Gastbeitrag
Streitkräfte und Strategien - NDR info
03. November 2012


Enttäuschte Erwartungen? Bilanz der Sicherheitspolitik Obamas

Gastbeitrag von Thomas Horlohe


Viele Beobachter erwarten ein Kopf-an-Kopf Rennen. Barack Obama hat aber trotzdem gute Chancen, kommenden Dienstag wiedergewählt zu werden, obwohl er längst seine Star-Qualitäten eingebüßt hat, die ihn vor vier Jahren auf einer Welle der Sympathie und Hoffnung ins Weiße Haus getragen haben. Viele seiner einstigen Anhänger sind von ihm enttäuscht. Kein Wunder. Die Erwartungen an ihn waren übermenschlich groß. Die Herausforderungen, denen er sich im Amt gegenüber sah, waren aber noch größer. Enttäuschungen konnten da nicht ausbleiben.

Hinzu kommt: Die Supermacht USA steckt in der Krise. Da kann kein Präsident den Supermann geben. Die tiefste Wirtschaftskrise seit den 1930er Jahren fordert Obama voll und schränkt gleichzeitig seine Handlungsspielräume ein, auch in der Außen- und Sicherheitspolitik. Die USA sind inzwischen nicht mehr das Land der unbegrenzten Möglichkeiten.

Obama hat keinen Hehl daraus gemacht, dass die westliche Führungsmacht mit ihren Kräften haushalten muss. Immer wieder hat er diese unbequeme Wahrheit ausgesprochen. So begründete er den Rückzug aus dem Irak und den Strategiewechsel in Afghanistan im Dezember 2009 auch mit der Wirtschaftskrise in den USA:

O-Ton Obama (overvoice):
„Wir haben den Zusammenhang zwischen unserer nationalen Sicherheit und unserer Wirtschaft missachtet. […] Wir können uns nicht leisten, den Preis dieser Kriege einfach zu ignorieren. […] Wenn wir den Krieg im Irak beenden und am Hindukusch die Verantwortung an die Afghanen übergeben, dann müssen wir zu Hause unsere Wirtschaftskraft wieder stärken. […] Denn unsere Macht beruht auf unserem Wohlstand. […] Deshalb können wir unsere Truppen nicht endlos in Afghanistan stationieren, denn die Nation, an deren Aufbau mir am meisten liegt, ist unsere eigene.“

Doch ein sparsamer Umgang mit militärischer Macht sollte nicht mit Schwäche verwechselt werden. Ben Rhodes, Redenschreiber Obamas und sein Mann für die sicherheitspolitischen Inhalte, stellte klar:

Zitat
„Nichts liegt uns ferner, als Amerikas Niedergang verwalten zu wollen. Wir wollen erreichen, dass Amerika fünf weitere Jahrzehnte Führungsmacht bleibt.“

Im Januar dieses Jahres legte Präsident Obama als Ergebnis der Konsolidierung des Verteidigungshaushalts Strategische Leitlinien vor. Sie weisen den Weg. Unter der Überschrift „Die weltweite Führung der USA aufrechterhalten“ legen sie ein klares Bekenntnis zu militärischer Überlegenheit ab, allerdings mit verändertem Zuschnitt. Wörtlich heißt es in dem Dokument:

Zitat Strategic Guidance:
„Wo immer möglich, werden wir innovative, kostengünstige und mit geringer Truppenpräsenz verbundene Ansätze entwickeln, um unsere sicherheitspolitischen Ziele zu erreichen. […] Die US-Streitkräfte werden nicht mehr so aufgestellt sein, um umfangreiche und lang andauernde Stabilisierungsoperationen durchzuführen.“

Damit ist praktisch die Doktrin der Aufstandsbekämpfung zu den Akten gelegt worden. Die Zukunft gehört dem intelligenten Anti-Terrorkampf. Obama zieht damit die Konsequenz aus dem Scheitern seiner Afghanistan-Politik und seinen beachtlichen Erfolgen gegen das Al Qaida-Netzwerk.

Afghanistan wirft einen langen Schatten auf die außen- und sicherheitspolitische Bilanz des Präsidenten. Er hat diesen Konflikt zu seiner Sache gemacht, der Afghanistan-Strategie seinen Stempel aufgedrückt, sie nachgebessert, aber letztlich ist er doch gescheitert. Die USA haben mehr als 2.000 tote Soldaten am Hindukusch zu beklagen, die Hälfte starb während Obamas Amtszeit. Hinzu kommen die körperlich und seelisch Schwerstverletzten. Wie sehr dieser Krieg an die Substanz der Streitkräfte geht, ist daran abzulesen, dass jährlich mittlerweile mehr US-Soldaten bzw. Veteranen von eigener Hand sterben, als im Kampfeinsatz.

