Gastbeitrag aus
Streitkräfte und Strategien - NDR info
30. Juni 2007


Deutsche Marine vor dem Libanon
Militärmission in der Sinnkrise?

von Dr. Karl-Heinz Harenberg

Es hat etwas Rührendes. Als der katholische Militärbischof Walter Mixa vor kurzem die deutschen Blauhelmsoldaten auf ihren Schiffen vor der libanesischen Küste besuchte, musste er sich aus allen Dienstgradgruppen Klagen darüber anhören, dass ihr Einsatz zu wenig beachtet werde. Und zwar nicht nur von der deutschen Öffentlichkeit, sondern auch von den Politikern, die sie doch zu den - so der offizielle deutsche Name - Interimstruppen der Vereinten Nationen in Libanon, kurz UNIFIL, abkommandiert haben. Und tatsächlich: Nur als sich wiederholt israelische Schnellboote bzw. Kampfflugzeuge deutschen Schiffen der internationalen Einsatzgruppe bedrohlich näherten, gab es einige aufgeregte Berichte. Und natürlich, als zwei deutsche Schnellboote bei einem Wendemanöver kollidierten. Aber dieses Ereignis wäre wohl besser unbeachtet geblieben.

Das mangelnde Interesse des von den Deutschen geführten UN-Marineverbandes hat Gründe, die schon bei der parlamentarischen Debatte über politischen Sinn und militärischen Nutzen dieser Mission eine Rolle gespielt haben. Denn den Fachleuten im Bundestag war klar bzw. hätte klar sein müssen, dass die gutgemeinte Aktion in der Praxis wenig würde bewirken können. Besteht doch die Hauptaufgabe der schwimmenden Einsatzgruppe mit ihren knapp 20 Schiffen und Booten, darunter sieben deutschen, darin, den Waffenschmuggel auf dem Seewege zu unterbinden sowie den Waffenstillstand zwischen Israel und Libanon zu sichern.

Nur - Waffenschiebereien finden mit Sicherheit statt, nur nicht über See, sondern an der syrisch-libanesischen Grenze. Hier aber, so ein UN-Bericht, der Anfang dieser Woche veröffentlicht wurde, ist der Stand der Grenzsicherung, der von deutschen Polizei- und Zollbeamten organisiert wird, "nicht ausreichend". Und der Waffenstillstand ist, wie das Attentat an der Blauen Linie vom vergangenen Wochenende zeigt, bei dem acht Blauhelmsoldaten starben, vor allem an der libanesisch-israelischen Grenze gefährdet. Dort gilt es einerseits, die Hisbollah, eine Miliz schiitischer Islamisten, von weiteren Provokationen Israels abzuhalten und durch Truppen der offiziellen libanesischen Armee zu ersetzen; andererseits müssen Grenzverletzungen durch israelische Streitkräfte und unerlaubte Überflüge der israelischen Luftwaffe über libanesisches Gebiet verhindert werden. Aus diesem Grunde hat der UN-Sicherheitsrat durch seine Resolution 1701 die UNIFIL-Beobachtermission, die bereits 1978 eingerichtet wurde, aber völlig überfordert war, nach dem israelischen Angriff auf den Libanon auf 15.000 Soldaten erweitert und mit einem robusten Mandat versehen; das heißt, UNIFIL-Soldaten dürfen ihren Auftrag jetzt notfalls auch mit militärischer Gewalt durchsetzen.

Bestandteil dieser UNIFIL-Streitmacht ist also der von der deutschen Marine geführte Flottenverband vor der libanesischen Küste. Da dessen Einsatz vergleichsweise ereignislos verläuft, sprechen Spötter schon einmal von einer Kreuzfahrt oder der Kieler Woche im Mittelmeer. Doch das Problem sind nicht die Marinesoldaten. Sie tun ihre Pflicht und sie helfen auch tatkräftig bei der Ausbildung libanesischer Kameraden. Da die von vielen, gerade westlichen Ländern versprochene Ausrüstungshilfe jedoch auf sich warten lässt, ist man von dem Ziel, die Libanesen selbst zum Schutz ihrer Küste zu befähigen, noch weit entfernt. In dieser Situation steht der Bundestag jetzt vor der Frage, ob er das Mandat für den Einsatz der Marine, das bis zum 31. August dieses Jahres begrenzt ist, verlängern darf oder nicht.

Im Vorfeld dieser Parlamentsentscheidung wird Zwischenbilanz gezogen. Und dabei stellt sich heraus, dass die erheblichen Bedenken, die schon im September vergangenen Jahres eine relativ große Zahl von Abgeordneten, selbst aus den Regierungsparteien, zur Ablehnung des Einsatzes bewogen haben, nach wie vor bestehen. Diese Bedenken beziehen sich, wie schon angedeutet, nicht zuletzt auf das Missverhältnis zwischen Aufwand und Ergebnis. Zwar haben die Blauhelmkontrolleure in den vergangenen zehn Monaten an die 7.000 Schiffe nach Ziel und Ladung angefragt, aber nur gut 30 davon wurden den libanesischen Behörden als auffällig gemeldet. Ob sich tatsächlich ein Waffen- oder gar Drogenschmuggler darunter befand, ist unbekannt. Ein so genanntes Boarding, eine Überprüfung an Bord eines der angeblich auffälligen Schiffe hat bislang jedenfalls nicht stattgefunden.

