Aufstandsbekämpfung in Afghanistan und Pakistan Der längste Krieg der USA?
Gastbeitrag von Andreas Dawidzinski
Wanat im Nordosten Afghanistans, unmittelbar an der pakistanischen
Grenze, 13. Juli 2008, 4.30 Uhr: In einem Vorposten der ISAF-Truppe
bereiten sich die ersten Männer darauf vor, den gerade erst
eingerichteten Stützpunkt weiter auszubauen. 45 US-Soldaten und 25
afghanische Soldaten sind hier eingesetzt. Plötzlich wird das Feuer auf
das Camp eröffnet. Maschinengewehre rattern, aus Panzerfäusten
abgefeuerte Granaten schlagen ein, der Stützpunkt wird mit Mörsern
beschossen. Rund 200 Aufständische haben den so genannten Combat Outpost
umzingelt, greifen an. Die zunächst überraschten ISAF-Soldaten erwidern
das Feuer, fordern Luftunterstützung an. Den Aufständischen gelingt es,
in den Stützpunkt einzudringen. Die heftigen Kämpfe dauern mehrere
Stunden. B1-Bomber, Kampfflugzeuge und Kampfhubschrauber greifen ein. Die
blutige Bilanz: Neun Amerikaner werden getötet, 15 US-Soldaten und vier
afghanische Soldaten werden verletzt. Über die Zahl der getöteten
Aufständischen gibt es keine offiziellen Angaben. Die Rede ist von bis zu
100 toten Angreifern. Bei den Luftangriffen werden auch Unbeteiligte
getötet, teilen die afghanischen Behörden mit. Die Aufständischen
würden nun von wütenden Dorfbewohnern unterstützt.
Nach dem Feuerüberfall gibt die ISAF den attackierten Stützpunkt auf.
Die Taliban kontrollieren einige Tage die Ortschaft Wanat, ziehen sich
wenig später aber wieder zurück, vermutlich hinter die pakistanische
Grenze.
Der Angriff auf die normalerweise in Italien stationierten US-Soldaten
der 173. Luftlandebrigade ist möglicherweise ein weiterer Anlass, das
US-Engagement in der Region erheblich zu verstärken. Zurzeit sind knapp
70.000 ausländische Soldaten in Afghanistan stationiert, rund die Hälfte
kommt aus den USA. Und jetzt gibt es Überlegungen, die US-Truppen um bis
zu 10.000 Soldaten zu verstärken. Denn die Verluste der USA am Hindukusch
nehmen zu. In den vergangenen Monaten starben mehr US-Soldaten in
Afghanistan als im Irak. Und ein Ende dieser Entwicklung ist nicht in
Sicht.
Der ehemalige US-Staatssekretär und Botschafter Richard Holbrooke ist
sicher, dass der Krieg am Hindukusch noch sehr, sehr lange dauern wird.
Der frühere Diplomat auf einer Veranstaltung des CENTER FOR STRATEGIC AND
INTERNATIONAL STUDIES in Washington:
O-Ton Holbrooke (overvoice)
"Der Krieg in Afghanistan dauert nun schon sieben Jahre. Und es
ist absehbar: Das wird der längste Krieg in der Geschichte Amerikas.
Der längste Krieg ist bisher der Vietnamkrieg. Er dauerte 14 Jahre, von
1961 bis 1975. Ich sehe nicht, dass wir unsere Ziele in Afghanistan
schneller erreichen könnten. Das ist natürlich eine ernüchternde
Aussage mit massiven politischen Konsequenzen."
Schon seit langem fordern die US-Militärs Verstärkungen für den
Hindukusch. Enttäuscht ist man insbesondere über das Verhalten der
NATO-Verbündeten – weil sie ihren eingegangenen Verpflichtungen in
Afghanistan nicht nachkommen würden. So mancher Amerikaner hat das eine
oder andere Allianzmitglied schon längst als unsicheren Kantonisten
abgeschrieben. Aber man will nicht mehr länger warten. Deswegen setzen
die USA jetzt auf eine "Amerikanisierung" der
Afghanistan-Mission.
Anfang des Monats wurde der Flugzeugträger ABRAHAM LINCOLN vom
Persischen Golf in den Golf von Oman beordert. Seine Kampfflugzeuge sollen
die ISAF-Mission und die Operation Enduring Freedom unterstützen –
zusätzlich zu den zahlreichen bereits am Hindukusch stationierten
Maschinen.
