Gastbeitrag
Streitkräfte und Strategien - NDR info
30. Juli 2011


Luftwaffe ohne Piloten?
Wie Drohnen die Luftkriegführung verändern

Gastbeitrag von Thomas Horlohe


Bewaffnete Konflikte und Kriege sind stets Testfelder für neue Waffensysteme und Einsatzkonzepte. Militärexperten beobachten aufmerksam, wie und mit welchem Erfolg neue Rüstungstechnologie eingesetzt wird. Auch die Operation „Unified Protector“ der NATO in Libyen liefert Anschauungsmaterial für moderne Luftkriegführung.

Am 8. Mai zerstörten britische Tornado-Jagdbomber des 906. Geschwaders mit präzisionsgelenkten 500-Pfund-Bomben die beiden oberen Stockwerke eines hohen Gebäudes am Rande der umkämpften Stadt Misrata. Die Gegend war zuvor stundenlang von einem unbemannten Luftfahrzeug des Typs MQ-9 Predator der US-Streitkräfte überwacht worden. Die Auswertung der Video-Aufnahmen hatte ergeben, dass sich in den zwei oberen Etagen des Gebäudes Scharfschützen und Artilleriebeobachter der libyschen Regierungstruppen aufhielten. Nach dem Einsatz berichtete der Pilot der ersten Maschine:

Zitat Tornado-Pilot
„Als wir im Einsatzgebiet eintrafen, stellten wir Verbindung zu dem Predator-Luftfahrzeug in dem Sektor her. Es leitete uns zu einem Gebäude. Wir identifizierten den Standort und holten uns die Bestätigung des Predator. Es ist ungewohnt, in dieser Weise geführt zu werden. Es bedeutet, dass schon vor unserem Eintreffen im Zielgebiet alles fertig überprüft worden ist.“

Die Episode aus der NATO-Operation über der libyschen Küste erscheint unspektakulär. Doch sie ist aus drei Gründen bemerkenswert: Erstens zeigt sie, dass unbemannte und bemannte Luftfahrzeuge sich arbeitsteilig ergänzen. Zweitens führt die sorgfältige Zielaufklärung durch unbemannte Aufklärungsflugzeuge zu einer präziseren Waffenwirkung von Jagdbombern. Mehrere im Voraus aufgeklärte Ziele können während eines einzigen Einsatzes bekämpft werden. Die Einsätze werden effektiver. Und drittens werden solche verbundenen Einsätze inzwischen immer mehr zum Alltag von Luftstreitkräften. Die NATO-Verbündeten wenden das neue Einsatzkonzept an, ohne es zuvor planmäßig geübt zu haben.

Was für die Jagdbomberpiloten der Royal Air Force noch gewöhnungsbedürftig ist, wurde von der israelischen Luftwaffe bereits im Libanon-Krieg im Sommer des Jahres 2006 und während der Operation „Gegossenes Blei“ im Gaza-Streifen zum Jahreswechsel 2008/2009 erfolgreich praktiziert: Das Zusammenwirken unbemannter mit bemannten Luftfahrzeugen.

Unmanned Aerial Vehicles, abgekürzt „UAV“, unbemannte Luftfahrzeuge also, sind derzeit die neueste rüstungstechnische Entwicklung. Ihr Siegeszug schreitet unaufhaltsam voran. UAVs werden die Luftkriegführung und die Struktur der Luftwaffen nachhaltig verändern.

Die Luftstreitkräfte Israels und der USA gelten als wegweisend, was die Integration von UAVs angeht. Die israelische Luftwaffe plant, im Jahre 2030 die Hälfte ihrer Kampfeinsätze unbemannt zu fliegen. Rund 200 Jagdbombern der Typen F-35, F-15 und F-16 wird dann etwa die gleiche Anzahl UAVs gegenüber stehen. In Zukunft wird die israelische Luftwaffe mit deutlich weniger Piloten auskommen als heute.

Die RAND-Corporation, eine renommierte Denkfabrik, kommt in einer Untersuchung für die US-Marine zu dem Ergebnis, dass UAVs bemannten Flugzeugen in all den Einsatzarten überlegen sind, die von dieser Einrichtung als besonders gefährlich, schmutzig, ermüdend, extrem belastend oder neuartig charakterisiert werden. Gemeint sind damit u.a.: verlustreiche Einsätze, Missionen in chemisch, biologisch oder radioaktiv verseuchten Gebieten, vergleichsweise „langweilige“ Einsätze, die Piloten ermüden, Einsätze die höchste Ansprüche an die Belastbarkeit von Besatzungen und Material stellen und völlig neue Einsatzarten, die für bemannte Luftfahrzeuge gar nicht möglich sind. Beispielsweise die taktische Luftaufklärung im Nahbereich von Bodentruppen, die sich im Feuergefecht befinden. Nur im Luftkampf werden Piloten auf absehbare Zeit nicht durch Drohnen ersetzt werden können.

