FRiZ/Schweizer Friedenszeitung
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Milzbrand zu Pflugscharen
Umweltanalytik in sowjetischer B-Waffen-Fabrik
von Iris Hunger & Oliver Meier

Erst 1992 wurde offiziell bekannt, daß die Sowjetunion trotz ihrer Mitgliedschaft in der Bio-Toxin-Waffen-Konvention von 1972 biologische und Toxin-Waffen entwickelt, getestet und produziert hat. Eine der größten ehemaligen sowjetischen B-Waffenfabriken, "Biomedpreparat", befindet sich in Stepnogorsk, im heute unabhängigen Kasachstan.

"Biomedpreparat" sollte vor allem Milzbrandsporen produzieren. Milzbrand, eine Krankheit die innerhalb weniger Tage zum Tod führt, ist ein klassischer B-Waffenkampfstoff. Die Erreger können relativ einfach hergestellt und wegen ihrer Widerstandsfähigkeit auch lange gelagert und einfach eingesetzt werden. Schon 30 kg Anthraxsporen haben das Potential, Hunderttausende Menschen zu töten.

"Biomedpreparat" ist ein umfangreicher Gebäudekomplex, bestehend unter anderem aus atomschlagsicheren Abfüllbunkern mit meterdicken Wänden sowie riesigen Produktionshallen. Das Produktionsgebäude beherbergt mehrere 20.000-Liter-Fermentoren zur massenhaften Züchtung der Krankheitserreger. "Biomedpreparat" war somit in der Lage, bei Bedarf einige hundert Tonnen Anthrax pro Jahr herzustellen. Der produzierte "Sporenschlamm" wäre vor Ort getrocknet, zermahlen und in verschiedene Munitionstypen abgefüllt worden. Die Verantwortlichen behaupten, daß es in Stepnogorsk eine solche Massenproduktion nie gegeben hat. Die Mitte der achtziger Jahre fertiggestellte Anlage wäre erst im Kriegs- oder Krisenfall voll in Betrieb genommen worden.

Im Jahr 1995 gab die amerikanische Regierung 2,7 Millionen US-$ zur Konversion von "Biomedpreparat" im Rahmen des "Cooperative Threat Reduction"-Programms frei. Die kasachische Regierung, froh die Waffenfabrik loszuwerden, unterstützt die amerikanischen Bemühungen. Im Rahmen der aktuellen Konversionsbemühungen wird unter anderem ein Umwelt-Analyselabor installiert, damit die ehemaligen "Biomedpreparat"-Beschäftigten den Umbau ihrer Arbeitsstätte in Bezug auf Umweltverträglichkeit überwachen können. So soll die Konversion ohne Gefährdung für Menschen und Natur durchgeführt werden. Langfristiges Ziel ist es, die dabei gewonnenen Erfahrungen für ähnliche Projekte und zum Aufbau einer Umweltschutzbehörde für Zentral- und Ost-Asien nutzbar zu machen.

Mittlerweile ist "Biomedpreparat" im Begriff ein Musterbeispiel für erfolgreiche Konversion zu werden. Dies ist besonders wichtig, weil die russische Regierung bis heute sehr widerstrebend auf internationale Bemühungen zur Konversion entsprechender Einrichtungen auf ihrem eigenen Territorium eingegangen ist. Selbst das Ausmaß der ehemaligen sowjetischen Aktivitäten ist daher bis heute weitgehend unbekannt.

 

Iris Hunger ist Biochemikerin und promoviert zur Zeit in Politologie. Sie arbeitet am Max Delbrück Centrum für Molekulare Medizin in Berlin-Buch in der Arbeitsgruppe Bioethik zum Thema Bio- und Toxin-Waffen-Kontrolle. Dipl.-Pol. Oliver Meier hat an der Freien Universität Berlin zur amerikanischen Atomwaffenpolitik nach dem Ende des Ost-West-Konflikts promoviert und ist am Berliner Informationszentrum für Transatlantische Sicherheit (BITS) als Wissenschaftlicher Mitarbeiter sowie am Fachbereich Politische Wisssenschaften der FU Berlin als Lehrbeauftragter tätig.