Immer mehr ins Blickfeld gerät Pakistan. Das Grenzgebiet ist für die
Aufständischen Rückzugsraum und Ruhezone. Dort können sie sich
ungestört sammeln und weitere Angriffe auf das Nachbarland vorbereiten -
auf ISAF- und US-Truppen sowie afghanische Einrichtungen.
Für den ehemaligen Top-Diplomaten Holbrooke sind Pakistan und
Afghanistan schon längst ein zusammenhängendes einheitliches Konflikt-
und Operationsgebiet. Er nennt es AF-PAK. Es gibt allerdings ein großes
Problem:
O-Ton Holbrooke (overvoice)
"Im westlichen Teil von AF-PAK operieren die NATO-Kräfte. Doch
im östlichen Teil, also auf der anderen Seite der Grenze, in den
Stammesgebieten, spielt die NATO überhaupt keine Rolle – wenn man mal
von dem gelegentlichen Einsatz von Predator-Drohnen absieht. Diese ganze
Operation ist ungewöhnlich - weil die NATO-Kräfte nur auf einer Seite
des Operationsgebietes kämpfen. Dabei kann man nur erfolgreich sein,
wenn man auf beiden Seiten des Gefechtsfeldes operiert."
Die US-Regierung fordert schon seit langem die pakistanische Führung
auf, im Grenzgebiet gegen die Aufständischen vorzugehen. Nicht nur für
Pentagonchef Gates ist die Regierung in Islamabad aber bis heute
weitgehend untätig geblieben:
O-Ton Gates (overvoice)
"Für mich ist ganz klar, dass etwas auf pakistanischer Seite
gemacht werden muss, um Druck auf die Taliban und andere gewaltbereite
Gruppen auszuüben."
Ungeduldig ist auch Hamid Karsai. Der afghanische Präsident macht vor
allem Pakistan für den Anstieg der Anschläge und die Zunahme der Gewalt
in seinem Land verantwortlich.
Denn die Taliban gelten als Ziehkind des pakistanischen Geheimdienstes
ISI. Karsai will Beweise dafür haben, dass der ISI Drahtzieher des
verheerenden Bombenanschlages Anfang des Monats auf die indische Botschaft
in Kabul ist. Bei dem Attentat sind mehr als 40 Menschen getötet worden.
Bereits nach der spektakulären Befreiungsaktion von rund 800 Häftlingen
aus dem Gefängnis von Kandahar vor sechs Wochen drohte der afghanische
Präsident dem Nachbarland mit Militäraktionen im pakistanischen
Grenzgebiet. Karsai beruft sich dabei auf das Recht der
Selbstverteidigung:
O-Ton Karsai
"Afghanistan has the right of self defence when they cross the
territory from Pakistan to come and kill Afghans and coalition troops.
It exactly gives us the right to go back and do the same."
Dieses Säbelrasseln - für den neuen ISAF-Befehlshaber McKiernan ist
es ein Zeichen dafür, wie frustriert die afghanische Regierung über die
jüngste Entwicklung ist. Eine weitere Verschlechterung der Beziehungen
zwischen Kabul und Islamabad käme aber denkbar ungelegen. Die Spannungen
zwischen den beiden Ländern macht die schon jetzt angespannte Lage für
den Vier-Sterne-General noch komplizierter:
O-Ton McKiernan (overvoice)
"Mit Sicherheit macht mich das besorgt. Denn es handelt sich um
zwei souveräne Staaten. Und das Letzte was wir jetzt gebrauchen
können, ist eine Militärintervention auf der einen oder anderen Seite.
Das ist wirklich meine Sorge."
Seit einiger Zeit bemühen sich afghanische und pakistanische Militärs
sowie die NATO, ihr Vorgehen zu koordinieren. Mehrere Gremien sind
eingerichtet worden, um sich gegenseitig zu informieren und Erkenntnisse
über Aufständische auszutauschen. General McKiernan:
O-Ton McKiernan (overvoice)
"Es gibt einen Prozess, an dem drei Seiten beteiligt sind. Das
pakistanische und afghanische Militär sowie die ISAF versuchen,
gemeinsam die Sicherheits-Maßnahmen an der afghanisch-pakistanischen
Grenze zu koordinieren. Wir sind aber noch nicht da, wo wir eigentlich
sein wollten. Da müssen wir noch viel mehr Anstrengungen unternehmen,
wie z.B. einen Austausch von Informationen, damit es zu mehr Sicherheit
an der Grenze kommt."