Die Ergebnisse in Afghanistan blieben dagegen hinter den Erwartungen zurück. Es gelang nicht, die Taliban an den Verhandlungstisch zu zwingen. Eine politische Lösung ist nicht in Sicht. Sie wird von den USA offenbar nicht einmal mehr aktiv verfolgt. Der Aufbau der afghanischen Sicherheitskräfte läuft nur auf dem Papier nach Plan. In Wirklichkeit sind afghanische Soldaten und Polizisten zur Gefahr für ihre ausländischen Ausbilder geworden, die immer häufiger Opfer von Schießereien werden. Sollte Obama wiedergewählt werden, wird sein Ziel sein, die US-Truppen alsbald mit möglichst geringen Verlusten und gesichtswahrend nach Hause zu bringen.

Die größten Erfolge, die Obama in seiner sicherheitspolitischen Bilanz verbuchen kann, hat er im Kampf gegen die fundamentalistischen Terroristen errungen. Das ist nicht frei von Ironie. Sein Vorgänger, George W. Bush, hatte den sogenannten „Krieg gegen den Terror“ über alles gestellt. Obama hat diese Bezeichnung stets vermieden. Und doch hat er Amerikas Erzfeind, Osama bin Laden, zur Strecke gebracht - nicht ohne Risiko. Die Kommandoaktion in Abbottabad hätte auch schiefgehen können. Die Konsequenzen wären verheerend gewesen, viel schwerwiegender als die in Kauf genommene Verschlechterung der Beziehungen zu Pakistan. Einem anderen demokratischen Präsidenten, Jimmy Carter, hatte das Scheitern einer ähnlichen Aktion im Iran zur Befreiung von US-Geiseln damals das Amt gekostet. Obama hat bewiesen, dass er bereit ist, die militärische Macht der USA entschlossen einzusetzen, wenn es ein Ziel gibt, das einen Militäreinsatz rechtfertigt.

So sind gezielte Tötungen mit unbemannten Luftfahrzeugen zum fragwürdigen Markenzeichen seiner Militärpolitik geworden. Obama war mit dem Versprechen angetreten, binnen eines Jahres das berüchtigte Gefangenenlager Guantanamo auf Kuba zu schließen. Doch der Kongress vereitelte seinen Versuch, es durch eine Haftanstalt auf dem Festland zu ersetzen. Wer aber kein Gefangenenlager mehr will, kann auch keine Terroristen fest nehmen. Und jeder Soldat weiß, was es bedeutet, keine Gefangenen zu machen.

Viele seiner Anhänger haben in Obama die gewaltfreie Alternative zu seinem Vorgänger, George W. Bush, gesehen. Obama benutzte ausgerechnet seine Rede anlässlich der Entgegennahme des Friedensnobelpreises am 10. Dezember 2009 in Oslo, um diese falsche Vorstellung zurechtzurücken. Er erinnerte Europa und die Welt daran, dass - so Obama wörtlich - „das Böse lebt“. Und er ließ keinen Zweifel daran, dass er bereit ist, das Böse notfalls mit Waffengewalt zu bekämpfen:

O-Ton Obama (overvoice):
„Welche Fehler wir auch gemacht haben mögen, Tatsache ist, dass die Vereinigten Staaten von Amerika mehr als sechs Jahrzehnte lang mit dem Blut ihrer Bürger und der Kraft ihrer Waffen für die Sicherheit der Welt eingetreten sind. Dienst- und Opferbereitschaft unserer Männer und Frauen in Uniform haben von Deutschland bis Korea Frieden und Wohlstand gebracht. […] Wir haben diese Last nicht auf uns genommen, weil wir anderen unseren Willen aufzwingen wollten, sondern aus wohlverstandenem Eigeninteresse.“

Für Obama liegt es im Interesse der USA, zusammen mit anderen Staaten und internationalen Organisationen weiter an einer Weltordnung zu arbeiten, die den Werten der USA entspricht, - wenn nötig auch mit Gewalt. Dabei hat sich Obama als fortschrittlicher Pragmatiker gezeigt, nicht als Ideologe. Für ihn gehen Ideale und nationale Interessen zusammen. Er will die USA wieder stark machen und, wie es heißt, auf der „richtigen Seite der Geschichte“ sehen. Mit seiner wechselhaften Unterstützung des Arabischen Frühlings, der Intervention in Libyen, der kollektiven Eindämmung des nach Nuklearwaffen strebenden Iran und mit seiner Gleichgewichtspolitik gegenüber der Volksrepublik China ist Obama bislang anscheinend auf dem richtigen Weg zu seinem Ziel. In der kommenden Woche entscheiden die Wähler, ob er ihn weiterhin gehen kann.