Frankfurter Rundschau
19. November 2003


Ohne Hilfe droht die Teilung Mazedoniens

Wenn Europa für multiethnische Staaten eintritt, dann muss es Taten sprechen lassen

Von Peter H. Matthiesen

Im Herbst 2001 zwang die Internationale Gemeinschaft alle Parteiführer Mazedoniens, den Vertrag von Ohrid zu unterschreiben, der bewaffnete Auseinandersetzungen beendete und zur Auflösung der Rebellenarmee UCK führte. Der Kern des Friedensdiktats ist Schutz von Minderheiten, besonders der albanischen. Dieser viel zu kurze Denkansatz und die mangelnde Nachhaltigkeit der Unterstützung durch die Internationale Gemeinschaft rächen sich jetzt. Das Land ist in Unruhe! Die Regierung negiert dieses und wiederholt gebetsmühlenartig: Wir setzen Ohrid um, das ist die Zukunft!

Im Parlament ist die albanische Sprache zugelassen und setzt sich überall im Lande durch. Das führt zu Forderungen nach albanischen Schulklassen gegen den Willen der mazedonischen Mehrheit. Folge sind Demonstrationen und Gewalt zwischen den Schülern beiden Ethnien. Eine aktuelle Studie mit Studenten mazedonischer und albanischer Ethnie in Skopje zeigt, dass sich alle Studenten im Lande nicht sicher fühlen. Darüber hinaus lehnen fast alle mazedonischen Studenten das Ohrid-Abkommen ab. Die junge Generation ist für einen multiethnischen Staat bereits verloren.

Die albanische Universität Tetovo hat Bestandsgarantie. Somit ist bis zum akademischen Abschluss das Erlernen der mazedonischen Sprache nicht notwendig. Die albanische Ethnie hat sich mit internationaler Hilfe als gleichwertig und gleichrangig etabliert und nimmt keine Rücksicht auf die mazedonische Mehrheit.

Die gemäß Ohrid-Abkommen zum 1. 1. 2005 umzusetzende Dezentralisierung der Verwaltung führt zu weitgehend unabhängigen Bezirken. Wird der Termin nicht gehalten oder das Ergebnis negativ, z. B. Unterdrückung der jeweiligen Minderheit, was folgt? Die UCK ist aufgelöst, doch die Struktur besteht. UCK-Kämpfer sind bereit, die Waffe sofort wieder aufzunehmen. Ein Beweis, dass 2001 der Kampf um Rechte und Einfluss der Albaner geführt wurde, nicht um Minderheitenrechte.

Die Gespräche über die Zukunft des Kosovo sind substanziell für das Land, denn Unruhe im Kosovo heißt Unruhe in Mazedonien. Arben Xhaferi, einer der albanischen Denker, prophezeit, wenn die albanische Ethnie nicht schnell mehr Einfluss bekommt, Krieg und bei Teilung des Kosovo die Teilung Mazedoniens. Krieg und die Vision eines "Großalbaniens" stehen als Drohung über der Zukunft Mazedoniens. Zwei Jahre nach dem Vertrag von Ohrid ist festzuhalten: Positiv bleibt einzig, dass die Ausweitung der Kämpfe 2001 verhindert wurde, ansonsten hat die Internationale Gemeinschaft keine wirksame Unterstützung für die Zukunft des Landes geleistet.

Die Investitionen sind unbedeutend, die Arbeitslosigkeit erreicht die Rekordmarke von 50 %, jeder dritte Einwohner lebt unter der Armutsgrenze. Korruption und Vetternwirtschaft bestimmen die Gesellschaft ebenso sowie Schmuggel und Schattenwirtschaft. Der Hass zwischen den Ethnien ist stärker und der Griff zur Waffe leichter denn je geworden. Von Januar bis September wurden bereits 71 Morde mit Schusswaffen registriert, mehr als in allen anderen Ländern weltweit.

Die Zukunft Mazedoniens kann nicht sein, dass die Nato durch Lord Robertson Fortschritte pauschal lobt und dem Land Glück wünscht. Europa muss Mazedonien durch ein robustes und nachhaltiges Verfahren in der gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Entwicklung fördern, doch das erfordert politische Ziele, die bisher nicht formuliert sind. Der Weg wäre, alle staatlichen Institutionen gezielt und intensiv durch nationale und internationale Fachleute vor allem in Wirtschaft, Soziales, Innere Sicherheit, Finanzen und Justiz zu analysieren und zu verändern, begleitet von einem dichten Controller-System. Wenn Europa für Unveränderlichkeit von Grenzen und multiethnische Staaten eintritt, dann ist Mazedonien das geeignete Land, den Beweis aktiv anzutreten.

Nebenbei: Energische Bekämpfung der Organisierten Kriminalität in Deutschland würde den Markt austrocknen, Schmuggel unterbinden und das aktive Eintreten für die Lockerung des starren Visa-Regimes der EU Wirtschaft und Handel fördern.

Die aktuellen Diskussionen und Auseinandersetzungen im Lande beweisen, dass ohne europäische Hilfe ein Miteinander der Ethnien nicht möglich ist. Mit einer geschickten Politik und guter kommunaler Neuordnung wäre der Weg frei für eine Föderalisierung des Landes. Nur das wäre die Chance zum Nebeneinander gemeinsam in einem Staat mit einer Regierung. Hoffnung darauf besteht nicht, denn jede Ethnie will alles, und das sofort! Ohne aktive europäische Unterstützung wird das Land in die Teilung getrieben.


Peter H. Matthiesen war bis Ende 2002 deutscher Militärattaché in Mazedonien und hat uns diesen Artikel freundlicherweise zur Veröffentlichung zur Verfügung gestellt.