Doch auf höchster Ebene haben diese gemeinsamen Gespräche schon seit
Monaten nicht mehr stattgefunden. Der Grund: Seit den Wahlen hält sich
der Musharraf-Nachfolger als Armeechef, General Ashfaq Parvez Kayani,
zurück - sehr zum Unwillen von Washington. Einer der Gründe ist, dass
die neue pakistanische Regierung auf Friedensgespräche und Vereinbarungen
mit den örtlichen Stammesführern in den Grenzregionen setzt. Man hofft,
auf diese Weise die Probleme lösen zu können.
Für die USA sind solche Abkommen bisher allerdings wirkungslos
geblieben. US-General McNeill, bis Anfang des Jahres Befehlshaber der
ISAF-Truppe:
O-Ton McNeill (overvoice)
"Mit den Aufständischen gibt es einen Dialog, gibt es
Gespräche. Und es wird ‚Friedensvereinbarungen’ geben – obwohl
die Vergangenheit gezeigt hat, dass solche ‚Friedensabkommen’ nicht
funktionieren. Was ich aber vermisse, sind Maßnahmen, um weiter Druck
auf die Aufständischen auszuüben. Denn bisher hat es nur bei
Militäroperationen einen Rückgang der Aktivitäten der Aufständischen
gegeben. Wenn es aber Gespräche oder Friedensvereinbarungen gegeben hat
- dafür gibt es Belege - dann sind die Aktivitäten auf der
afghanischen Seite der Grenze angestiegen."
Der frühere ISAF-Befehlshaber General McNeill fordert koordinierte
Militäroperationen gegen die Aufständischen - und zwar auf beiden Seiten
der Grenze. Auf pakistanischer Seite sind zwar über 90.000 Soldaten an
der knapp 2.500 Kilometer langen Grenze zu Afghanistan stationiert. Sie
gehören dem so genannten Frontier Corps an, also den Grenztruppen. Diese
paramilitärische Truppe gilt allerdings als unzuverlässig. Außerdem ist
sie schlecht ausgebildet. Ihre Mitglieder rekrutieren sich überwiegend
aus den Stammesgebieten. Die Loyalität dieser Soldaten gilt vor allem den
örtlichen Stammesführern und weniger den militärischen Vorgesetzten.
General McNeill hat mit dem Frontier Corps eher schlechte Erfahrungen
gemacht. Im Frühjahr hatte die ISAF versucht, einen Streit zwischen
Afghanen und Pakistanern in der Grenzregion auf pakistanischem Boden zu
schlichten. Diese Mission endete für einen US-Offizier tödlich:
O-Ton McNeill (overvoice)
"Als man am Ende des Treffens dann auseinandergehen wollte,
wurde Major Bogguss von einem Mitglied des Frontier Corps
niedergeschossen. Dieser Mann wurde dann seinerseits von einem
amerikanischen Soldaten getötet. – Daraus darf man zwar nicht auf das
ganze Frontier Corps schließen – aber dieser Vorfall beschäftigt
mich bis heute."
Etwas länger zurück liegt ein ähnlicher Vorfall. Ebenfalls bei einem
Treffen im Grenzgebiet hatte damals ein anderes Mitglied des Frontier
Corps einen anwesenden US-Feldwebel durch einen Schuss ins Genick
getötet.
Trotz dieser negativen Erfahrungen planen die USA, die pakistanischen
Grenztruppen mit Ausbildern und militärischem Gerät zu unterstützen.
