Wächst mit dem Libanon-Krieg die Gefahr eines Militärschlages gegen den Iran?
Interview mit Mohssen Massarrat
Der Politikwissenschaftler und Nahost-Experte Mohssen Massarrat über die erste,
zweite und dritte Front im Nahen und Mittleren Osten.
FREITAG: Verhärtet der Libanon-Krieg die iranische Position im Atomkonflikt?
MOHSSEN MASSARRAT: Ich fürchte ja, denn die Hisbollah wird vom Iran nicht nur
unterstützt, sie ist ganz bewusst als eine Art politisch-militärisches Gegengewicht zur
militärischen Überlegenheit Israels gegenüber dem Iran aufgebaut worden. Sollte sich
zeigen, dass Israel möglicherweise genau deshalb seit längerem geplant hat, die
Hisbollah zu eliminieren, dann werden sich in der iranischen Führung diejenigen
durchsetzen, die sagen: Wir dürfen auf keinen Fall auf die Option verzichten, eigene
Atombomben zu entwickeln. Insofern gibt es diesen direkten Zusammenhang zwischen dem
Libanon-Konflikt und Irans Atom-Konflikt.
Das würde bedeuten, die iranische Führung gibt zu, sie will auf das Recht zur
eigenständigen Anreicherung von Uran unter anderem deshalb nicht verzichten, weil sie
sich damit die Option zum Bau von Kernwaffen erhält.
Das sehe ich nicht so, der Iran wird nach wie vor erklären, die Uran-Anreicherung sei
für das eigene Energieprogramm notwendig. Auf diesem Recht wird man in Teheran nun erst
recht bestehen.
Der UN-Sicherheitsrat hat dem Iran eine Frist bis zum 31. August gesetzt, um
über den vorliegenden Kompromissvorschlag zum Atomkonflikt zu entscheiden. Mit welchem
Votum in Teheran rechnen Sie?
Das hängt von den Details dieses Kompromisspakets ab. Bieten die USA und die EU darin
wirklich etwas substantiell Neues an, dann würden für eine Ablehnung weniger sachliche
Differenzen als Prestigefragen eine Rolle spielen. Es kann allerdings auch sein, dass die
USA und die EU-3 Großbritannien, Frankreich und Deutschland erneut nur Scheinkonzessionen
machen - das hätte auf jeden Fall eine negative Antwort Teherans zur Folge.
Offensichtlich wird Letzteres der Fall sein, denn der Libanon-Krieg zwingt die iranische
Führung schon jetzt zu einer härteren Gangart, dies zeigt die jüngste Erklärung von
Chefunterhändler Ali Laridschani. Wenn jetzt eine Entscheidung bereits bis zum 31. August
gefordert wird, dient das nach meinem Eindruck auch dazu, den Druck zu erhöhen und medial
den Boden für die nächste Eskalationsstufe zu bereiten.
Sie meinen eine UN-Resolution, die sich auf Kapitel VII der UN-Charta und damit
den möglichen Gebrauch militärischer Gewalt als letztes Mittel bezieht?
Ja, aber das hängt davon ab, wie standhaft China und Russland bleiben und sich auch
weiterhin genau dem verweigern.
Wächst mit dem Libanon-Krieg wieder die Gefahr eines Militärschlages gegen
den Iran?
Ich fürchte, dass es genauso ist. Die scharfen Vorwürfe aus Israel und den USA,
Hisbollah wäre durch Teheran ferngesteuert, könnten als psychologisches Vorspiel für
einen Plan B gedacht sein, falls China und Russland im Sicherheitsrat weiterhin Widerstand
leisten. Dann wäre ein amerikanisch-israelischer Militärschlag auch ohne UN-Resolution,
aber mit aktiver beziehungsweise passiver Unterstützung durch die britische, vielleicht
auch die deutsche Regierung möglich.
Erklärt das die absolute Kompromisslosigkeit, mit der die USA gerade im Moment
hinter Israel stehen?
Durchaus, allerdings verdient es dieses hochgradig innige Verhältnis von seinem Kern her
analysiert zu werden. Und der besteht darin, dass es ohne Israel als einem sehr engen
Verbündeten keinen Brückenkopf für die US-Hegemonie im Mittleren Osten gäbe, das
heißt, die Amerikaner müssten ohne ein militärisch hoch überlegenes Israel auf den
Hauptpfeiler ihres Hegemonialsystems verzichten. Umgekehrt geht auch Israel davon aus,
dass es auf die US-Hegemonie in der Region in elementarer Weise angewiesen ist. Diese
gegenseitige Abhängigkeit ist meines Erachtens so fundamental, dass die USA für einen
solchen Verbündeten, der auch künftig seine militärische Überlegenheit bewahren soll,
zu allen Schandtaten - koste es, was es wolle - bereit sind.
