Leitartikel TAZ,
20.8.2001

 

Hausaufgaben nicht gemacht

von Otfried Nassauer

Den Kanzler ärgert, dass Deutschland - neben Holland - das einzige Land ist, das für solche Regierungsentscheidungen einen Parlamentsbeschluss braucht. Damit ist klar: Die Entscheidung über Bundeswehreinsätze, über Krieg und Frieden, ist für den Kanzler Regierungssache. Beifall kam von Wolfgang Schäuble und Karl Lamers. Das Parlament sei bei solchen militärischen Entscheidungen "überfordert". Per Grundgesetzänderung soll die Exekutive ermächtigt werden, über den Einsatz von Streitkräften allein zu entscheiden.

Was wie eine Posse aus dem Sommerloch anmutet, ist mehr. Hatte Gerhard Schröder nicht jene abblitzen lassen, die die Bundeswehr in Mazedonien nur mit Zweidrittelmehrheit des Bundestages einsetzen wollten? Hatte nicht Joschka Fischer erst kürzlich vor zu großen Mitspracherechten des Bundestags gewarnt? Wenn deutsche Regierungsmitglieder Mehrheiten gefährdet sehen, dann zweifeln sie selten an der Weisheit ihrer Vorhaben und fast immer an jener des Parlaments.

Die Entscheidung über Krieg und Frieden in Regierungshände zu legen birgt große Gefahren - auch jenseits spezifisch deutscher Erfahrungen. Krieg als Fortsetzung des Regierungshandelns mit anderen Mitteln? Schäubles Idee, potenziellen Missbrauch zu verhindern, indem dem Parlament nach amerikanischem Muster ein Widerrufsrecht zugestanden wird, geht fehl. Weder hat die Bundesrepublik ein dem "War Power Act" entsprechendes Gesetz, noch existieren jene Korrektive, die die starke Stellung des US-Präsidenten durch Kongresskontrollrechte ausbalancieren.

Überdeckt wird mit dem Vorstoß, dass keine Bundesregierung Hausaufgaben gemacht hat. Über 10 Jahre blieb ungeklärt, unter welchen Voraussetzungen die Bundesrepublik Streitkräfte einsetzen sollte, und vor allem, unter welchen nicht. Alle Regierungen präferierten Ad-hoc-Entscheidungen, da diese Flexibilität ermöglichen. Statt Sicherheitspolitik als Gestaltungsaufgabe ernst zu nehmen, schlitterten alle Regierungen von Einsatz zu Einsatz, dem sie sich nicht entziehen konnten.

Das Grundgesetz sieht vor, dass die Bundeswehr zur Landesverteidigung mit Zweidrittelmehrheit des Parlaments eingesetzt werden kann. Warum sollte das nicht erst recht für Einsätze außerhalb der Bundesrepublik gelten? Bei solchen Einsätzen bedarf die Bundeswehr der Rückendeckung durch Öffentlichkeit und Parlament.

 

ist freier Journalist und leitet das Berliner Informationszentrum für Transatlantische Sicherheit (BITS).