Friedensforum
Ausgabe 1 / 2014


Rüstungsexporte und Große Koalition
Lieber Sand in die Augen als Sand ins Getriebe

von Otfried Nassauer

CDU/CSU und SPD haben sich geeinigt. Mit dem Koalitionsvertrag haben sie eine Absichtserklärung zur künftigen Rüstungsexportpolitik der großen Koalition vorgelegt. "Mehr Transparenz" werde es geben, kündigte die SPD per Pressemeldung an und die Rückkehr zu einer restriktiven Auslegung der Rüstungsexportrichtlinien. Die Beteiligten sprachen von einem "wichtigen Kompromiss" bei dieser "in der Öffentlichkeit kontrovers diskutierten Frage".

Man darf gespannt sein, ob den starken Worten aus der SPD auch starke Taten folgen. Denn die SPD stellt die Minister in beiden Häusern, die bei Rüstungsexporten federführend sind: Im Auswärtigen Amt amtiert Frank Walter Steinmeier und im Wirtschaftsministerium Sigmar Gabriel.

Das kann eine Chance sein, beinhaltet auf jeden Fall aber ein hohes Risiko. Für jeden genehmigten Rüstungsexport trägt in den nächsten vier Jahren federführend die SPD die Verantwortung. Angela Merkel und die CDU wird Kritik erst in zweiter Linie treffen.

Richtig ist, dass über deutsche Rüstungsexportpolitik öffentlich sehr kontrovers diskutiert wird. Die Versprechen des Koalitionsvertrages können sich aber auch leicht als Sand erweisen, der der Öffentlichkeit in die Augen statt ins Getriebe kontroverser Rüstungsexportvorhaben gestreut werden soll.


"Mehr Transparenz" bei Rüstungsexporten

Der Bundestag soll künftig über die "abschließenden Genehmigungsentscheidungen im Bundessicherheitsrat unverzüglich unterrichtet" werden, so der Vertrag. Wer genau unterrichtet wird, das soll der Bundestag entscheiden. Damit, so die Chefunterhändler, Thomas de Maiziére und Frank Walter Steinmeier, werde es "deutlich mehr Transparenz und demokratische Kontrolle geben" - für den Bundestag und für die Öffentlichkeit. Doch dann folgte die entscheidende Einschränkung: "Mit Blick auf die schutzwürdigen Interessen Dritter sind bloße Voranfragen davon nicht betroffen."

Das versprochene "Mehr" an Transparenz wird weitgehend wieder aufgehoben, denn es sind meist die sogenannten Voranfragen, die zu den politisch relevanten und kontroversen Entscheidungen des Bundessicherheitsrates führen. Diese Einschränkung findet sich nur in der gemeinsamen Erklärung der Koalitionäre, ist also nicht im Koalitionsvertrag nachzulesen. Mit dem politischen Willen zu echter Transparenz kann es nicht allzu weit her sein.

In der Sache wird sich wenig ändern: Auf die "bloßen Voranfragen" für geplante Geschäfte hin befasst sich der Bundessicherheitsrat erstmals mit diesen und muss eine grundlegende Entscheidung treffen. Firmen fragen regelmäßig in dieser Form an, ob ein potentiell kontroverses Exportgeschäft genehmigungsfähig wäre - meist bevor sie sich ernsthaft um einen Auftrag bemühen oder gar einen Vertrag abschließen. Sie wollen wissen, ob es lohnt, in die Auftragsakquisition Geld zu investieren, erfahren, ob sie später mit einer Genehmigung rechnen dürfen. Die Antwort der Bundesregierung erfolgt schriftlich.

Ist sie positiv, so spricht man von einem "grünen Licht". Diese Antwort hat verwaltungsrechtlich eine Bindewirkung für die Bundesregierung. Die Firma kann sich darauf verlassen, dass die Antwort noch gilt, wenn sie später den endgültigen Ausfuhrantrag vorlegt. Würde die Bundesregierung dann trotz des "grünen Lichts" den Antrag ablehnen, könnte die Firma erfolgversprechend auf Schadensersatz klagen, weil die Bundesregierung die Ablehnung begründen und beweisen muss, dass veränderte Umstände keine Genehmigung mehr zulassen. Die Beweislast kehrt sich also um.

