. Da geht es eigentlich eher um die Frage,
dass es ein Mittelfeldplatz ist. Spannend ist in der Tat in den Zahlen
von SIPRI der Mittlere Osten. Nach den Jahren, in denen die Bedeutung
der Rüstungsexporte dorthin abgenommen hatte, ist er in den letzten
fünf Jahren wieder ein wichtiger Empfänger von Rüstungsgütern
geworden. SIPRI berechnet eine Steigerungsrate von 38 Prozent für
den gesamten Mittleren Osten, in den natürlich die Hauptlieferanten
die USA, Großbritannien und Russland sind. Aber der Mittlere Osten
wird sozusagen als Region beschrieben, die als Markt für die großen
Hersteller von Rüstungsgütern wieder eine größere
Bedeutung hat. Einige der Staaten des Mittleren Ostens tauchen in der
Tat deswegen auf in der Hitliste „wer ist der größte Empfänger?“
wieder weit oben auf. Erstaunlich ist aber, dass einige Daten in einem
großen – sagen wir mal – optischen Widerspruch zur internationalen
Sichtweise stehen. Der Iran beispielsweise, über dessen Rüstungsimport
eine Menge in den Zeitungen berichtet wird, taucht bei SIPRI interessanterweise
als großer Empfänger erst auf Platz 27 auf. Also: Er ist vergleichsweise
ein kleiner Empfänger, was wiederum damit zutun hat, dass über
viele Rüstungslieferungen in den Iran zunächst spekulativ berichtet
wird und gerade bei den Gütern, die aus Russland kommen, ganz oft
schon spekuliert wird, dass Liferungen erfolgen, wenn die Verträge
noch nicht abgeschlossen sind und deswegen ist der Iran scheinbar ein
größerer Rüstungsimporteur als er faktisch bei SIPRI in
den Statistiken erscheint.
Iranischer Rundfunk: Sie haben zwei Länder erwähnt,
nämlich Israel und Pakistan, die in Krisenregionen liegen. Gibt es
diesbezüglich keine Beschränkung von Gesetz her?
Nassauer: Im Prinzip ist es so, dass in Regionen, in denen militärische
Gewaltausbrüche drohen, grundsätzlich nicht geliefert werden
soll. Die deutschen politischen Richtlinien für den Rüstungsexport
sehen das vor, aber die sind interpretierbar. Sie sind keine Rechtsgrundlage,
es sind politische Selbstverpflichtungen. Deswegen werden sie relativ
häufig umgangen und viele Waffen, die von der Bundesregierung geliefert
werden, tauchen in Regionen auf, in denen später dann möglicherweise
Krieg geführt wird. Das ist das Problem, wenn man Rüstungsgüter
exportiert: Sie haben eine Lebensdauer von 20, 30, 40 Jahren und die politische
Situation in den Empfängerländern ist für diesen Zeitraum
nicht überall vorherzusehen. Es ist allerdings zu beobachten bei
diesen Zahlen, die jetzt SIPRI herausgegeben hat, dass der deutsche Waffenexport
überproportional in Länder der Europäischen Union gestiegen
ist. Also, da ist die Steigerung nicht 70 Prozent, sondern 123 Prozent.
Das zeigt, dass Deutschland immer mehr Komponenten zu den Rüstungsexporten
anderer Länder beisteuert. Also zum Beispiel schwere Motoren, Getriebe
und ähnliche Dinge. Das sind eigentlich Entwicklungen, bei denen
man sagen muss, dass "Made in Germany" innen auf einem Waffensystem
und nicht außen drauf auf der Hülle steht.
Iranischer Rundfunk: Wie sieht der Waffenexporttrend aus?
Nassauer: Der Trend deutscher Rüstungsexporte ist nur in bestimmten
Bereichen relativ gut absehbar, beispielsweise bei den U-Booten. Da ist
klar, dass durch die Einführung einer neuen Generation von Export-Booten
in den nächsten Jahren die deutsche Rüstungsindustrie relativ
gut zu haben wird, vorausgesetzt, dass die Finanzkrise einige der geplanten
Geschäfte nicht wieder kaputt macht. Das könnte zum Beispiel
bei Pakistan der Fall sein, weil Pakistan ja auch gleichzeitig durch den
IWF im Rahmen der Finanzhilfen Bedingungen erfüllen und seine Rüstungsausgaben
zurückfahren soll. Allerdings eine generelle Voraussage zu treffen,
wie sich die deutschen Rüstungsexporte in den nächsten fünf,
zehn Jahren entwickelt werden, ist praktisch unmöglich. Also, da
gibt es keine Daten und auch keine vernünftigen Vorhersagemöglichkeiten,
zumal, wie Sie selber wahrscheinlich auch sehr gut wissen, Rüstungsexporte
bei vielen Empfängern daran gebunden sind, dass Politiker Geld bekommen,
dass Mittelsmänner Geld bekommen, dass Korruption damit verbunden
ist und deswegen nicht immer nach rationalen Gesichtspunkten entschieden
wird.
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Das Interview führte Seyed Hedayatollah
Shahrokny |
ist freier Journalist und leitet
das Berliner Informationszentrum für Transatlantische Sicherheit - BITS
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