TAZ
17. August 2004


Der laute Ruf an die Heimatfront

Die Abzugspläne von George W. Bush bedeuten auch Rhetorik in Zeiten des Wahlkampfes. Erst im nächsten Jahr wird darüber endgültig entschieden.

von Gerhard Piper

Nach den aktuellen Planungen von US-Präsident George W. Bush werden die US-Streitkräfte zahlreiche Militärbasen in Übersee auflösen und ihre Einheiten in die USA zurückholen. Schätzungsweise 70.000 Soldaten werden mit ihren 100.000 Familienangehörigen und Zivilbediensteten aus Europa und Asien die Heimreise antreten. Insbesondere in der Bundesrepublik schließen die Streitkräfte zahlreiche Kasernen.

Bereits bei ihrem Amtsantritt vor vier Jahren hatte die Regierung eine umfassende Truppenverschiebung ins Auge gefaßt. Seitdem hatte es über den Umfang und die Art des Rückzugs zwischen der politischen Führung im Weißen Haus und den Militärs im Pentagon beständig Auseinandersetzungen gegeben.

In deutschen Rathäusern wächst jetzt die Nervosität. Von den 117.000 amerikanischen Soldaten in Europa sind immerhin 70.000 Mann in der Bundesrepublik dauerhaft stationiert. In den kommenden Jahren sollen rund 45.000 GIs aus Europa abgezogen werden, davon kämen die meisten aus Deutschland. Von den gegenwärtig 73 Standorten mit ihren 310 Einzelobjekten (Kasernen, Radartürme, Funkanlagen etc.) würde ungefähr jeder zweite geschlossen. Betroffen ist insbesondere das V. Heereskorps in Heidelberg und seine beiden Divisionen, die 1. Panzerdivision und die 1. Infanteriedivision. Letztere ist zur Zeit im Raum Bagdad eingesetzt.

Gegenwärtig sind die Divisionsverbände auf folgende Standorte verteilt: Ansbach, Bad Kreuznach, Bamberg, Baumholder, Büdingen, Darmstadt, Dexheim, Erlensee, Friedberg, Giebelstadt, Hanau, Heidelberg, Illesheim, Katterbach, Kitzingen, Mainz-Wackernheim, Mannheim, Schweinfurt, Vilseck, Wiesbaden und Würzburg. Diese Standorte werden ab dem Jahr 2006 entweder vollständig geschlossen, oder es wird zumindest ein Teil der dort stationierten Einheiten abgezogen. Schon seit längerem ist zudem bekannt, dass die Luftwaffe den militärischen Abschnitt des Rhein-Main-Flughafens in Frankfurt im Dezember 2005 an die Flughafen AG zurückgeben wird.

Als sicher gilt, dass das Europa-Hauptquartier der Streitkräfte in Stuttgart sowie die Kommandozentralen des Heeres (Heidelberg) und der Luftwaffe (Ramstein) erhalten bleiben. Hingegen soll das Hauptquartier der Marineinfanterie in Böblingen nach Italien verlegt werden. Der Militärflughafen in Stuttgart wird möglicherweise sogar noch ausgebaut und dort eine Spezialeinheit mit Kampfhubschraubern stationiert.

Angesichts klammer Gemeindekassen und drückender Arbeitslosigkeit bedeutet der Abzug von US-Soldaten einen Verlust von zivilen Arbeitsplätzen und einen Rückgang an Kaufkraft. Vielen Kommunen steht daher zunächst eine Durststrecke ins Haus, bevor durch Konversionsmaßnahmen neue zivile Arbeitsplätze geschaffen werden können. Dazu müssen die Anlagen aber erst saniert und die Umweltsünden der Amerikaner beseitigt werden. Für die Kosten werden letztendlich nicht die Amerikaner aufkommen, sondern der Bund.

Der Truppenabzug aus Deutschland ist eingebunden in den Prozess zur weltweiten Redislozierung der Streitkräfte. Dabei weiß außerhalb des Pentagons niemand so genau, wie viele Stützpunkte die US-Streitkräfte tatsächlich besitzen. Der offizielle "Base Structure Report" nennt eine Zahl von 6.700 Standorten, ohne zahlreiche Kleinststandorte mitzuzählen.

Rund 700 Standorte verteilen sich auf 130 Staaten, denn seit dem Zweiten Weltkrieg hatte das Pentagon jede sich bietende Möglichkeit genutzt, um irgendwo Truppen zu stationieren. Später blieben viele Militäranlagen auch dann noch erhalten, wenn es für sie keinen aktuellen Bedarf mehr gab. Bis zu 25 Prozent der Stützpunkte gelten heute als militärisch überflüssig, wie es in einer internen Studie des Pentagon bereits 1998 hieß.

Mehrmals versuchte das US-Militär, die Aufblähung ihres Stützpunktsystems in den Griff zu bekommen, um die eigene Militärstruktur den Veränderungen der internationalen Sicherheitslage anzupassen. Dabei wurden Kasernen geschlossen und Truppen aus Übersee zurück in die USA beordert: "Base Realignment and Closure" (Brac) heißt diese weltweite Truppenverschiebung.

Allerdings haben die Planungen von Präsident Bush keine bindende Wirkung und sind Teil der Wahlkampfinszenierung. Auch in den USA stehen nämlich hunderte Militärbasen zur Disposition. Im Einzelfall kann deren Schließung verhindert werden, wenn an einem bestehenden US-Standort zusätzlich Truppen aus Übersee unterkommen. Und genau danach haben in den letzten Monaten immer wieder Kongressabgeordnete gerufen, die die von den Streitkräften abhängigen zivilen Arbeitsplätze in ihren Wahlkreisen erhalten wollen.

Entgegen früheren US-Versprechungen gehen auch die osteuropäischen Länder bei der Umstrukturierung weitgehend leer aus. Immerhin sollen aber in Polen oder Tschechien Radaranlagen des neuen US-Raketenabwehrsystems errichtet werden.

Nach dem amtlichen Prozedere wird eine unabhängige Brac-Kommission aber erst im kommenden Jahr ihre Vorschläge zur Truppenverschiebung dem Kongress zur Abstimmung vorlegen, bevor im November 2005 der dann amtierende Präsident die Pläne endgültig absegnet. Mit seinen Plänen zum Truppenabzug ist George Bush nicht plötzlich vom Pazifismus befallen, vielmehr sollen durch Brac Stationierungskosten gespart und die Gelder zur Waffenmodernisierung der Verbände verwendet werden, um deren Interventionsfähigkeit zu erhöhen.


 

ist wissenschaftlicher Mitarbeiter beim Berliner Informationszentrum für Transatlantische Sicherheit (BITS).