Gastbeitrag
Streitkräfte und Strategien - NDR info
04. Juni 2011


Gaddafis Sturz das eigentliche Ziel? NATO eskaliert Libyenkrieg

Andreas Flocken

Der Krieg in Libyen: Die NATO-Luftangriffe dauern bereits mehr als zwei Monate. Dabei war zunächst von einer kurzen Militäroperation die Rede. Die Erwartung, der Aufstand würde schnell auf das ganze Land übergreifen und zum Sturz von Machthaber Gaddafi führen – diese Erwartung erfüllte sich nicht. Das Bündnis hat sich verkalkuliert. Ende März hatte der NATO-Rat die Militäraktion auf 90 Tage begrenzt. In dieser Woche hat das Gremium die Operation um weitere 90 Tage verlängert. Der Krieg könnte sogar noch erheblich länger dauern. Der ehemalige Staatssekretär im Verteidigungsministerium Lothar Rühl verweist dabei auf den Kosovokrieg vor 12 Jahren:

O-Ton Rühl
„Wir haben ja 78 Tage und Nächte gegen Serbien/Montenegro Luftkrieg ge-führt. Und schließlich ist Milosevic aus dem Kosovo zurückgewichen. Vor allem gegenüber der Drohung, mit der Entsendung amerikanischer und anderer Bodentruppen. Solange das nicht geschieht, sondern die NATO einen Luft-interventionskrieg betreibt, wird das eine langwierige Auseinandersetzung, aus der man schließlich ohne militärische Entscheidung, wenn man nicht zu ihr kommen kann, dann eine politische Lösung, einen politischen Ausweg braucht.“

Um eine politische Lösung hat sich in dieser Woche beispielsweise der südafrikanische Präsident Zuma bemüht - auch im Auftrag der Afrikanischen Union. Doch für den Westen und die NATO sind Lösungen nicht akzeptabel, wenn in ihnen Gaddafi weiterhin eine politische Rolle spielt. Die Zeit des Machthabers ist abgelaufen, so die Sichtweise in den westlichen Hauptstädten. Das hat auch NATO-Generalsekretär Rasmussen in dieser Woche noch einmal unterstrichen:

O-Ton Rasmussen (overvoice)
„Die internationale Kontaktgruppe zu Libyen hat deutlich gemacht: Es ist an der Zeit für Gaddafi, zu gehen. Die NATO-Mitglieder und ihre Verbündeten haben diesen Aufruf entschlossen bekräftigt.“

Waffenstillstandsangebote von Gaddafi stoßen daher bei der NATO auf keine Resonanz, obwohl die UN-Resolution 1973 ausdrücklich eine Waffenruhe in Libyen gefordert hat.

Dabei bekräftigt die NATO inzwischen, dass sie ihr Hauptziel, die libyischen Bevölkerung vor Gaddafis Truppen zu schützen, im Wesentlichen erreicht hat. Der Befehlshaber der Militäroperation Unified Protector, der kanadische General Charles Bouchard, zieht jedenfalls eine positive Bilanz des Luftkrieges:

O-Ton Bouchard (overvoice)
„Insgesamt haben wir eine deutliche Verbesserung der Situation erreicht. Für die Bevölkerung ist Libyen inzwischen ein wesentlich sicherer Platz als noch vor dem 31.März.“

Trotzdem erhöht die NATO weiter den militärischen Druck, setzt auf Eskalation. Bewaffnete US-Drohnen vom Typ Predator kreisen über Libyen. Mit diesem Waffensystem sind in Afghanistan und Pakistan zahlreiche Aufständische und mutmaßliche Terroristen getötet worden. Frankreich und Großbritannien haben inzwischen Kampfhubschrauber in den Einsatz geschickt.

Offenbar will man auf diese Weise Gaddafi zwingen, aufzugeben und abzu-danken. Genau das ist das eigentliche politische Ziel der NATO-Staaten. Das Problem ist nur: Die UN-Resolution ermächtigt die NATO nur, die Bevölkerung zu schützen. Der angestrebte Regime-Wechsel ist durch das Mandat nicht gedeckt. Offiziell ist Gaddafi daher nicht das Ziel der Luftangriffe. Allerdings nimmt das Bündnis immer häufiger Gebäude- und Anlagen ins Visier, die man als Führungs- und Kommandoeinrichtungen identifiziert haben will. Gaddafi als ein Opfer solcher Attacken wäre aus Sicht der NATO ein sogenannter Kollateralschaden. Der Tod Gaddafis hätte aber weitreichende Folgen. Die Operation Unified Protector wäre danach schnell zu Ende - auch ohne politische Lösung.


 

Andreas Flocken ist Redakteur für die Hörfunk-Sendung "Streitkräfte und Strategien" bei NDRinfo.