Deutsche Marine vor dem Libanon
Militärmission in der Sinnkrise?
von Dr. Karl-Heinz Harenberg
Es hat etwas Rührendes. Als der katholische Militärbischof Walter Mixa vor kurzem die
deutschen Blauhelmsoldaten auf ihren Schiffen vor der libanesischen Küste besuchte,
musste er sich aus allen Dienstgradgruppen Klagen darüber anhören, dass ihr Einsatz zu
wenig beachtet werde. Und zwar nicht nur von der deutschen Öffentlichkeit, sondern auch
von den Politikern, die sie doch zu den - so der offizielle deutsche Name -
Interimstruppen der Vereinten Nationen in Libanon, kurz UNIFIL, abkommandiert haben. Und
tatsächlich: Nur als sich wiederholt israelische Schnellboote bzw. Kampfflugzeuge
deutschen Schiffen der internationalen Einsatzgruppe bedrohlich näherten, gab es einige
aufgeregte Berichte. Und natürlich, als zwei deutsche Schnellboote bei einem
Wendemanöver kollidierten. Aber dieses Ereignis wäre wohl besser unbeachtet geblieben.
Das mangelnde Interesse des von den Deutschen geführten UN-Marineverbandes hat
Gründe, die schon bei der parlamentarischen Debatte über politischen Sinn und
militärischen Nutzen dieser Mission eine Rolle gespielt haben. Denn den Fachleuten im
Bundestag war klar bzw. hätte klar sein müssen, dass die gutgemeinte Aktion in der
Praxis wenig würde bewirken können. Besteht doch die Hauptaufgabe der schwimmenden
Einsatzgruppe mit ihren knapp 20 Schiffen und Booten, darunter sieben deutschen, darin,
den Waffenschmuggel auf dem Seewege zu unterbinden sowie den Waffenstillstand zwischen
Israel und Libanon zu sichern.
Nur - Waffenschiebereien finden mit Sicherheit statt, nur nicht über See, sondern an
der syrisch-libanesischen Grenze. Hier aber, so ein UN-Bericht, der Anfang dieser Woche
veröffentlicht wurde, ist der Stand der Grenzsicherung, der von deutschen Polizei- und
Zollbeamten organisiert wird, "nicht ausreichend". Und der Waffenstillstand ist,
wie das Attentat an der Blauen Linie vom vergangenen Wochenende zeigt, bei dem acht
Blauhelmsoldaten starben, vor allem an der libanesisch-israelischen Grenze gefährdet.
Dort gilt es einerseits, die Hisbollah, eine Miliz schiitischer Islamisten, von weiteren
Provokationen Israels abzuhalten und durch Truppen der offiziellen libanesischen Armee zu
ersetzen; andererseits müssen Grenzverletzungen durch israelische Streitkräfte und
unerlaubte Überflüge der israelischen Luftwaffe über libanesisches Gebiet verhindert
werden. Aus diesem Grunde hat der UN-Sicherheitsrat durch seine Resolution 1701 die
UNIFIL-Beobachtermission, die bereits 1978 eingerichtet wurde, aber völlig überfordert
war, nach dem israelischen Angriff auf den Libanon auf 15.000 Soldaten erweitert und mit
einem robusten Mandat versehen; das heißt, UNIFIL-Soldaten dürfen ihren Auftrag jetzt
notfalls auch mit militärischer Gewalt durchsetzen.
Bestandteil dieser UNIFIL-Streitmacht ist also der von der deutschen Marine geführte
Flottenverband vor der libanesischen Küste. Da dessen Einsatz vergleichsweise ereignislos
verläuft, sprechen Spötter schon einmal von einer Kreuzfahrt oder der Kieler Woche im
Mittelmeer. Doch das Problem sind nicht die Marinesoldaten. Sie tun ihre Pflicht und sie
helfen auch tatkräftig bei der Ausbildung libanesischer Kameraden. Da die von vielen,
gerade westlichen Ländern versprochene Ausrüstungshilfe jedoch auf sich warten lässt,
ist man von dem Ziel, die Libanesen selbst zum Schutz ihrer Küste zu befähigen, noch
weit entfernt. In dieser Situation steht der Bundestag jetzt vor der Frage, ob er das
Mandat für den Einsatz der Marine, das bis zum 31. August dieses Jahres begrenzt ist,
verlängern darf oder nicht.
Im Vorfeld dieser Parlamentsentscheidung wird Zwischenbilanz gezogen. Und dabei stellt
sich heraus, dass die erheblichen Bedenken, die schon im September vergangenen Jahres eine
relativ große Zahl von Abgeordneten, selbst aus den Regierungsparteien, zur Ablehnung des
Einsatzes bewogen haben, nach wie vor bestehen. Diese Bedenken beziehen sich, wie schon
angedeutet, nicht zuletzt auf das Missverhältnis zwischen Aufwand und Ergebnis. Zwar
haben die Blauhelmkontrolleure in den vergangenen zehn Monaten an die 7.000 Schiffe nach
Ziel und Ladung angefragt, aber nur gut 30 davon wurden den libanesischen Behörden als
auffällig gemeldet. Ob sich tatsächlich ein Waffen- oder gar Drogenschmuggler darunter
befand, ist unbekannt. Ein so genanntes Boarding, eine Überprüfung an Bord eines der
angeblich auffälligen Schiffe hat bislang jedenfalls nicht stattgefunden.