Den endgültigen Ausfuhrantrag stellen Firmen in aller Regel deutlich später: Dann, wenn sie den Auftrag bekommen, einen Vertrag abgeschlossen und das bestellte Rüstungsgut so weit fertig gestellt haben, dass es in absehbarer Zeit auch tatsächlich ausgeführt werden kann. Zu diesem Zeitpunkt haben sie bereits viel Geld in die Akquise, die Bestellung von Gütern, Komponenten und Fremdleistungen sowie in die Arbeit investiert. Ihnen würde also tatsächlich ein erheblicher Schaden entstehen, käme jetzt noch ein "Nein". Der Koalitionsvertrag kündigt an, dass diese letzte Entscheidung des Bundessicherheitsrates dem Bundestag unverzüglich mitgeteilt werden soll.

In der Konsequenz bedeutet dies, dass den Abgeordneten viele größere Rüstungsexportgeschäfte wohl erst dann mitgeteilt werden, wenn sie diese bereits aus der Presse kennen. Die Industrie selbst gibt viele Exportgeschäfte dann bekannt, wenn sie einen Vertrag in der Tasche hat, also einen Erfolg vermelden kann. Meldungen über kleinere Geschäfte, die die Industrie nicht bekannt gegeben hat, könnten auch neu sein, vorausgesetzt, der Bundessicherheitsrat hat diese auch beraten. Das ist häufig nicht der Fall, denn dieser Kabinettsausschuss befasst sich natürlich nicht mit allen 15.000 oder 20.000 Ausfuhranträgen, die in einem Jahr gestellt werden. Er entscheidet nur über Vorhaben, die auf der Kriegswaffenliste stehen und/oder in Länder außerhalb der NATO, der EU und der Gruppe der Gleichgestellten gehen sollen, sowie über den Export sonstiger Rüstungs- und Dual-Use-Güter, wenn dieser besonders kontrovers oder von der bisherigen Praxis abweichend sein könnte. Das wiederum sind oft Fälle, für deren Beurteilung ein so großes Maß an technischer und juristischer Detailexpertise Voraussetzung ist, wie es im Büro von Bundestagsabgeordneten kaum erwartet werden kann. Problematische Exporte zu erkennen wäre auch dann nicht immer leicht. Durch ihre Kenntnisnahme aber werden die Abgeordneten in eine gewisse Mithaftung genommen.

Unklar lassen die Koalitionsunterhändler, ob sie bei Kriegswaffen bereits die Beschlüsse des Bundessicherheitsrates zur Genehmigung nach dem KWKG oder erst die spätere, endgültige Entscheidung über den Ausfuhrantrag als "abschließende Genehmigungsentscheidung" ansehen, die eine Information des Bundestages zur Folge haben soll.

Die Abgeordneten werden erst informiert, wenn die endgültige, positive Endentscheidung der Exekutive bereits gefallen ist, und die Forderung, diese zurückzunehmen, mit dem Hinweis auf einen drohenden Schadensersatz gekontert werden könnte. Für die öffentliche Debatte über kontroverse Rüstungsexporte bedeutet das so gut wie keinen Fortschritt. Kontrovers und mit offenem Ausgang streiten kann man nur über Exportvorhaben, über die noch nicht entschieden wurde. Also oft nur zwischen dem Eingang der Voranfrage und der Zusage eines "grünen Lichts". In dieser Phase soll es aber wegen der schutzwürdigen Interessen von Industrie und Empfängerland bei vollständiger Geheimhaltung bleiben.

Die Absicht, den Bundestag selbst entscheiden zu lassen, welche Abgeordneten künftig informiert werden sollen, bietet angesichts der erdrückenden Mehrheit von CDU/CSU und SPD im Bundestag weitere Möglichkeiten, der Opposition die Diskussion schwer zu machen. Die Rüstungsexportberichte Die große Koalition will, dass die Vorlage "des jährlichen Rüstungsexportberichtes noch vor der Sommerpause des Folgejahres" erfolgen und dass es künftig einen "zusätzlichen Zwischenbericht" geben soll.

Auch das bedeutet nur eine terminliche Änderung, das grundsätzliche Defizit aber bleibt weiter bestehen. Es manifestiert sich im Titel des Jahresberichtes. Dieser lautet "Bericht der Bundesregierung über ihre Exportpolitik für konventionelle Rüstungsgüter im Jahre 20XY".

Der Bericht befasst sich vor allem mit der Genehmigungspolitik der Bundesregierung, bis auf wenige Ausnahmen aber nicht mit den tatsächlich ausgeführten Rüstungsgütern. Die Ausnahmen ergeben sich aus internationalen Berichtspflichten zum Beispiel gegenüber den Vereinten Nationen. Kommt der Rüstungsexportbericht künftig ein halbes Jahr früher, so ist das nett, schafft aber per se kein Mehr an Transparenz. Gleiches dürfte für den angekündigten Zwischenbericht gelten, da keine zusätzlich Transparenz schaffenden Inhalte angekündigt wurden.