Es sind aber vor allem die politischen Widersprüche, die kritische Abgeordnete der Bundesregierung ankreiden. Wenn wir um Hilfe gebeten würden, hatte Bundesverteidigungsminister Jung schon früh im vergangenen Jahr ohne Not verlauten lassen, dann können wir uns vor einer Beteiligung an der UNIFIL-Mission nicht drücken. Mit solch einer Erklärung, so ein Abgeordneter irritiert, könne man doch aber keinen Bundeswehreinsatz begründen.

Das Ziel, das die Bundesregierung für die Beteiligung an UNIFIL vorgegeben hat: einen Beitrag zu leisten bei der Lösung des Libanon-Konfliktes und damit positiv auf den israelisch-arabischen Friedensprozess einzuwirken, ist nicht nur nicht erreicht worden, sondern die Probleme sind seit dem vergangenen Jahr eher größer geworden. Im Libanon selbst herrscht inzwischen eine Art Bürgerkrieg zwischen der libanesischen Armee und den islamistischen Kämpfern der Fatah al-Islam; das Scheitern der palästinensischen Koalitionsregierung von Fatah und Hamas hat den ohnehin versiegenden Friedensprozess im Nahen Osten zusätzlich belastet; und die israelische Armee demonstriert durch regelmäßige Verstöße gegen die UN-Resolution 1701, was sie von der Waffenstillstandsvereinbarung hält.

Vor diesem Hintergrund wirken Bemerkungen wie die von Bundeskanzlerin Merkel, die deutsche Beteiligung an UNIFIL geschehe zum Schutze Israels, geradezu verheerend auf die arabische Seite. Die anhaltenden Reaktionen auf diese unbedachte Äußerung aus dem Herbst vergangenen Jahres verstärken die Befürchtungen im Parlament, dass Deutschland seine letzten Chancen verspielt, als neutraler Makler auch in der islamischen Welt akzeptiert zu werden und auf die zerstrittenen Parteien im Nahen Osten mäßigend einwirken zu können.

Der Einfluss auf die Israelis scheint, wie die Zwischenfälle zwischen israelischen Schnellbooten sowie Kampfjets und deutschen UNIFIL-Schiffen gezeigt haben, ohnehin sehr begrenzt zu sein. Zwar gibt es inzwischen einen heißen Draht zwischen dem Flottenverband und der israelischen Armeeführung, wenn aber die Deutschen anrufen, erreichen sie, wie zu hören ist, bestenfalls einen subalternen Gesprächspartner. Der Kommandeur der Einsatzgruppe, Flottillenadmiral Karl-Wilhelm Bollow, skizziert die Situation mit feiner Ironie. Da es sehr viele Aktivitäten der Israelis gebe – "allein bis zu 60, 70 Flugbewegungen pro Tag" - könne es schon einmal vorkommen, dass die Kampfjets die internationalen Einheiten nicht richtig zur Kenntnis nähmen, so Admiral Bollow. Aus dem Bundestag klingt es konkreter: Die israelische Führung habe ihre Armee einfach nicht im Griff, hört man dort. Was an die nachvollziehbare Spitze erinnert: Israel habe keine Armee, Israel sei eine Armee.

Die Entscheidung, vor der die Abgeordneten schon bald stehen werden, ist also kaum lösbar. Verlängern sie das Mandat, manövriert der deutsche Flottenverband die Nahostpolitik der Bundesregierung immer weiter ins Abseits. Andererseits ist die sonst übliche Lösung, dass ein anderes Land das Kommando übernimmt, schon gescheitert. Die Türkei wäre dazu bereit gewesen. Aber nicht nur die Griechen waren, wie zu erwarten, dagegen, sondern auch die Israelis. Da die Bundesregierung es ihrerseits wieder einmal versäumt hat zu planen, wie sie den Einsatz notfalls beenden kann - also eine so genannte Exit-Strategie zu entwickeln - sitzen die deutschen Politiker ebenso wie ihre Matrosen in einer selbstgestellten Falle: Ziehen sie sich aus dem UNIFIL-Einsatz zurück, ist der internationale Skandal nämlich erheblich größer, als wenn sie sich aus vielen vernünftigen Gründen gar nicht erst daran beteiligt hätten. Also ist zu vermuten, dass selbst Abgeordnete, die das Mandat ursprünglich abgelehnt haben, dessen Verlängerung jetzt zustimmen oder sich zumindest doch enthalten werden. Aber so ist deutsche Außen- und Sicherheitspolitik nun einmal: immer bemüht, jedermanns Liebling zu sein.


 

Dr. Karl-Heinz Harenberg ist Journalist. Über Jahrzehnte war er für die Hörfunk-Sendung “Streitkräfte und Strategien” beim NDR zuständig, das einzige sicherheitspolitische Hörfunkmagazin Deutschlands.