Es sind aber vor allem die politischen Widersprüche, die kritische Abgeordnete der
Bundesregierung ankreiden. Wenn wir um Hilfe gebeten würden, hatte
Bundesverteidigungsminister Jung schon früh im vergangenen Jahr ohne Not verlauten
lassen, dann können wir uns vor einer Beteiligung an der UNIFIL-Mission nicht drücken.
Mit solch einer Erklärung, so ein Abgeordneter irritiert, könne man doch aber keinen
Bundeswehreinsatz begründen.
Das Ziel, das die Bundesregierung für die Beteiligung an UNIFIL vorgegeben hat: einen
Beitrag zu leisten bei der Lösung des Libanon-Konfliktes und damit positiv auf den
israelisch-arabischen Friedensprozess einzuwirken, ist nicht nur nicht erreicht worden,
sondern die Probleme sind seit dem vergangenen Jahr eher größer geworden. Im Libanon
selbst herrscht inzwischen eine Art Bürgerkrieg zwischen der libanesischen Armee und den
islamistischen Kämpfern der Fatah al-Islam; das Scheitern der palästinensischen
Koalitionsregierung von Fatah und Hamas hat den ohnehin versiegenden Friedensprozess im
Nahen Osten zusätzlich belastet; und die israelische Armee demonstriert durch
regelmäßige Verstöße gegen die UN-Resolution 1701, was sie von der
Waffenstillstandsvereinbarung hält.
Vor diesem Hintergrund wirken Bemerkungen wie die von Bundeskanzlerin Merkel, die
deutsche Beteiligung an UNIFIL geschehe zum Schutze Israels, geradezu verheerend auf die
arabische Seite. Die anhaltenden Reaktionen auf diese unbedachte Äußerung aus dem Herbst
vergangenen Jahres verstärken die Befürchtungen im Parlament, dass Deutschland seine
letzten Chancen verspielt, als neutraler Makler auch in der islamischen Welt akzeptiert zu
werden und auf die zerstrittenen Parteien im Nahen Osten mäßigend einwirken zu können.
Der Einfluss auf die Israelis scheint, wie die Zwischenfälle zwischen israelischen
Schnellbooten sowie Kampfjets und deutschen UNIFIL-Schiffen gezeigt haben, ohnehin sehr
begrenzt zu sein. Zwar gibt es inzwischen einen heißen Draht zwischen dem Flottenverband
und der israelischen Armeeführung, wenn aber die Deutschen anrufen, erreichen sie, wie zu
hören ist, bestenfalls einen subalternen Gesprächspartner. Der Kommandeur der
Einsatzgruppe, Flottillenadmiral Karl-Wilhelm Bollow, skizziert die Situation mit feiner
Ironie. Da es sehr viele Aktivitäten der Israelis gebe "allein bis zu 60, 70
Flugbewegungen pro Tag" - könne es schon einmal vorkommen, dass die Kampfjets die
internationalen Einheiten nicht richtig zur Kenntnis nähmen, so Admiral Bollow. Aus dem
Bundestag klingt es konkreter: Die israelische Führung habe ihre Armee einfach nicht im
Griff, hört man dort. Was an die nachvollziehbare Spitze erinnert: Israel habe
keine Armee, Israel sei eine Armee.
Die Entscheidung, vor der die Abgeordneten schon bald stehen werden, ist also kaum
lösbar. Verlängern sie das Mandat, manövriert der deutsche Flottenverband die
Nahostpolitik der Bundesregierung immer weiter ins Abseits. Andererseits ist die sonst
übliche Lösung, dass ein anderes Land das Kommando übernimmt, schon gescheitert. Die
Türkei wäre dazu bereit gewesen. Aber nicht nur die Griechen waren, wie zu erwarten,
dagegen, sondern auch die Israelis. Da die Bundesregierung es ihrerseits wieder
einmal versäumt hat zu planen, wie sie den Einsatz notfalls beenden kann - also eine so
genannte Exit-Strategie zu entwickeln - sitzen die deutschen Politiker ebenso wie ihre
Matrosen in einer selbstgestellten Falle: Ziehen sie sich aus dem UNIFIL-Einsatz zurück,
ist der internationale Skandal nämlich erheblich größer, als wenn sie sich aus vielen
vernünftigen Gründen gar nicht erst daran beteiligt hätten. Also ist zu vermuten, dass
selbst Abgeordnete, die das Mandat ursprünglich abgelehnt haben, dessen Verlängerung
jetzt zustimmen oder sich zumindest doch enthalten werden. Aber so ist deutsche Außen-
und Sicherheitspolitik nun einmal: immer bemüht, jedermanns Liebling zu sein.
Dr. Karl-Heinz Harenberg ist Journalist. Über Jahrzehnte war er für die
Hörfunk-Sendung Streitkräfte und Strategien beim NDR zuständig, das einzige
sicherheitspolitische Hörfunkmagazin Deutschlands.
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