Derzeit werden unbemannte Luftfahrzeuge nach drei Einsatzspektren unterschieden: Erstens, taktische UAV, klein und leicht in der Bauweise, von Hand oder mit Katapult gestartet, die von Bodentruppen zur Luftaufklärung im Nahbereich eingesetzt werden. Zweitens, Drohnen für mittlere Höhen und lang andauernde Einsätze, wie zum Beispiel die Modelle Predator und Reaper der USA oder die israelische Heron 1, die von der Bundeswehr in Afghanistan eingesetzt wird. Sie werden unter dem Begriff „MALE“ zusammengefasst. MALE steht für „Medium altitude, long endurance“. Die dritte Kategorie bilden die so genannten HALE-Drohnen. HALE ist die Abkürzung für „High altitude, long endurance“ und bedeutet große Einsatzhöhe und lange Einsatzdauer.

Wie ist die Bundeswehr aufgestellt? Welche Erfahrungen hat sie mit UAVs gesammelt? Sascha Lange war Mitarbeiter der die Bundesregierung beratenden Stiftung Wissenschaft und Politik in Berlin. Heute arbeitet der Drohnen-Experte für die Firma EMT, einem Systemanbieter für taktische UAVs. Lange sieht eine klare Stärke der Bundeswehr im Bereich der taktischen Systeme des Heeres:

O-Ton Lange
„Die Bundeswehr hat schon sehr viel Erfahrung mit unbemannten Luftfahrzeugen, hat schon früh angefangen, schon, ja in den 80er Jahren mit der CL-89, dann mit der CL-289, die vom Heer betrieben worden sind, dann durch weitere Systeme, wie zum Beispiel LUNA, ALADIN, und dann jetzt auch zusätzlich die KZO.“

Am anderen Ende des Einsatzspektrums, den unbemannten Höhenaufklärern mit großer Reichweite und Einsatzdauer, ist die Luftwaffe auf der Höhe der Zeit. Das Aufklärungsgeschwader 51 „Immelmann“ im schleswig-holsteinischen Jagel soll planmäßig noch in diesem Sommer das erste Modell der Baureihe EuroHawk bekommen. Für den Drohnen-Experten Lange das Ergebnis einer langen Entwicklung:

O-Ton Lange
„Bei den HALE-Systemen, wie gesagt, dem EuroHawk, da hatsichdie Luftwaffe schon sehr früh positioniert, das war 2002, da haben die sich schon sehr früh eingebracht und werden dann jetzt auch in kommender Zeit die Früchte ernten, weil die Bundeswehr mit weitem Abstand die erste Nation sein wird, außer den USA, die dieses System mit einsetzen kann.“

Auch im mittleren Einsatzspektrum hat die Bundesluftwaffe mit drei UAVs des israelischen Typs Heron 1 ganz wichtige Erfahrungen gesammelt. Dabei sind allerdings nicht nur die Möglichkeiten dieses Systems deutlich geworden, sondern auch seine Grenzen klar zutage getreten. Das System ist zu klein und zu antriebsschwach, um leistungsfähigere Sensoren und Datenübertragungssysteme aufzunehmen, wie zum Beispiel das israelische Nachfolgemodell Heron TP oder der amerikanische Reaper es können. Mit der von aktiven Offizieren gewohnten Zurückhaltung stellt Oberstleutnant Michael Krah aus dem Führungsstab der Luftwaffe in einem Artikel für eine Fachzeitschrift fest:

Zitat Michael Krah
„Darüber hinaus kann […] Heron 1 auch nicht für […] über Aufklärung hinaus gehende Aufgaben eingesetzt werden, zum Beispiel für die Punktzielbekämpfung aus der Luft.“

Gemeint sind damit Präzisionsangriffe auf Bodenziele. Angriffe, wie sie zurzeit regelmäßig mit bewaffneten US-Drohnen in Pakistan erfolgen. Geht es nach dem Willen der deutschen Militärs, muss das Nachfolgemodell der Heron 1 eine bewaffnete Drohne sein. Nur dann kann die Bundeswehr mit der neuen Entwicklung Schritt halten. Doch die deutsche Politik hält sich in dieser Frage weiterhin bedeckt. Offenbar fürchtet man eine Diskussion in der Gesellschaft über bewaffnete Drohnen. Denn für Kritiker dieser Entwicklung senken bewaffnete UAVs die Schwelle für die Anwendung militärischer Gewalt. Weil bei Ihrem Einsatz nicht das Leben von Piloten gefährdet ist.