Das Blättchen
Nr. 25 / 03. Dezember 2018


Richtiger Schritt aus falschem Anlass

von Otfried Nassauer


Endlich, mochte man denken. Die Bundesregierung stoppt alle Rüstungsexporte nach Saudi-Arabien. Es wird keine neuen Exportgenehmigungen mehr geben und wichtiger noch: Bereits erteilte Einzelausfuhrgenehmigungen dürfen nicht weiter genutzt werden. Die erst vor wenigen Monaten genehmigten Artillerieortungsradare sollen ebenso wenig geliefert werden wie bereits gebaute Patrouillenboote der Firma Lürssen, bei denen der Verdacht besteht, dass sie auch zur Blockade des jemenitischen Hafens von Hodeidah eingesetzt wurden, dem derzeit wichtigsten Anlandehafen für humanitäre Hilfe im Jemen.

Doch Vorsicht ist angebracht. Außenminister Maaß sprach kürzlich davon, „derzeit“ seien die Voraussetzungen für positive Genehmigungsentscheidungen nicht gegeben, und in der Bundespressekonferenz bemühten sich die Sprecher der Bundesregierung wiederholt und redlich, nur ja keine Klarheit aufkommen zu lassen, wie man mit bestehenden Exportgenehmigungen und den betroffenen Firmen umgehe. Darauf könne man aus „verfassungsrechtlichen Gründen“ nicht „näher eingehen“.

Anlass für das Umdenken der Bundesregierung ist erklärtermaßen vor allem die Ermordung des Journalisten Jamal Khashoggi in Istanbul. Saudi-Arabien soll reinen Tisch machen, die Tat nachvollziehbar erklären und die Verantwortlichen zur Rechenschaft ziehen. Und dann, so fragt man sich, gibt es auch wieder deutsche Rüstungsgüter für den Kriegseinsatz im Jemen? Genauso so scheint es zu sein. Das Dilemma der deutschen Politik wird hier sichtbar: Tausende jemenitischer Zivilisten, die seit März 2015 Opfer des von Saudi-Arabien geführten Krieges gegen die Houthis wurden, haben die Bundesregierung im Verlauf von dreieinhalb Jahren nicht zu einem völligen Stopp aller Waffenlieferungen an die Länder veranlasst, die im Jemen interveniert haben. Und jetzt soll dieser Schritt aufgrund der willkürlichen, brutalen Ermordung eines einzelnen Journalisten erfolgen.

Das damit verbundene politische Signal ist fatal: Riad muss die Causa Khashoggi bereinigen, nicht aber den Krieg im Jemen beenden, wenn es wieder deutsche Rüstungsgüter kaufen will. Die humanitäre Krise im Jemen darf dagegen weitergehen. Dieser Eindruck wird weiter verstärkt, da die Bundesregierung gegen das zweite Land, das im Jemen direkt und aktiv Krieg führt, die Vereinigten Arabischen Emirate, keinen solchen vollständigen Lieferstopp verhängt hat.

Das Verdikt bezieht sich nach Angaben des Wirtschaftsministeriums zudem nur auf Einzelausfuhrgenehmigungen. Zulieferungen deutscher Firmen für große, internationale Waffenprojekte wie den Eurofighter, die per Sammelausfuhrgenehmigung erlaubt wurden, sind scheinbar nicht betroffen. Hier strebt die Bundesregierung lediglich eine gemeinsame Haltung in der Europäischen Union an. Die aber dürfte es kaum oder auch nur vorübergehend geben. Schließlich berichtet der Spiegel, der Stopp der Genehmigungen und Lieferungen gelte zunächst nur für zwei Monate. Dann solle im Lichte der aktuellen Entwicklungen im Fall Khashoggi eine neue Entscheidung getroffen werden. Vergrößert wird also lediglich der zeitliche Druck auf Saudi-Arabien, schnell eine zufriedenstellende Erklärung für den Mord in Istanbul und die dafür Verantwortlichen zu liefern.

Im Jemen kauft die Bundesregierung der von Saudi-Arabien angeführten Koalition damit politisch mehr Zeit, um den Krieg zu ihren Bedingungen zu beenden. Bezahlen werden dies jemenitische Zivilisten – nicht zuletzt mit ihrem Leben.


ist freier Journalist und leitet das Berliner Informationszentrum für Transatlantische Sicherheit - BITS