Neues Deutschland
30. Juli 2005


Die Feinde finden sich

von Otfried Nassauer

Die Anschläge in London und im ägyptischen Sharm el Sheik haben die Aufmerksamkeit der Medien und Politiker geweckt – Hunderte von Attacken und Anschlägen im kriegsgeschüttelten Irak und so manche Explosion in Afghanistan tun dies immer weniger.

Vor knapp vier Jahre entschied sich George W. Bush, dem Terrorismus, vor allem dem islamistischen Terror weltweit den Krieg zu erklären: Den IV. Weltkrieg wie ihn etliche Neokonservative in den USA nennen. Illusionen weckten die Befürworter dieses Krieges nicht: Jahre, wenn nicht Jahrzehnte werde dieser Krieg dauern. Er müsse – wie der Kalte Krieg – bis zum endgültigen Erfolg geführt werden. Seither ist die Al Qaida Ossama bin Ladens das Synonym für den islamistischen Terror und dieser eine der zentralen Legitimationen militärischen Handelns und mlitärischer Fähigkeiten. Manche Befürworter dieses Krieges versteigen sich zu atemberaubenden Thesen. Neokonservative interpretierten z.B. die Anschläge in London als Warnung, wenn nicht Quittung dafür, dass George W. Bush’s loyalster Helfer in Europa, der britische Premier Tony Blair, den Krieg gegen den Terrorismus mit zu wenig innerer Repression führe. Das ist der Stoff, aus dem Weltgeschichte gemacht werden kann: Plakative, oft monokausale Vereinfachung. Glaubwürdigkeit durch permanente Wiederholung bar jeden Selbstzweifels.

Zur Erinnerung: Ronald Reagan hat die Sowjetunion totgerüstet und den Kalten Krieg gewonnen, ohne einen einzigen Schuss abzugeben. Vereinfachung hebt die gefühlte Bedrohungstemperatur der Öffentlichkeit. Der Staat kann seine Sicherheitsinstrumente aus- und die innenpolitischen Freiheiten abbauen. Al Qaida bietet eine bequeme Folie für Bestrebungen zur (Selbst)Ermächtigung des Staates. Otto Schily und Günther Beckstein müssen nur noch darüber streiten, wer es besser kann und verkauft.

Gegenargumente und Fragen werden eingebunden oder beiseite gewischt: In Vergessenheit geriet, dass der Begriff Al Qaida von einer Netzwerkbezeichnung zur westlichen Chiffre für praktisch jede gewaltbereite, radikal-islamische Struktur jenseits des Palästinakonfliktes mutierte. Dem autokratischen, ägyptischen Präsidenten Mubarak lässt man es unhinterfragt durchgehen, dass er Al Qaida und einige Pakistani für den Anschlag in Sharm el Sheik verantwortlicht macht, obwohl ein Anschlag aus dem Umfeld der ägyptischen Moslembruderschaft viel wahrscheinlicher war. Der pakistanische Militärdiktator Musharraf erfreut sich politischer Unterstützung und militärischer Hilfe, weil er als prowestlich und kleineres Übel gilt. Verschwiegen wird, dass ohne den ISI, Pakistans allmächtigen Geheimdienst, weder bin Laden noch die Taliban-Führung weitgehend unbehelligt geblieben wären.

Ähnlich wird das autokratische saudische Regime behandelt, obwohl es direkt wie indirekt den Ausbau radikal-islamistischer Netze fördert und finanziert – nicht zuletzt in Bosnien oder dem Kosovo. Die Konflikte im Irak werden zunehmend auf der Folie des Krieges gegen den Terrorismus interpretiert, obwohl der Krieg gegen Saddam erst wesentliche Voraussetzungen schuf, die das Land zum Übungsfeld für Gotteskrieger aus aller Welt werden ließen. Kaum einer fragt noch, ob der Krieg gegen den Terror verstärkte terroristische Aktivitäten beförderte. Kaum einer untersucht dessen Auswirkungen auf die Rekrutierungsmöglichkeiten der Terroristen. Kulturell angepasste Strategien, um diese Möglichkeiten einzuschränken, werden nicht entwickelt.

Bleiben diese Tendenzen ungebrochen, so haben sich die Feinde in einem neuen Weltkrieg tatsächlich gefunden – als Glaubenskrieger und mittels einer sich selbst erfüllenden Prophezeiung.


 

ist freier Journalist und leitet das Berliner Informationszentrum für Transatlantische Sicherheit - BITS