TAZ
28. September 2004


Die neue europäische Waffenforschung

Erstmals will die EU-Kommission die gemeinsamen Forschungsetats für militärische Projekt öffnen. Bisher wurden offiziell nur zivile Vorhaben gefördert. Erster Vorschlag: Abwehrsystem gegen Raketen, um Anschläge auf Flugzeuge zu verhindern.

von Otfried Nassauer

Die Europäische Union will ab 2007 ein sicherheitspolitisches Forschungsprogramm auflegen. Damit soll "die Trennung" zwischen der zivilen Sicherheitsforschung und der militärischen Verteidigungsforschung "überwunden werden". Das ist die Kernaussage einer Stellungnahme der EU-Kommission. Bislang darf die EU eigentlich gar kein Geld für Rüstungsforschung ausgeben. Gefördert wird formal nur zivile Forschung.

Das Papier der Kommission trägt den Titel "Sicherheitsforschung - Die nächsten Schritte". Es ist die Antwort der Kommission auf Forderungen, die eine hochrangige Beratergruppe aus Politikern, Rüstungsindustriellen und EU-Kommissaren schon im März erhoben hatte. Beide Gremien schlagen nun vor, dass ab 2007 zusätzliche Mittel für die Sicherheitsforschung von zunächst einer Milliarden Euro pro Jahr bereitgestellt werden sollen.

Wegen des bisherigen Ausschlusses militärischer Forschung muss für Vorhaben, die für die europäische Sicherheits- und Verteidigungspolitik von großer Bedeutung sind, erst eine zivile Begründung gefunden werden. Das galt zum Beispiel auch für das Satellitennavigationssystem Galileo. Seit 2003 wird aber auch offensiver versucht, die Forschungsetats der EU für die "Sicherheitsforschung" zu öffnen. Angesichts knapper nationaler Verteidigungshaushalte wirft die wehrtechnische Industrie schon lange begehrliche Blicke auf den EU-Haushalt. Gemeinsam mit einer Gruppe von Europaparlamentariern um Karl von Wogau, die so genannte Kangoroo-Group, drängt sie darauf, die intergouvernementale europäische Sicherheits- und Verteidigungspolitik aus dem Haushalt der EU-Kommission, also der vergemeinschafteten Politik, mitzufinanzieren. Gemeinsam mit der neuen Europäischen Verteidigungsagentur, die helfen soll, die nationalen Rüstungsforschungsprogramme aufeinander abzustimmen, soll dafür gesorgt werden, dass die nationalen Vorhaben und die der EU einander möglichst ergänzen.

Mit einer "vorbereitenden Aktion" wurden für 2004 aus dem zivilen Forschungsprogramm der EU erstmals 15 Millionen bereitgestellt und je 25 Millionen für 2005 und 2006 für sicherheitsrelevante Forschung, beispielsweise die Terrorismusabwehr, eingeplant. Demnächst sollen die ersten Aufträge vergeben werden. EU-Sprecher Fabio Fabbi will noch nicht sagen, an wen: "Die Verträge sind noch nicht ausgehandelt." Erste Vorschläge aber sind bereits durchgesickert, so etwa ein Abwehrsystem gegen tragbare Flugabwehrraketen für zivile Passagierflugzeuge.

Doch schon im Herbst diesen Jahres beginnt das Spiel um das ganz große Geld: Ein "Beirat für die europäische Sicherheitsforschung" soll aus der Taufe gehoben werden, in dem die künftigen Nutzer europäischer Sicherheitsforschung, Industrie und Forschungseinrichtungen gemeinsam Vorschläge entwickeln sollen, mit wie viel Geld die EU ab 2007 welche Militär- und Sicherheitstechnik erforschen lässt.


ist freier Journalist und leitet das Berliner Informationszentrum für Transatlantische Sicherheit - BITS