Dafür sollen rund 400 Millionen Dollar bereitgestellt werden. Und sollte
Barack Obama im November zum US-Präsidenten gewählt werden, dann
könnten auch noch mehr Mittel für Pakistan bereitgestellt werden. Denn
der US-Senator hat klare Prioritäten gesetzt. Für ihn ist der Konflikt
am Hindukusch wichtiger als der Irak:
O-Ton Obama (overvoice)
"Die größte Bedrohung für die Sicherheit geht von den
Stammesgebieten in Pakistan aus. Dort werden Terroristen ausgebildet,
von dort schlagen Aufständische in Afghanistan zu. Wir können einen
Rückzugsraum für Terroristen nicht hinnehmen. Als Präsident werde ich
das nicht tun. Wir brauchen eine starke Partnerschaft zwischen
Afghanistan, Pakistan und der NATO um die Grenze zu sichern und gegen
Terroristencamps und Aufständische vorzugehen. Wir brauchen mehr
Truppen, Hubschrauber, Satelliten und Drohnen im Grenzgebiet. Und wir
müssen Pakistan klarmachen, wenn es nichts unternimmt, dann werden wir
uns der Terroristen annehmen. Täuscht euch nicht: Wir werden in
Afghanistan nicht erfolgreich sein oder unser Land schützen, wenn wir
nicht unsere Pakistan-Politik ändern."
Mehr als bisher sind für Obama auch die NATO-Partner in der Region
gefordert. Denn im pakistanschen Grenzgebiet wird letztlich darüber
entschieden, ob die Afghanistan-Mission des Bündnisses erfolgreich sein
wird oder aber scheitert. Hier gibt es Handlungsbedarf. So sieht es auch
Verteidigungsminister Jung:
O-Ton Jung
"Also wir haben ja jetzt schon im Rahmen der Operationen, die
derzeit auch in Afghanistan laufen,... wobei ich um Verständnis bitte,
dass wir natürlich nicht alle Operationen hier in der Öffentlichkeit
darstellen... diese Grenze im Blick. Ich halte es nur für wichtig, dass
die afghanisch-pakistanische Grenzkommission jetzt zu Ergebnissen kommt,
damit wir hier im Hinblick auf die Grenzsicherungen einen zusätzlichen
Beitrag leisten können...Ich finde wir müssen jetzt hier weiterkommen,
um letztlich in diesem Bereich effektiver Handeln zu können. Der
Generalinspekteur war vor Ort, da hat er es unmittelbar gesehen, wo
60.000 Leute über die Grenze gehen, jeden Tag völlig unkontrolliert,
und wo natürlich diese Fragen, Rückzugsmöglichkeiten und auch
Nachschubmöglichkeiten für terroristische Aktivitäten, sich
unmittelbar stellen. Und deshalb halte ich es für richtig und
notwendig, dass wir in diesem Bereich einen Schritt weiter kommen."
Weiter kommt man aus Sicht der USA aber nicht mehr allein mit
Tornado-Aufklärungsflügen an der pakistanisch-afghanischen Grenze. Schon
jetzt ist zu hören, die Amerikaner wünschten u.a. den Einsatz der Quick
Reaction Force der Bundeswehr im Osten Afghanistans. Stationiert ist
dieser Eingreifverband zurzeit in Masar-i-Scharif im Norden des Landes.
Unter einem Präsidenten Obama wird der Druck auf Deutschland erheblich
wachsen, Truppen in den Osten oder Süden des Landes zu schicken.
Offiziell darf die ISAF-Truppe nicht in Pakistan operieren. Dies aber ist
eine Option, die sich die Amerikaner immer mehr vorstellen können. Wenn
nicht zusammen mit NATO-Truppen, dann mit eigenen Soldaten.
Bereits jetzt operieren US-Einheiten in Pakistan – nicht offiziell,
aber mit Duldung der pakistanischen Behörden. So war kürzlich in einem
Report für den US-Kongress zu lesen: auf einer geheimen pakistanischen
Basis seien offenbar drei amerikanische Predator Drohnen stationiert, die
ohne ausdrückliche Erlaubnis der Regierung in Islamabad eingesetzt werden
könnten.
Absehbar ist, dass die USA ihr Militärengagement in der Grenzregion
und auch in Pakistan selbst erheblich verstärken werden. Diese
Entwicklung hat Konsequenzen für die Bundeswehr-Mission am Hindukusch. Im
Herbst wird der Bundestag eine Anhebung der gegenwärtigen Obergrenze von
derzeit 3.500 auf 4.500 Soldaten beschließen. Doch dabei wird es nicht
bleiben. Afghanistan – eine Rutschbahn. Auch für die Bundeswehr.
Andreas Dawidzinski ist freier Journalist.
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