Halten Sie folgendes Junktim für denkbar: Der Westen macht Konzessionen in der
Atomfrage, wenn Teheran der Hisbollah Order gibt, im Libanon die Waffen zu strecken?
Zunächst einmal glaube ich nicht, dass Teheran der Hisbollah so einfach Order geben kann,
dazu ist sie trotz aller Bindungen an den Iran zu selbstständig und auch zu
selbstbewusst. Dennoch sprechen Sie einen wesentlichen Punkt an: Irans Führung scheint
nach meinem Eindruck bereit, die Hisbollah zur Mäßigung zu bewegen, um damit der
westlichen Propaganda, Iran führe einen Stellvertreterkrieg gegen Israel den Wind aus den
Segeln zu nehmen. Die pragmatischen iranischen Politiker haben eine höllische Angst, mit
einer dritten Kriegsfront konfrontiert zu werden. Sie spüren, und sie sehen vor allem,
von welcher Hybris die USA und Israel getrieben sind, so dass ihr Land wirklich ernsthaft
in Gefahr ist.
Sie sagen dritte Front, wo liegen die erste und die zweite?
Israels Krieg gegen Hamas sorgt für die erste, Israels Krieg gegen die Hisbollah für die
zweite. Eine dritte Front ergäbe sich für den Iran durch eine Konfrontation mit Israel
unter aktiver Mitwirkung der USA.
Drei Fronten, die der iranischen Führung über den Kopf zu wachsen drohen ...
... das vermute ich, ungeachtet des Säbelrasselns von Präsident Ahmadinedschad, der
freilich in Teheran nicht allein entscheidet - andere sind daran beteiligt, und sie sind
viel zu realistisch, um nicht zu sehen, welche Bedrohung der Libanon-Krieg auch für den
Iran bedeutet.
Was soll im Moment noch aufzuhalten sein? Sieht man, wie massiv Israel im Libanon
militärisch operiert, wird eine Mäßigung der Hisbollah wenig nützen - man will ihre
Kapitulation. Was meinen Sie, wo lag das Motiv für die "Partei Gottes", das
herauszufordern?
Ich glaube, es gab ein sehr rationales Motiv. Durch die Entführung von zwei israelischen
Soldaten wollte die Hisbollah mit der Hamas Solidarität üben. Erinnern wir uns, welche
Situation in den palästinensischen Autonomiegebieten bestand. Die EU hatte die Gelder
für die Palästinenser blockiert und sie damit regelrecht aufeinander gehetzt. Um es klar
zu sagen: Es gibt für mich einen direkten Zusammenhang zwischen der EU-Politik gegenüber
den Palästinensern und der Eskalation im Gaza-Streifen. Der politische Flügel der Hamas
war unter diesen Umständen Ende Juni weitsichtig genug, durch die Unterschrift unter das
18-Punkte-Papier von Marwan Barghouti und anderer palästinensischer Politiker, Israel
indirekt anzuerkennen. Damit sollte ein drohender Bürgerkrieg unter den Palästinensern
verhindert werden, was allerdings der militärische Flügel von Hamas nicht mittragen
wollte und deshalb den israelischen Soldaten Gilad Shalit entführte. Als daraufhin die
israelische Armee im Gaza-Streifen wütete - anders kann man es nicht nennen - war es für
die Hisbollah eine Frage der Glaubwürdigkeit gegenüber der eigenen radikalen Basis, sich
als natürlicher Verbündeter der Hamas in irgendeiner Form zu deren Entlastung
einzumischen.
Und das lieferte wiederum Israel den Vorwand, die zweite Kriegsfront im Libanon
zu eröffnen.
So ist es, aber ich möchte noch hinzu fügen, damit haben Hamas und Hisbollah ungewollt
den Israel-Palästina-Konflikt in den politischen Raum zurück gebracht, wo er hingehört.
Denn es ist erkennbar, wie eng der Syrien-Israel-Konflikt und der Iran-Israel-Konflikt mit
dem Palästina-Konflikt verflochten sind. Daher werden selektive Lösungen in Bezug auf
Hamas oder Hisbollah letzten Endes nicht greifen. Die jetzige Situation liefert erneut die
Begründung dafür, wie wichtig es ist, eine Perspektive für die gesamten Region zu
entwickeln. Und dies kann nur durch eine Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit für
den Mittleren und Nahen Osten geschehen. Solange es die nicht gibt, werden wir von einem
Konflikt in den nächsten schlittern.
Was sagen Sie zum Vorwurf des israelischen Generalstabs, Hisbollah benutze die
Bevölkerung im Südlibanon als menschlichen Schutzschild?