Manch Kritiker der bisherigen Rüstungsexportberichte hält diese bereits heute für eine Verschwendung von Steuergeldern bzw. für eine irrelevante Fleißarbeit gut besoldeter Ministerialbeamter. Künftig wird er fragen, ob diese Arbeit sinnvoller wird, wenn sie häufiger anfällt. Auf ähnliche Gedanken könnten auch die zuständigen BearbeiterInnen im Wirtschaftsministerium kommen.


Politische Richtlinien

"Bei Rüstungsexportentscheidungen in sogenannte Drittstaaten gelten die im Jahr 2000 beschlossenen strengen `Politischen Grundsätze für den Export von Kriegswaffen und sonstigen Rüstungsgütern`, die für unser Regierungshandeln verbindlich sind." So die zentrale Formulierung des Koalitionsvertrages, die manche SPD-PolitikerIn von einer Rückkehr zur Genehmigungspraxis aus Zeiten von Rot-Grün schwärmen ließ.

Diese Bewertung wird sich wohl eher als blauäugig oder gar als bewusste Augenwischerei erweisen. Seit 2000 haben drei unterschiedliche Koalitionen bewiesen, wie man trotz oder mithilfe dieser Richtlinien auch die kontroversesten Exportgeschäfte genehmigen und den deutschen Rüstungsexport deutlich ausweiten kann. Zum anderen gilt: "Pacta servanda sunt." Auch die künftige Bundesregierung ist an die grünen Lichter und Genehmigungen ihrer Vorgängerinnen gebunden. Mit anderen Worten: Das Kind ist bereits im Brunnen und so mancher Konzern wird sich auf Präzedenzfälle berufen, wenn es in seinem Interesse liegt, noch ein zweites Kind hinterherzustoßen. Gespannt darf man sich zum Beispiel fragen, wie die große Koalition künftige Voranfragen hinsichtlich der Lieferung von gepanzerten Fahrzeugen wie dem Boxer oder dem Puma auf die arabische Halbinsel reagiert, wenn sie doch bereits der Lieferung von Kampfpanzern im Einzelfall zugestimmt hat. Substantielle Zweifel sind angebracht.

Die Grundsatzentscheidung, über Exporte solcher Fahrzeuge auf die arabische Halbinsel im Einzelfall zu entscheiden, geht auf die große Koalition 2005 - 2009 zurück.


Europäische Harmonisierung

Als bedeutsam könnte sich noch eine weitere Ankündigung erweisen: "Wir setzen uns für eine Angleichung der Rüstungsexportrichtlinien innerhalb der EU ein. Europäische Harmonisierungen müssen so umgesetzt werden, dass sie die Mindestanforderungen des Gemeinsamen Standpunkts der EU aus dem Jahr 2008 nicht unterschreiten." Das klingt, als müsse die künftige Bundesregierung darum kämpfen, dass die EU ihren Gemeinsamen Standpunkt nicht aufweicht. Da inzwischen mit dem Arms Trade Treaty (ATT) ein rechtsverbindlicher Text zu Rüstungsexporten mit weltweitem Gültigkeitsanspruch vorliegt, kann man damit rechnen, dass in der EU Stimmen laut werden, die fordern, den restriktiveren Gemeinsamen Standpunkt der EU an den liberaleren ATT anzupassen, damit europäische Firmen nicht unter Wettbewerbsnachteilen leiden. Die Formulierung im Koalitionsvertrag könnte das erste Menetekel an der Wand sein, das eine solche Entwicklung vorzeichnet.

Ein ceterum censeo zu Schluss: Der Koalitionsvertrag spricht lediglich von Rüstungsexporten in Drittstaaten. Über Exporte in die wachsende Gruppe der EU-, NATO- und gleichgestellten Ländern verliert er kein Wort. Kriegswaffenexporte in diese Staaten werden nur in besonderen Ausnahmefällen untersagt. Exporte in andere EU-Staaten werden durch die Umsetzung der sogenannten Verbringungsrichtlinie sogar weiter erleichtert. Damit wird die praktische Handhabung des Gemeinsamen Standpunktes durch die Länder, in denen die Endfertigung eines Waffensystems erfolgt, bedeutsamer. Dort wird letztlich der Export in Drittländer genehmigt, mal laxer, mal etwas strenger. Die Gefahr, dass europäische Harmonisierung letztlich eine liberalere Rüstungsexportpolitik zur Folge hat, ist nicht von der Hand zuweisen. 


 

ist freier Journalist und leitet das Berliner Informationszentrum für Transatlantische Sicherheit - BITS.