Inforadio - Interview
20. Januar 2006


Drohungen mit Atombomben - ganz "normale" Militär-Doktrin von Atommächten?

Interview mit Otfried Nassauer

Frankreichs Drohung mit Atomwaffen hat hier in Deutschland Kritik ausgelöst. Frankreichs Präsident Chirac hat am 19. Januar Terroristen oder Staaten, die Terroristen unterstützen mit den Einsatz von Atomwaffen gedroht, sollten sie auch nur erwägen, Frankreich anzugreifen. Die deutsche Reaktion auf diese Äußerungen parteiübergreifend: Die Äußerungen des französischen Präsidenten sind vor allem im Konflikt mit dem Iran derzeit nicht sehr hilfreich. Nun müssen wir zunächst einmal berücksichtigen, wo er es gesagt hat, nämlich auf einem Atomwaffenstützpunkt in einer Rede an die Soldaten.

Mit Otfried Nassauer, dem Direktor des Berliner Informationszentrums für transatlantische Sicherheit, sprach Sabine Beckmann


inforadio: Warum hat Chirac das gesagt?

Otfried Nassauer: Ich denke, wie Sie eingangs schon erwähnt haben, er war auf dem Atomwaffenstützpunkt, hat gegenüber den Bürgern damit auch indirekt gerechtfertigt, warum Frankreich so viel Geld dafür ausgibt und er hat gleichzeitig versucht, den französischen Atomwaffen einen neuen Sinn zu geben, nach dem Ende des kalten Krieges. Und zwar einen Sinn, den er auch schon mal 2001 angedeutet hatte, nämlich die Funktion nicht nur Staaten, die selber Atomwaffen haben mit Atomwaffen-Vergeltung zu drohen, sondern eben auch potenziell Staaten, die Terroristen unterstützen und terroristische Anschläge gegen Frankreich unternehmen sollten. Er hat schließlich das Ganze zeitlich im Kontext der Irankrise geäußert und damit ist er natürlich absolut unhilfreich. Das wirkt so ein bisschen wie eine völlig überzogene Drohung, die aus Hilflosigkeit kommt, weil es den Europäern nicht gelingt, das zivile Atomprogramm des Irans so zu begrenzen, dass es militärisch überhaupt nicht genutzt werden könnte.

inforadio: Was schätzen Sie, kann das den Konflikt mit dem Iran noch verschärfen?
Otfried Nassauer: Ich denke, das ist eine Steilvorlage für Herrn Ahmadinedschad, innenpolitisch mehr Unterstützung einzusammeln. Er wird mit Sicherheit seine scharfen Äußerungen gegen Israel wieder verstärken und möglicherweise damit auch irgendwann Aussagen zum Thema Europa verknüpfen und da, denke ich, müssen die Europäer einfach noch mal nachdenken, ob man nicht einen ganz anderen Verhandlungsansatz im Iran wählen müsste, einen Verhandlungsansatz, der dem Iran das gibt, was er braucht um auf ein militärisches Atomwaffenprogramm zu verzichten, nämlich eine Sicherheitsgarantie, beziehungsweise Sicherheitsstrukturen für den Nahen und Mittleren Osten, die dem Iran einen Verzicht auf Atomwaffen ermöglicht.

inforadio: Auch die USA oder Großbritannien sind Atommächte. Die drohen nicht so unverhohlen mit ihren Waffen. Tun sie es nicht, weil sowieso jeder weiß, dass die da sind und dass sie auch benutzt werden im Fall der Fälle?
Otfried Nassauer: Die Amerikaner drohen mit ihren Nuklearwaffen noch viel unverhohlener als Herr Chirac. Und sie drohen auch viel breiter. Herr Chirac sagt ja nur, wir würden diese Waffen zur Vergeltung einsetzen. Die Amerikaner sagen, wir setzen sie möglicherweise in einem solchen Kontext auch präventiv ein, also, bevor wir angegriffen werden.
Und die Briten, die halten sich da vornehm zurück und sagen über die Funktion ihrer Atomwaffen in diesem Kontext nichts. Auch die Russen schließen sich dieser Position der Amerikaner strukturell in den letzten Jahren immer mehr ein bisschen an und das ist eine ganz gefährliche Entwicklung, dass immer mehr Atommächte letztlich die Funktion ihrer atomaren Waffen ausweiten, damit auch begründen, warum sie die weiter noch brauchen und damit nukleare Abrüstung und nukleare Nichtverbreitung zu einem sehr viel größeren politischen Problem machen.

inforadio: Wenn wir das noch mal sehen vor dem Hintergrund Iran - ist das vielleicht Herrn Chiracs Botschaft, wir meinen das wirklich ernst?
Otfried Nassauer: Wenn Herr Chirac das hätte vermitteln wollen, dann wirkt es wahrscheinlich kontraproduktiv, weil das im Iran eher in folgende Richtung wirkt: Okay, die Atommächte dieser Welt denken darüber nach, auch nicht nukleare Staaten atomar anzugreifen. Das ist ein Grund dafür, dass wir selber Atomwaffen brauchen, damit wir dann nicht mehr erpressbar sind. Das geht vermutlich von der Logik her in die Hose. Da wäre eine andere Haltung sehr viel produktiver, nämlich eine, die zeigt, dass Atomwaffen über die nächsten zehn, zwanzig Jahre einfach abgerüstet werden sollten und zwar überall. Auch in den Atommächten.

inforadio: Die Bundesregierung hier in Deutschland hat sich noch nicht zu den Aussagen von Jacques Chirac geäußert. Was so aus der Opposition kommt ist überwiegend kritisch. Ich habe es ja eingangs schon gesagt, in Frankreich gibt es gar keine Reaktion, in anderen Ländern auch nicht. Warum?
Otfried Nassauer: Im Wesentlichen gibt es keine Reaktion in den Ländern, die selber Atomwaffen haben. Und das ist auch verständlich, dass es diese Reaktionen nicht gibt, weil die nämlich ähnlich denken wie Herr Chirac. In Deutschland gibt es so scharfe Reaktionen, weil erstens die Bundesrepublik eines der größeren Länder dieser Erde ist, das keine Atomwaffen hat, ähnlich wie Japan und zweitens, weil in der Bundesrepublik weitgehender Konsens herrscht, dass Atomwaffen in der Sicherheitspolitik in Zukunft wahrscheinlich keine große Rolle mehr spielen sollten und das erklärt, warum wir hier so einen Aufschrei haben.


 

ist freier Journalist und leitet das Berliner Informationszentrum für Transatlantische Sicherheit - BITS