Dafür sind die Israelis bisher jeden Beweis schuldig geblieben. Obwohl den ihre Armee
doch gewiss durch Luftaufnahmen, wie sie jeden Tag aus dem Kriegsgebiet präsentiert
werden, mühelos erbringen könnte - wenn es ihn gäbe. Ich glaube im Übrigen, dass diese
Vorwürfe auch deswegen nicht stichhaltig sind, weil die betroffenen Menschen im Umfeld
möglicher Abschussrampen der Hisbollah doch als erste wissen müssten, dass sie in Gefahr
sind und demzufolge diese Orte meiden würden. Was Israel da behauptet, ist in jeder
Hinsicht unlogisch und dient nur dazu, die Vertreibung Hunderttausender Libanesen und die
Tötung von Frauen und Kindern moralisch zu rechtfertigen.
Sinken durch den Vormarsch der Israelis im Libanon die Chancen für einen
palästinensischen Staat auf den Nullpunkt?
Kurzfristig ja. Nur wird meines Erachtens gerade jetzt der Wille der Palästinenser, aber
auch der radikalisierten Araber und Moslems ungemein gestärkt, nicht aufzugeben. Es geht
um die Identität und Würde der Menschen in einer Region, die ihre eigene stolze
Geschichte hat. Der Libanon-Krieg hebt die Notwendigkeit für eine langfristige Lösung
keinesfalls auf, im Gegenteil: Der innere Zusammenhang aller einzelnen Konfliktherde wird
dazu zwingen, nach dieser Lösung zu suchen. Die Frage wird sein, ob es im Westen genug
einsichtige und mutige Politiker gibt, die den Weg dazu finden.
Ist die Belebung des so genannten Nahost-Quartetts aus den USA, Russland, der EU
und der UNO, wie das Ex-Außenminister Fischer gerade vorgeschlagen hat, ein Weg in diese
Richtung?
Die Frage ist: Was soll dieses Quartett tun? Wenn es nach wie vor an seiner unseligen
Road Map festhält, kann man das vergessen. Die Road Map war ein israelischer Fahrplan,
nicht mehr. Danach sollten die Palästinenser durch Gewaltverzicht und die Anerkennung
Israels erhebliche Vorleistungen erbringen, während Israel die Gründung eines
palästinensischen Rumpfstaates lediglich als Möglichkeit in Aussicht stellte. Fischer
muss endlich einsehen: Israel wird zu noch mehr Gewalt ermutigt, wenn nur die
bedingungslose Umsetzung seiner politischen Ziele befördert wird. Und das führt in die
Katastrophe - wir stehen kurz vor dieser Katastrophe.
Wenn man von der fast bedingungslosen Unterstützung der USA für Israel spricht,
muss man eigentlich im gleichen Atemzug sagen, die offizielle deutsche Position
unterscheidet sich kaum davon. Warum ist das so?
Weil sich die Bundesregierung, weil sich Frau Merkel und Herr Steinmeier sowie einige
andere in der SPD inzwischen dafür entschieden haben, die Geschlossenheit mit den USA in
allen außenpolitischen Fragen, vorzugsweise aber mit Bezug auf den Nahen und Mittleren
Osten, in den Vordergrund zu stellen. Das heißt, letzten Endes nichts anderes zu tun, als
sich dem US-Hegemonialsystem vollständig zu unterwerfen.
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Das Gespräch führte Lutz Herden |
Bisher bekannte Elemente aus dem Kompromissangebot an den Iran
- Das Recht auf die friedliche Nutzung der Atomenergie durch Iran wird anerkannt.
- Angebot zur Lieferung eines Leichtwasserforschungsreaktors.
- Versorgung iranischer AKW mit nuklearem Brennstoff.
- Urananreicherung könnte wieder aufgenommen werden, soll aber regelmäßigen Kontrollen
unterworfen sein.
- Einbeziehung Irans in die regionale Sicherheitspolitik.
- Ausbau der Handelsbeziehungen der Gestalt, dass der Iran etwa hinsichtlich der Zölle
wie ein WTO-Mitglied behandelt werden könnte.
- Förderung von Investitionen und Kooperation in der Erdöl- und Erdgasindustrie sowie
Technologietransfer.
Mohssen Massarrat, geboren im Iran, ist Professor für
Politikwissenschaft an der Universität Osnabrück. Seit Jahren aktiv in der
Friedensbewegung war er Mitbegründer der Koalition für Leben und Frieden. Mohssen
Massarat hat zahlreiche Bücher zu den internationalen Wirtschaftsbeziehungen, zum Nahen
und Mittleren Osten sowie zur Friedens- und Konfliktforschung geschrieben, unter anderem
Globalisierung und Nachhaltigkeit. Bausteine einer neuen Weltordnung, Amerikas
Weltordnung. Hegemonie und Kriege um Öl sowie Das Dilemma der ökologischen Steuerreform.
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