Einblick
Nr. 6 /  2003


Das letztlich Gewollte ist eingetreten. US-Präsident George W. Bush und die Hardliner im Pentagon führen ihren Krieg ohne völkerrechtliche Legitimation. Einen Krieg, der viele Opfer fordern wird. Menschliche und politische. Je länger er dauert, desto größere. Das befürchtet Otfried Nassauer, Leiter des Berliner Informationszentrums für Transatlantische Sicherheit - BITS

Über den Krieg hinaus
"No War" allein genügt nicht

von Otfried Nassauer

Als Bush die Notwendigkeit, Krieg zu führen, begründete, machte er klar, dass es ihm nicht vorrangig um die Abrüstung irakischer Massenvernichtungswaffen geht, sondern um einen Regierungswechsel im Irak. Davon erhoffen sich Washingtons Falken auch ein verändertes Kräfteverhältnis im israelisch-palästinensischen Konflikt, in der arabischen Welt und unter den Ölproduzenten.

Schon jetzt ist deutlich, dass der politische Preis immens sein wird. Washington hat in weniger als zwei Jahren Präzedenzfälle für militärische Interventionen zur Bekämpfung des Terrorismus, der Weiterverbreitung von Massenvernichtungswaffen und zur Auswechslung missliebiger Regime geschaffen. Fälle, auf die sich die präzedenzfallorientierte angelsächsische Rechtstradition künftig gerne berufen wird.

Nicht zuletzt deshalb warnt Bundesaußenminister Joschka Fischer vor einer "Serie von Abrüstungskriegen". Dahinter steckt die bange Frage, ob sich der nächste Schlag gegen Nordkorea, den Iran oder wen auch immer sonst richten wird. Und die Frage, ob diese Kriege nicht letztlich auf eine andere Weltordnung zielen. Eine Weltordnung, in der nicht die Stärkung des Rechts die dominierende Tendenz darstellt, sondern die Stärkung des Rechts des Stärkeren. Washington, so die Befürchtung, setzt bewusst auf eine Deregulierung der internationalen Beziehungen, weil eine Welt, in der das Recht des Stärkeren herrscht, die Dominanz der USA auf mittlere und lange Sicht am besten absichert.

Dazu passt es, wenn führende Mitglieder der Regierung Bush davon reden, dass man einen "Multilateralismus à la carte" pflege und "Koalitionen der Willigen" zur Durchsetzung seiner Ziele bevorzuge. Dieses Vorgehen belässt die politische Initiative in Washington, und allen anderen nur die Wahl, US-Entscheidungen mitzutragen - oder ignoriert zu werden. An jenen multilateralen Institutionen, die bislang Entscheidungsgremien waren, wurden Exempel statuiert. Die NATO und die UNO wurden zu Konsultationsgremien herabgestuft. Sie hatten nur die Wahl, als Erfüllungsgehilfen zu agieren oder beiseite geschoben zu werden.

Wenn es aber - und darauf verweist auch die konsequente Ablehnung des Irak-Krieges durch Frankreich, Russland und Deutschland - um mehr geht als um diesen einen Krieg, nämlich um Weltordnungsfragen, dann kann das schlichte "Kein Krieg - No War" auf Dauer der Aufgabe nicht gerecht werden. Es bedarf einer positiven Perspektive und Alternative. Aufgabe von Politik, Wissenschaft und sozialen Bewegungen muss es sein, gemeinsam und in konstruktiver Konkurrenz Alternativen zu entwickeln, die über das "Nein" hinauswachsen.

Ich sehe vier Ansatzpunkte: Erstens bedarf es - ähnlich wie im Fall des Kosovo-Krieges - politischer Initiativen zur Beendigung des Krieges im Irak. Zweitens bedarf es politischer Initiativen zur Stärkung der multilateralen Institutionen, insbesondere der UNO. Sie muss ihr Monopol, allein legitimerweise über Krieg und Frieden zu entscheiden, zurückerhalten. Drittens bedarf es einer europäischen Initiative zur Lösung des Nahost-Konfliktes. Diese muss Israelis und Palästinensern eine Zukunftsperspektive aufzeigen. Und schließlich: Wann endlich starten wir - aus sicherheitspolitischen Gründen - eine konzertierte Aktion für eine größere Unabhängigkeit von den fossilen Energieträgern Öl und Gas?

Ein staatlich geförderter "Schnellstart" in neue Energieträger wie Wasserstofftechnologie bzw. Brennstoffzelle und ein intensiver Ausbau der Nutzung regenerativer Energien stellt eine hocheffiziente sicherheitspolitische Investition dar. Positive Nebenwirkungen inbegriffen - für den Technologiestandort Deutschland, für die Umwelt und vor allem in Sachen Krisenprävention. Der Aufgabe, am Wettbewerb um solche positiven Perspektiven der Transformation mitzuwirken, müssen sich auch die Gewerkschaften stellen. So weit mein Appell zur konstruktiven Energieverschwendung.